# taz.de -- Roman über den Rassismus der Mitte: Während Deutschland entgleiste
       
       > In „Hotel Jasmin“ lässt die Autorin von „Soul Kitchen“, Jasmin Ramadan,
       > die ProtagonistInnen ihren Rassismus selbst entlarven.
       
 (IMG) Bild: Dass sie über Alltagsrassismus schreiben will, wusste Jasmin Ramadan schon vor ihrem Roman „Hotel Jasmin“
       
       HAMBURG TAZ | Christiane Tarpenbek hat Angst vor Menschen. Richtig schlimme
       Angst. All ihre Energie wendet sie dafür auf, so unauffällig wie möglich
       durchs Leben zu gehen. Interessen hat sie nicht, eigentlich mag sie nur
       rauchen. Und Kaisersülze. Und ihren Sohn, der sie hasst.
       
       Jasmin Ramadans vierter Roman „Hotel Jasmin“ handelt von der Suche nach der
       Protagonistin Christiane Tarpenbek, und von der Suche Tarpenbeks nach sich
       selbst. Ein Stück weit ist es auch die gemeinsame Reise der Autorin und
       ihrer Protagonistin zu einem Teil ihrer jeweils eigenen Identität, die sie
       nach Ägypten führt, wo Ramadans Vater herkommt.
       
       Wie Ramadan auf den skurrilen Charakter ihrer Figur gekommen ist, weiß sie
       nicht mehr. „Sie hat sich in meinem Kopf so entwickelt“, sagt sie, während
       sie am Wohnzimmertisch ihrer Altbauwohnung in Hamburg Eimsbüttel sitzt und
       raucht. Überall in ihren Räumen ist Kunst: An den Wänden hängen Bilder, auf
       den Ablagen stehen Figuren, Gekauftes und selbst Gemachtes von ihrem Mann,
       der auch Künstler ist und eine Galerie im Gängeviertel hat, wo auch einige
       Szenen in Ramadans Roman spielen. An einer Wand in ihrer Wohnung hängt ein
       knallpinker Snoop Dogg wie Jesus am Kreuz, im Wohnzimmer eine Jesus-Merkel.
       An einem Kabel über dem Tisch baumelt eine Computermaus in einer Schlinge.
       
       Christiane Tarpenbek ist Lehrerin in Hamburg und führt ein professionelles
       Schattendasein. Sie ist dürr, weil sie nichts isst. Die Haare trägt sie
       immer zum Zopf, die Bluse hochgeknöpft. Sie ist spießig und maximal steif.
       Zwar raucht sie Kette, meidet aber Alkohol und andere Drogen und konsumiert
       Schokolade, Kaffee und Tee nur in Maßen.
       
       Tarpenbek hat Angst, mit irgendwas in Berührung zu kommen oder an irgendwas
       schuld zu sein, was andere betreffen könnte. Zwar mag sie keine
       Gesellschaft und verscherzt es sich durch ihre schroffe Art mit den meisten
       Menschen sofort. Aber allein und ohne Beschäftigung will sie auch nicht
       sein. Die Sommerferien sind der Horror für sie.
       
       Als ihr Leben nach einem rassistischen Vorfall aus den Fugen gerät, reist
       sie, die niemals reisen mochte, weil sie alles Unbekannte hasst, nach
       Kairo. Dort checkt sie ins Hotel Jasmin ein, einem rätselhaften und
       märchenhaften Ort, in dem Wirklichkeit und Traum auch für die LeserInnen
       verschwimmen. Im Hotel trifft die Protagonistin den Vater der Autorin:
       Kamal Ramadan, eine geheimnisvolle und liebevolle Figur, die sich immer im
       Hotel aufhält, weil es so heißt wie seine Tochter, die in Deutschland lebt.
       Herr Ramadan, der auch in Wirklichkeit in Kairo lebt, wird für drei Tage
       zum Begleiter Christiane Tarpenbeks, der notorischen Einzelgängerin.
       
       ## Der Vater als Romanfigur
       
       „Mein Vater war schon immer mehr eine Romanfigur für mich“, sagt Ramadan,
       die mit ihrer Mutter und ihrer Oma aufgewachsen ist. Ihr Vater kam nur
       sporadisch zu Besuch. Trotz der Überschneidungen, die es zwischen dem
       wahren Leben der Autorin und dem fiktiven ihrer Protagonistin gibt, könnten
       Jasmin Ramadan und Christiane Tarpenbek kaum unterschiedlicher sein.
       
