# taz.de -- Gewalt gegen Frauen: Nein heißt nicht für alle Nein
       
       > Ein Viertel der Deutschen empfindet Vergewaltigung als okay. Gleichzeitig
       > sagt eine Mehrheit: Häusliche Gewalt ist ein Tabu. Wie passt das
       > zusammen?
       
 (IMG) Bild: Theoretisch ist fast jeder dagegen, praktisch finden dann doch nicht so wenige Gewalt gegen Frauen ok
       
       Diese Zahl erschreckt: Ein Viertel der Deutschen findet Vergewaltigung von
       Frauen unter bestimmten Umständen okay. Zum Beispiel, wenn die Frau
       getrunken oder andere Drogen konsumiert hat. Wenn sie leicht bekleidet ist
       oder jemanden nach einer Party oder einem Date mit nach Hause nimmt. Selbst
       wenn sie nur flirtet und nicht eindeutig nein sagt, empfinden das manche
       als Einladung, Sex gewaltsam zu erzwingen.
       
       Laut der Umfrage der Europäischen Kommission zu geschlechtsspezifischer
       Gewalt, die diese Einstellungen in Deutschland zutage gefördert hat, liegt
       das Land im europäischen Mittelfeld. In Österreich ist für ein Drittel der
       Frauen und Männer Sex ohne Einverständnis akzeptabel, in Schweden sind das
       nur sechs Prozent. In Rumänien befürwortet die Hälfte der Befragten
       Vergewaltigung.
       
       Wie kann es sein, dass in Deutschland, das sich als einigermaßen
       aufgeklärtes Land versteht, so viele Menschen Gewalt gegen Frauen billigen?
       Seit 1997 ist Vergewaltigung in der Ehe verboten, seit 2002 gilt das
       Gewaltschutzgesetz, mit dem prügelnde Ehemänner und Partner aus der Wohnung
       verwiesen werden können.
       
       [1][Im Sommer dieses Jahres hat der Bundestag das Sexualstrafrecht
       verschärft], jetzt gilt „Nein heißt Nein“: Wer gegen den erkennbaren Willen
       jemandem zum Sex zwingt, wird künftig bestraft. Das unterstützen laut
       Deutschlandtrend für die ARD vom Sommer 2016 rund 86 Prozent der
       Bevölkerung.
       
       Sind die sich widersprechenden Zahlen ein Beleg für das Soziologen-Mantra
       der „verbalen Aufgeschlossenheit bei anhaltender Verhaltensstarre“?
       
       Offensichtlich ist die Gesellschaft nicht so aufgeklärt, wie wir uns das
       wünschen, sagt Heike Herold, Geschäftsführerin von der
       Frauenhauskoordinierung, ein Verein in Berlin, der seit 15 Jahren
       Anti-Gewalt-Projekte, Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen sowie
       ExpertInnen der Anti-Gewalt-Arbeit bundesweit unterstützt. „Die Zahlen der
       EU-Studie haben mich nicht überrascht“, sagt Herold. In großen Städten und
       in Milieus, die sich für Geschlechtergerechtigkeit und Diversity einsetzen,
       sei Gewalt ein Tabu. Anderswo, beispielsweise in ländlichen Regionen,
       scheint das Bewusstsein hierfür noch nicht so ausgeprägt zu sein.
       
       Die Studie der Europäischen Kommission spiegelt die Zahlen zu
       Partnerschaftsgewalt in Deutschland wider, die das Bundeskriminalamt (BKA)
       jüngst veröffentlichte. Danach wurden im vergangenen Jahr 127.457 Menschen
       in Deutschland Opfer von Gewalt der PartnerInnen oder ExpartnerInnen: Mord,
       Totschlag, Vergewaltigung, Körperverletzung, Stalking, Beleidigung.
       
       82 Prozent davon sind Frauen. Die Täter: 80 Prozent Männer. Die aktuellen
       Zahlen bestätigen zudem die Erkenntnisse, die das Familienministerium in
       einer aufwändigen Prävalenzstudie 2004 gewonnen hat: Jede vierte Frau im
       Alter von 16 bis 80 Jahren erlebt mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt,
       am häufigsten von nahestehenden Menschen. BKA-Präsident Holger Münch:
       „Partnerschaftsgewalt ist keine Privatsache.“
       
       ## Auch Anwältinnen erkennen Vergewaltigung nicht immer
       
       Das sehen mittlerweile viele so, sagt Herold: „Bei sexualisierter Gewalt
       hingegen scheint es für nicht wenige Menschen Entschuldigungen zu geben.“
       Auch werde den betroffenen Frauen eine Mitschuld gegeben.
       
       Diese Haltung ziehe sich durch die gesamte Gesellschaft und alle
       gesellschaftlichen Milieus: Vom Hausmeister über den Steuerbeamten bis hin
       zum Professor. Besonders fragwürdig werde es, wenn beispielsweise
       PolizistInnen im niederen Dienst und AnwältInnen Gewalt und Vergewaltigung
       nicht erkennen und anerkennen.
       
       In Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen berichten immer wieder Frauen
       davon, dass sie sich von der Polizei nicht ernst genommen fühlen, wenn sie
       Anzeige wegen Vergewaltigung erstatten. Viele Verfahren werden eingestellt.
       Nur rund 8 Prozent der wegen Vergewaltigung angezeigten Täter werden laut
       des Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsens verurteilt.
       
       Heike Herold von der Frauenhauskoordinierung sagt: „Angesichts der Daten
       aus der Studie habe ich das Gefühl, wir sind bei der Bekämpfung von Gewalt
       gegen Frauen trotz neuer guter Gesetze und einiger positiver Veränderungen
       nicht viel weiter als vor 40 Jahren.“ Als 1976 in Köln das erste autonome
       Frauenhaus entstand, konnte es sich der damalige Sozialdezernent Hans Erich
       Körner leisten zu behaupten, sexuelle und häusliche Gewalt existiere nicht.
       Männer, die so etwas täten, könnte man in einer einzigen Schubkarre
       wegfahren.
       
       ## Gute Gesetze, wenig Erfolg
       
       „Die Erfolge der Frauenbewegung sind kein Selbstläufer“, sagt Herold. Damit
       die Erfolge nicht rückgängig gemacht werden können, „brauchen wir starke
       Unterstützung von Politik, Verwaltung und anderer Kräfte in der
       Zivilgesellschaf“, appelliert sie.
       
       Ein Nein ist ein Nein ist ein Nein.
       
       1 Dec 2016
       
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