# taz.de -- Rimini Protokoll in Münchner Museum: Spyware und Soft Skills
       
       > Das Theaterkollektiv Rimini Protokoll hat eine Audiotour zu
       > Geheimdiensten produziert. CIA-Mitarbeiter sprechen Besuchern ins Ohr –
       > neu ist das leider nicht.
       
 (IMG) Bild: Was sie da wohl hören? Alles geheim.
       
       „Huch!“, haucht die Computerstimme in mein Ohr, wenn ich die Schwelle eines
       Raumes zum nächsten vor der Zeit überschreite. Denn wer das tut, kann vom
       „System“ nicht mehr geortet werden. Und der Ort bestimmt, welche der mehr
       als 80 Tonspuren den nur mit Kopfhörer und Notizbuch ausgestatteten
       Besuchern der Münchner Glyptothek zugespielt und welche Fragen ihnen
       gestellt werden: „Würdest du Gewalt anwenden, um Menschenleben zu retten?“
       Oder: „Kommt es vor, dass du lügst, wenn dich jemand darum bittet?“
       
       Das Theaterkollektiv Rimini Protokoll hat in Zusammenarbeit mit den
       Münchner Kammerspielen einen Abend über Geheimdienste inszeniert – oder
       besser: einen Parcours zum Thema vorbereitet, der ohne Schauspieler und
       Rimini-typische „Experten des Alltags“ auskommt. Die Gruppe knüpft damit an
       eigene Audiotouren wie „Kanal Kirchner“ an, das einen beim
       Spielart-Festival 2001 die menschlichen und die Kameraaugen der eigenen
       Stadt ganz neu erleben ließ. „Top Secret International“ rückt nun wieder
       das Beobachten und Ausspionier(twerd)en ins Zentrum.
       
       Es ist zugleich der Auftakt eines vom Berliner Haus der Kulturen der Welt
       initiierten Gemeinschaftsprojekts der freien Gruppe mit vier
       deutschsprachigen Schauspielhäusern zum Thema Staat. Dazu passt der
       Münchner Spielort, denn in der antiken Skulpturensammlung schauen die in
       Stein gehauenen Häupter vergangener Herrscher wie Marc Aurel und Alexander
       der Große auf die Besucher herab.
       
       Doch wo „Kanal Kirchner“ reale Münchner Straßen und Plätze zur Kulisse
       eines beklemmenden Abenteuers machte, ist die Glyptothek weder Fisch noch
       Fleisch: ein kunsthistorischer Raum, in dem es während des fast
       zweistündigen Rundgangs zunehmend schwerfällt, den akustischen Input mit
       den körperlich anwesenden Objekten in Beziehung zu setzen.
       
       Es mag noch angehen, wenn man in der Umgebung eines Steinhundes den
       ehemaligen israelischen Botschafter über die Treue zum eigenen Land
       sprechen hört. Die Aufforderung, die Pose des Barberinischen Fauns
       einzunehmen, passt dagegen zum folgenden Bericht über Spyware auf geradezu
       groteske Weise nicht.
       
       ## „Ohne Geheimdienste gibt es keinen Krieg“
       
       Während man sich als fiktiver Geheimdienstaspirant also „möglichst
       unauffällig“ und affirmiert vom „System“ („Gut machst du das!“) durch die
       Räume bewegt, muss man dem Team um Stefan Kaegi, Helgard Kim Haug und
       Daniel Wetzel einerseits Respekt zollen.
       
       So viele Stimmen von BND- und CIA-Mitarbeitern, Geheimdienst-und
       Geheimdienst-Kontroll-Experten, Hackern, Politikern und investigativen
       Journalisten haben sie eingeholt, so viele Geschichten von (gewaltsamen)
       Agentenrekrutierungen und Waffenfunden gesammelt. Aber dennoch erfährt man
       andererseits inhaltlich wenig Neues.
       
       Die Arbeit der Geheimdienste ist durch die Dauerfahndung nach
       Terrorverdächtigen, den NSA-Skandal und Whistleblower wie Edward Snowden in
       der öffentlichen Wahrnehmung so präsent, dass man Sätze wie „Ohne
       Geheimdienste gibt es keinen Krieg“ oder „Du weißt nie, was genau der Zweck
       deines Auftrags ist“ innerlich nur müde abnickt.
       
       Dabei steckte durchaus Wissenswertes in den Interviews, wenn man denn nicht
       zu sehr okkupiert wäre von diesen unbeholfenen bis ärgerlichen
       Immersionsspielchen. Aufforderungen wie „Mach ein Stoneface!“ sind albern,
       die dauernde Frage, ob man sich beobachtet fühlt, ist nur blöd.
       
