# taz.de -- Jan Küvelers Buch „Theater hassen“: Konsens ist ungut
       
       > Der Theaterkritiker versucht, das Bürgerliche seines Berufs mit
       > Fußballverweisen aufzupeppen. Gegenüber der Volksbühne bleibt er
       > unterwürfig.
       
 (IMG) Bild: Einziger Lichtblick für Autor Küveler: Castorfs Volksbühne
       
       Da schämt sich einer für das Bürgerliche seines Berufs. Denn der
       Theaterkritiker gilt nicht als einer von den coolen Jungs. Und so zieht er
       die Gefühlswelten des Fußballs, aus dem Kino und von Netflix-Serien heran,
       etwa um den Begriff Katharsis zu umschreiben und dabei doch noch seine
       popkulturelle Zugehörigkeit unter Beweis zu stellen. Das zumindest ist der
       Eindruck, den Jan Küveler auf den ersten vierzig Seiten seines Buchs
       „Theater hassen“ erweckt: Hochkultur machen, aber es nicht so aussehen
       lassen.
       
       Nun ist Jan Küveler nicht nur Theaterkritiker, sondern „Creative Director“
       der Welt am Sonntag und schreibt dort auch über Film, Literatur, Politik.
       Dass sein Buch „Theater hassen“ heißt, ist auch eine Strategie des Tropen
       Verlags, der zuvor schon einen Band mit dem Titel „Kunst hassen“
       herausbrachte. Konsens ist ungut, langweilig und unproduktiv.
       
       Diese These scheint sich nicht nur der Verlag zu eigen zu machen, sie
       gehört auch zu den im Text oft wiederholten Argumenten von Jan Küveler, der
       damit etwa seine Abneigung gegen Elfriede Jelinek und Falk Richter
       begründet.
       
       Als berechenbar und risikolos verwirft er deren Kritik an der europäischen
       Abschottung in der Flüchtlingspolitik oder an der AfD. Ideologie ohne
       ästhetischen Mehrwert sieht er in den Inszenierungen von Nicolas Stemann
       und Falk Richter am Werk. Und findet in seinem Buch somit wiederholt
       Gründe, das Theater zu hassen.
       
       Aber selbst in Küvelers persönlicher Statistik sind von zehn angeschauten
       Inszenierungen zwei oder drei doch nicht ganz schlecht und eine ist sogar
       richtig gut. Zehn Inszenierungen, das erinnert nicht zufällig an das
       Theatertreffen, denn tatsächlich gehen einige der Kapitel in dem
       160-Seiten-Band auf Texte zu den Theatertreffen von 2015 und 2016 zurück,
       die Küveler für die Welt schrieb.
       
       ## Motiviert nur Masochisten
       
       Dass er dieser Institution vorwirft, zu oft auf die gleichen Namen und
       Schauspielhäuser zurückzukommen, ist berechtigt, lässt sich seinem Buch
       allerdings ebenso vorwerfen.
       
       Zwischen Burgtheater und Volksbühne beschäftigt er sich nur mit prominenten
       Namen: Andrea Breth, Michael Thalheimer, Milo Rau, Frank Castorf, René
       Pollesch, Vegard Vinge und Ida Müller, Herbert Fritsch. Ja, wem das jetzt
       nach besonders viel Berliner Volksbühne klingt, der liegt richtig. Denn auf
       dieses Theater kommt Jan Küveler immer wieder zurück, wenn er nach
       positiven Beispielen sucht, nach Öffnung des Feldes, nach dem
       Unberechenbaren, nach dem Risiko.
       
       Viele Seiten seines Buchs lesen sich unterhaltsam, und dort, wo Küveler
       kurze Abstecher in die Theatergeschichte unternimmt, entstehen auch
       erhellende Perspektiven auf die Geschichte. Wenn er detailreich und mit dem
       Besteck des Kritikers an eine Inszenierung herangeht, wie beim Verriss
       einer „Antigone“ am Burgtheater oder beim Lob der anregenden Wirkung von
       René Polleschs „Kill your darlings“, liest sich das wie schönstes
       Feuilleton.
       
       Bei Frank Castorf dagegen, den Küveler sehr verehrt, gehen ihm oft die
       eigenen Worte aus, und es kommt zu Sätzen, die dem
       Dramaturgen-Wortgeklingel, das er geißelt, nicht sehr fern sind: „Er
       arbeitet stattdessen als Theatermacher an einer Revolution des Denkens und
       Fühlens. Die Provokation, die seine Inszenierungen in jeder Hinsicht
       auszeichnet, auch und gerade in der unerträglichen Langeweile, die sie über
       Stunden erzeugen, ist Selbstzweck. Das schlimmste wäre, in Wohlgefälligkeit
       zu erstarren, ganz unabhängig von der absoluten Lage.“ Das motiviert doch
       wohl nur Masochisten.
       
       Man kann das Buch so auch lesen als eine innere Aufrüstung des Kritikers
       gegen die Langeweile. Der Untertitel von „Theater hassen“ spricht von einer
       „dramatischen Beziehung“: Es geht um die Suche nach großen Affekten im
       Bezug zum Arbeitsgegenstand Theater. Dabei lässt Küveler oft genug
       durchblicken, dass er weiß, dass auch dies eine Konstruktion ist, ein
       Rahmen, den der Kritiker sich setzt, um den eigenen Text zu schaffen.
       
       25 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
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