# taz.de -- Die Wahrheit: Der Popsnob geht um
       
       > Irgendein Kleinfingerabspreizer spielt im Radio nur noch angejazzte
       > Coverversionen von Popsongs – die niedrigste Degenerationsstufe der
       > Musik.
       
 (IMG) Bild: Es ist wie Wacken auf dem Wasser: Rund um den Pool des Kreuzfahrtschiffs wird geheadbangt
       
       Seit geraumer Zeit macht einem Deutschlandradio Kultur das Mithören schwer,
       weil so ein Kleinfingerabspreizer aus der Musikredaktion Morgen für Morgen
       seiner schwer erträglichen Passion frönen darf. Er kann offenbar gar nicht
       genug kriegen vom Jazz in seiner letzten Degenerationsstufe – dem
       Popsongcover. Ely Bruna verschleppt in lasziver Puschenhaftigkeit Madonnas
       „Material Girl“, das Brad Mehldau Trio legt sich wie Mehltau auf
       „Wonderwall“, und Nils Landgren darf sich hier, ohne dass ein gnädiger
       Tontechniker den Schalter oder wen auch immer umlegt, an Abba vergreifen.
       An Abba!
       
       Es ist nicht bloß Geschmäcklertum, das einen schon früh den Mokka bitter
       werden lässt, es ist dieser scheinheilige Snobismus. Jeder betont locker
       aus dem Ärmel geschüttelte, aber selbstverständlich sauschwer zu spielende
       instrumentale Rattenschwanz, jede die Originalmelodie ostentativ
       zersingende Vokalarabeske und jede haarscharf danebenliegende, dem Song
       einen Stinkefinger zeigende Blue Note offenbart die ganze eitle Prätention
       des Unterfangens. Man wähnt sich der niederen Popkunst himmelweit
       überlegen. Weil Pop nun mal so pipileicht ist, glaubt man da ungebeten
       seine Girlanden dranhängen zu können. Es kostet ja nur ein süffisantes
       Lächeln.
       
       Dabei braucht man den Pop unbedingt, man selbst hätte diesen kleinsten
       gemeinsamen Nenner, auf den sich so viele Hörer einigen können, nämlich
       niemals so hinbekommen. Man rackert sich raxrödeldiwax die Tonleiter rauf
       und noch schneller wieder runter, aber Songs, die den Namen oder wenigstens
       Geld verdienen, entstehen dabei nicht. Man braucht den Pop, um die Miete zu
       bezahlen. Das verstehe ich doch. Nur, wer was ausborgt, hat sich gefälligst
       höflich zu verbeugen und sonst nichts. Ein Scheißkerl, der über den
       Leihgeber die Nase rümpft. Und die Spitzmäulchen aus der Redaktion, die
       solch Pharisäertum propagieren, sind nicht viel besser. Für „Material Girl“
       im Original ist man sich zu fein, also geht die bildungsbürgerlich getunte
       Edelvariante in den Versand.
       
       Ich hab gar nichts Grundsätzliches gegen Coversongs, einige meiner besten
       Freunde sind Coversongs. Aber Bedingung fürs Gelingen ist eben immer noch
       Verehrung, wenn nicht Liebe. Wie das geht, zeigt Dietrich zur Nedden, der
       seit Jahr und Tag in seiner Oblong-Show mit der Ukulele das Werk Funny van
       Dannens transzendiert. Getragen von der Sympathie und auch der Hoffnung der
       Gäste, dass es dieses Mal bitte nicht zu arg wird, tasten sich seine
       Mörderpranken, die für das kleine Instrument einfach nicht gemacht sind, in
       den Song hinein, verdaddeln sich, setzen neu an, verdaddeln sich wieder.
       Und dann fängt die Stimme an, intonationsgehemmt, sich an der Unmöglichkeit
       seiner Aufgabe verschwendend.
       
       Aber es passiert schließlich doch, man spürt plötzlich diesen Kloß im Hals,
       weil man ihm dabei zuschauen darf, wie er mit der Zunge zwischen den Zähnen
       und dem Schweizer Sackmesser in der Hand ein Herz in die Rinde jedes Songs
       ritzt. Das ist die richtige Einstellung.
       
       21 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frank Schäfer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Radio
 (DIR) Jazz
 (DIR) Heavy Metal
 (DIR) Heavy Metal
 (DIR) Veganismus
 (DIR) Martin Luther
 (DIR) Gerhard Schröder
 (DIR) Heavy Metal
 (DIR) Sprachkritik
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die Wahrheit: Donner und Doria
       
       Heavy Seefahrt: Mit 2.000 Headbangern und jeder Menge Antriebsstoffen auf
       krachender Metal-Kreuzfahrt im Mittelmeer.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Stahl hält hoch
       
       Bei einem Festival in Braunschweig zeigt die Heavy-Metal-Gemeinde wieder
       einmal, wie wunderbar durchdrungen von Nostalgie sie ist.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Rache ist Currywurst
       
       Wenn sich ein veganer Gabelmao als großer Fremdficker betätigt, dann lässt
       die Vergeltung der betrogenen Freundin nicht lange auf sich warten.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Boom-chicka-Boom in 95 Thesen
       
       Gewitzt wie nichts Gutes, steht unser Autor hier und jetzt im Begriff, zehn
       Jahre zahlloser Luther-Events mit einem Federstrich aus der Welt zu
       schaffen.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Schröder und die edlen Tropfen
       
       Einmal im Leben Boulevardreporter spielen. Wo man doch zufällig bei einem
       tränenreichen Ereignis dabei ist, wie gemacht für die Yellow Press.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Bocksfüßige Magie
       
       Auch die langweiligsten Samstagabende wurden in den einschlägigen
       Heavy-Metal-Kneipen von Momenten ebenso zarter wie verstörender Schönheit
       erhellt.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Schief ist Trumpf
       
       Der Deutsche lugt nur ungern aus seinem sprachlichen Fettnapf hervor.
       Deswegen ist ihm ein schiefes Bild das liebste Stilmittel.