# taz.de -- Staatsballett Berlin: Nett getanzt, fies gebrüllt
       
       > TänzerInnen protestieren per Petition gegen ihre neuen IntendantInnen
       > Sasha Waltz und Johannes Öhman. Ihre Argumente sind schwach.
       
 (IMG) Bild: Protest unterm Stuck
       
       Das Staatsballett Berlin ist stolz auf seine Tradition. Hier wird seit der
       zehnjährigen Intendanz des russischen Tänzers Vladimir Malakhov (bis 2014)
       ein klassisches Repertoire gepflegt, das tatsächlich weit entfernt ist vom
       modernen Tanztheater und vom zeitgenössischen Tanz.
       
       Anfang September, noch bevor der Berliner Bürgermeister und Kultursenator
       Michael Müller auf einer Pressekonferenz verkündete, dass die Berliner
       Choreografin Sasha Waltz und Johannes Öhman, Leiter des Königlich
       Schwedischen Balletts, die Leitung ab der Spielzeit 2018/19 übernehmen
       sollen, gab das Staatsballett eine Pressemitteilung heraus, in der zehn
       neue Tänzerinnen und Tänzer vorgestellt wurden, als Solisten, Demi-Solisten
       und Mitglieder im Corps de ballett.
       
       Tatsächlich spiegelt sich in der Sprache dieser Mitteilung, in der
       Skizzierung der Karrieren der neuen Mitglieder, eine hierarchische
       Struktur, die das klassische Ballett als Genre immer wieder an die
       Vergangenheit bindet, an eine Kultur der Repräsentation. Die Choreografin
       Sasha Waltz, deren Projekte immer unter dem Label „Sasha Waltz & Guests“
       liefen, war dagegen oft auf der Suche nach Modellen von Zusammenarbeit mit
       ihren Tänzern, Musikern, Architekten und anderen Künstlern. Der Tänzer als
       Koautor ist hier ganz anders gefragt.
       
       Ist es das, was das Ensemble des Staatsballetts Berlin dazu treibt, mit
       einer [1][Petition „Rettet das Staatsballett Berlin!“] im Internet gegen
       die Ernennung von Waltz und Öhman zu protestieren? Sie sammeln Stimmen
       gegen die Berufung und fordern den Berliner Bürgermeister und seinen
       Staatssekretär Tim Renner auf, die Entscheidung zurückzunehmen. So wenig,
       wie ein „Tennistrainer“ zum „Fußballtrainer“ werden könne, sei Sasha Waltz
       geeignet, ihre „Compagnie zu führen“.
       
       ## Eine tiefe Kränkung
       
       Sicher steckt in der Berufung von Sasha Waltz auch der Wunsch, das Berliner
       Staatsballett mehr der Gegenwart zu öffnen und aus dem Spielplan etwas
       anderes machen als einen bewahrenden Ort für historische Ballette und sehr
       gut getanzte Nettigkeiten, die ästhetisch glatt und inhaltlich belanglos
       waren. Die Tänzer des Staatsballetts Berlin können so viel, sich auch sehr
       ergreifend bewegen, das sah man immer wieder. Aber verschwendet viel zu oft
       an dekorative Stoffe, nicht erst unter dem letzten Intendanten Nacho Duato.
       
       Man merkt der Petition des Staatsballetts eine tiefe Kränkung an: Sie sehen
       sich von der Politik in ihrer Identität verkannt und völlig ohne Mitsprache
       übergangen. Sie spielen mit einem kleinen Seitenhieb auf die Berliner
       Volksbühne an, der Entscheidung für Chris Dercon als Nachfolger von Frank
       Castorf, gegen den auch Ensemble und der technische Stab protestieren. Auch
       da geht es um die Verteidigung einer Geschichte, die in der Nachwendezeit
       begann und in der Stadt ein wichtiges Tor offen hielt, um die Vergangenheit
       zu befragen und neue Ideologien mit alten zu vergleichen.
       
       Allein die Tradition, auf die sich das Staatsballett jetzt beruft, hat
       inhaltlich nie solche Bedeutung gehabt. Sie ist ein Erbe von Vladimir
       Malakhov, der ab 2004 die nicht einfache Aufgabe hatte, Tänzer aus den drei
       Ballett-Ensembles der Berliner Opernhäuser zu einer neuen Compagnie
       zusammenzuführen. Das ist ihm gelungen, aber eben nur mit einem sehr
       rückwärtsgewandten Repertoire. Er wurde dafür geliebt und gelobt und
       gefeiert von vielen Fans, die vom Ballett auch nichts anderes wollen als
       Schönheit. Wer aber eher schätzt, wie etwa die Compagnie von William
       Forsythe das körperliche und technische Vermögen des Balletts
       weitergetrieben hat, langweilte sich hier oft.
       
       Die Ankündigung der neuen Leitung durch Sasha Waltz und Johannes Öhman
       scheint deshalb eine große Chance zu bieten, aus dieser Routine
       herauszukommen. Das setzt allerdings auch den Wunsch voraus, aufeinander
       zuzugehen und Neugierde zu zeigen. Dafür scheinen die Zeichen mit diesem
       Protest nicht gerade zu sprechen.
       
       14 Sep 2016
       
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 (DIR) [1] https://www.change.org/p/rettet-das-staatsballett-save-staatsballett
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
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