       Die 42-jährige Schriftstellerin sagt direkt, was sie gut und was sie doof
       findet. In ihrem Blick liegt immer eine Spur Trotz. „Wenn jemand sagt: ‚Ist
       mir doch egal, wenn Flüchtlinge im Meer ertrinken.‘ – Was soll ich so einem
       Menschen denn noch erzählen?“ Sie zuckt die Schultern. „Ganz ehrlich: Da
       ist es doch vorbei. Viele Menschen sind einfach bösartig.“
       
       In Hotel Jasmin geht es um die Angst von dem anderen, die Feindseligkeit
       gegenüber Fremden, um Alltagsrassismus. Obwohl es das zentrale Thema des
       Romans ist, wird es wie beiläufig behandelt, weil im Vordergrund die
       Personen stehen, die ihren Rassismus selbst gar nicht bemerken.
       Geradeheraus plappern sie in ein Ton-Aufnahmegerät, das bei der Suche nach
       der verschwundenen Frau Tarpenbek helfen soll. Dabei sind sie ehrlich und
       direkt, manchmal auch unsicher und unbeholfen.
       
       Ramadan ist in Hamburg Eimsbüttel aufgewachsen. Mit 16 hat sie die Schule
       geschmissen, mit 19 wieder aufgenommen, dazwischen „viel schönen Unsinn
       gemacht“, wie sie sagt. Abitur machte sie, als sie 23 war, dann studiert
       sie 16 Semester Germanistik und Philosophie. Wissenschaftliches Arbeiten
       liegt ihr nicht, dafür sei sie zu versponnen, sagt sie. Geschichten
       hingegen schreibt sie, seit sie schreiben kann. Mit Ende 20 hatte sie ihren
       ersten Roman in der Schublade.
       
       Ein langjähriger Freund von Ramadan ist der Filmemacher Fatih Akin. „Soul
       Kitchen“ war ihr gemeinsames Projekt, Ramadans erster Roman und ein
       Kinoerfolg. Danach schrieb sie „Das Schwein unter den Fischen“ und
       „Kapitalismus und andere Hautkrankheiten“ und einige Kurzgeschichten.
       
       Wenn es jemanden gibt, der sie zum Charakter von Christiane Tarpenbek
       inspiriert hat, dann ihre Oma, überlegt Ramadan. „Die war jedenfalls auch
       typisch deutsch.“ Auch – wie Tarpenbek. Nicht, wie Ramadan, die wegen ihres
       Namens nie als so richtig deutsche Schriftstellerin gilt. „Obwohl ich kein
       Arabisch spreche und keine Ahnung vom Islam habe“, sagt sie.
       
       ## Typisch deutsch
       
       An der Wohnzimmerwand in Eimsbüttel hängt zwischen den Bildern ein Foto von
       Ramadans Großmutter, als sie noch jung war. Ein hellhaariges Mädchen, das
       lächelt und nett aussieht – also nicht gerade so, wie man sich Christiane
       Tarpenbek vorstellt. Tarpenbek, die strenge Soziophobikerin, soll also
       typisch deutsch sein? „Sie ist sehr gehemmt“, erklärt Ramadan, „und das ist
       schon deutsch. Und es stecken auch viele andere Klischees in ihr.“
       
       Jeder habe Klischees über andere im Kopf, sagt die Autorin. Deutsche
       pflegen Klischees über heiße Araber mit dunklen Locken und langen Wimpern.
       Konservative hegen Abneigung gegen KünstlerInnen und Alternative, die einen
       unangepassten Lebensstil pflegen. ÄgypterInnen haben Vorurteile gegenüber
       Deutschen, die alles immer genauso machen wollen, wie sie es gestern schon
       gemacht haben, auch wenn das gar nicht möglich ist. All diese Klischees
       spielen in Hotel Jasmin eine Rolle.
       
       Dass Ramadan über Alltagsrassismus schreiben wollte, wusste sie schon,
       bevor sie mit ihrem Roman anfing. „Und während ich schrieb, ist Deutschland
       entgleist“, sagt sie. Die Wahlerfolge der AfD, tausende TeilnehmerInnen bei
       Pegida, zuvor schon die Morde des NSU, ständige Brandanschläge auf
       Geflüchtetenunterkünfte. Ramadan geht es um den Rassismus der Mitte.
       