       Das ist umso enttäuschender, als Rimini Protokoll seit mehr als 15 Jahren
       brennende gesellschaftliche Fragen ins Theater hineinholen und dessen
       Mittel und Formen beständig erweitern. Mit ihrem aktuellen
       Qualitätsaussetzer befinden sie sich dafür in guter Gesellschaft mit Gob
       Squad, She She Pop und dem Pariser Theatermacher Philippe Quesne, die
       allesamt bereits in der letzten Spielzeit in Kooperationen mit den Münchner
       Kammerspielen für ihre Verhältnisse weit unterdurchschnittliche Arbeiten
       ablieferten.
       
       Unter anderem dieser Umstand hat zuletzt zu einer Diskussion über die
       „Krise“ der Kammerspiele unter ihrem 2015 angetretenen Intendanten Matthias
       Lilienthal geführt – und wurde fast sofort wieder unter großem medialen
       Getöse erstickt.
       
       Beflissene wie dampfende Stellungnahmen für und wider Lilienthal umgingen
       en gros die von der SZ-Kritikerin Christine Dössel angezettelte
       Qualitätsdiskussion und spielten das Literatur- und Schauspielertheater
       gegen das postdramatische Diskurs- und Performance-Theater und die von
       Lilienthal proklamierte offenere Bespielung aus, zu der auch Popkonzerte,
       Freie-Szene-Gastspiele und Flüchtlingscafés gehören. Oder vice versa.
       
       ## „Anders“ ist per se schon toll
       
       Dabei haben sich einige Autoren (inklusive Dössel) zu sehr in die Idee
       verbissen, die Kammerspiele „retten“ zu müssen. Andere wollten offenbar
       partout nicht in die reaktionäre Ecke gestellt werden und bejahten das
       „Experiment“ ohne weitere Differenzierung. Lilienthal selbst hielt
       nonchalant das Label des Performativen wie ein Schutzschild vor sich, als
       würde sich Kritik daran von vornherein verbieten, weil es eben „anders“ ist
       und deshalb per se schon toll.
       
       Das ist es aber ebenso wenig, wie jeder Kritiker der aktuellen Kammerspiele
       von der Sehnsucht nach Einfühlungs- und Als-ob-Spiel angetrieben wird.
       Vielmehr zeigt sich gerade, wie schwammig der Begriff „Performance“ zu sein
       scheint, eines Theaters also, das nicht Rollen ausfüllt, sondern
       Situationen erschafft. In den sechziger Jahren an der Schnittstelle
       zwischen bildender und darstellender Kunst entstanden, wird es heute
       theaterseits gern über alles gestülpt, was nicht über die Rampe kommt oder
       das selbstgesetzte Thema nur lose umspielt.
       
       Darüber zu diskutieren, könnte ebenso interessant sein wie der Frage
       nachzugehen, ob zumindest ein Teil der „Krise“ der Kammerspiele
       struktureller Natur ist: Freie Theaterarbeit und Stadttheater-Zwänge sind
       doch nicht so ohne weiteres miteinander kompatibel und die Zusammenarbeit
       verlangt zumindest eine neue Qualität der Kommunikation. Bereits im Juni
       nahm das transkulturelle Netzwerk Göthe Protokoll eine Auftragsarbeit an
       den Kammerspielen zum Anlass, um deren Desinteresse an dieser Arbeit auf
       der Bühne offenzulegen.
       
       Auch die aktuelle „Krisen“-Debatte begann mit zwei Verdachtsmomenten in
       puncto Sorgfaltspflicht: Die im November via SZ angekündigte Trennung des
       Münchner Publikumslieblings Brigitte Hobmeier von den Kammerspielen, weil
       sie sich dort „immer heimatloser“ fühle, nährte bei manchem die Gewissheit,
       der Berliner Lilienthal habe gar keine Lust, sich auf die neue Stadt
       einzulassen. Oder auf Schauspielkunst überhaupt.
       
       Bereits im Oktober hatte der junge französische Regisseur Julien Gosselin
       nach nur drei Probewochen ein mit Spannung erwartetetes Houellebecq-Projekt
       hingeschmissen – aus, nach Aussagen des Intendanten,
       „produktionstechnischen Gründen“. Da muss doch die Hauptfrage sein und
       bleiben, wie es an diesem Haus um die Soft Skills bestellt ist und um die
       Bereitschaft, aufeinander zuzugehen.
       
       12 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sabine Leucht
       
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