       ## Rassist sein will niemand
       
       Im Zentrum der Handlung von Hotel Jasmin steht ein rassistischer Vorfall,
       in den Christiane Tarpenbek verwickelt wird, der sie ihren Job als Lehrerin
       kostet und sie in der Öffentlichkeit als Monster stigmatisiert. Aber
       Christiane Tarpenbek ist eigentlich keine Rassistin, jedenfalls nicht mehr
       als der oder die Durchschnittsdeutsche. Ebenso wenig wollen die anderen
       AkteurInnen RassistInnen sein, die in dem Roman zu Wort kommen. Ihnen allen
       – außer einem – ist es wichtig, zu betonen, dass sie für Rassismus nichts
       übrig haben. Aber alle Figuren entlarven sich schließlich selbst durch ihre
       unreflektierte Sprache und ihre rassistischen Klischees.
       
       Auch Christiane Tarpenbek wird selbst Opfer der Ereignisse, ohne dass sie
       etwas dagegen tun kann. Sie ist schuld und gleichzeitig auch nicht schuld,
       aber sie ist unfähig, den Vorfall richtig zu stellen. Sie kämpft nie für
       sich, denn sie will ja nicht anecken. Ein Beispiel dafür ist der Name ihres
       Sohnes: Er sollte eigentlich Ronald heißen, aber der Standesbeamte trägt
       versehentlich Roland als Namen ein. Sie korrigiert ihn nicht.
       
       Obwohl Roland immer noch besser ist als Ronald, möchte man Christiane
       Tarpenbek weder als Mutter noch als Freundin haben. Und doch bekommt man
       als Leserin gegen Ende des Romans das traurige Gefühl, man werde sie
       vermissen. Dass Christiane Tarbenbek jedoch nicht am Leben hängt und
       niemanden vermissen wird, ist längst klar. Die Vorstellung, dass Figuren
       immer wieder neu aufleben, sobald ein Roman wieder gelesen wird, ist ihr
       persönlicher Horror. Aber den sollte man ihr, bei aller literarischen
       Liebe, nicht ersparen.
       
       Lesung zum Roman „Hotel Jasmin“: 19. Januar, 19 Uhr, Universität Hamburg,
       Café Knallhart, Von-Melle-Park 9, Hamburg
       
       10 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Schipkowski
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Roman
 (DIR) Hamburg
 (DIR) Alltagsrassismus
 (DIR) Fatih Akin
 (DIR) Selfie
 (DIR) Rechtsextremismus
 (DIR) Hamburg
 (DIR) Körper
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kolumne Einfach gesagt: Das Ego-Universum expandiert
       
       Mit Exhibitionismus, Voyeurismus und Neid lässt sich sehr viel Geld
       verdienen und so hat der Kapitalismus die Welt noch ein bisschen mehr
       verhext.
       
 (DIR) Kolumne Einfach gesagt: Alles nur Realitäts-Entertainment
       
       Darf es Rechtsextremisten geben, weil alles eine Berechtigung hat, das
       irgendwem gut tut? „Ja“, sagte der Lover meiner Freundin.
       
 (DIR) Kolumne Einfach gesagt: Alte und neue Währungen
       
       Warum soll ich mich für Bitcoins interessieren? „Wenn sich eine
       Kryptowährung durchsetzt, ist es Zeit für den bewaffneten Widerstand“, sagt
       ein Lehrer.
       
 (DIR) Kolumne Einfach gesagt: Eine perfide Art der Traurigkeit
       
       Ist Sympathie eine Erschlaffung des Geistes? Sympathie ist nichts als
       Mitgefühl. Und das pflegen wir nur mit denjenigen zu haben, die wir mögen.
       Das ist falsch.
       
 (DIR) Bildungsroman in Schräglage: Am Tellerrand des Wahnsinns
       
       Das Exzentrische ist die Regel im neuen Roman der Hamburger Autorin Jasmin
       Ramadan. Erzählt wird "Das Schwein unter den Fischen" aus der Perspektive
       eines Mädchens im Teenie-Alter.
       
 (DIR) Aufbau übernimmt Verlag Blumenbar: Ein richtiger Bestseller kam nie
       
       Der Blumenbar Verlag wird von Aufbau übernommen. Was das für das Programm
       bedeutet, wird die Zeit zeigen. Die Gründer sind optimistisch.