# taz.de -- Integration ins Bildungssystem: Flüchtlingsschüler zu lange unter sich
       
       > Hamburg will zugewanderte Kinder in internationalen Vorbereitungsklassen
       > für die Schule fit machen. Doch besonders für ältere Kinder wird
       > Integration wird so eher verhindert. Wie es anders geht, macht Bremen
       > vor.
       
 (IMG) Bild: Wie Hamburger Kinder als Freunde finden, wenn nur der Lehrer Deutsch spricht?
       
       HAMBURG taz | So einen Schulweg möchte man gern haben. Zumindest das letzte
       Stück. Yasan* fährt jeden Morgen erst mit Bus und U-Bahn zu den Hamburger
       Landungsbrücken und dann mit der Fähre quer über die Elbe nach
       Finkenwerder, wo er seit knapp zwei Jahren die Stadtteilschule besucht.
       Sein Freund Basim* wohnt auf der Finkenwerder Elbseite und kommt deshalb
       mit dem Bus. Die beiden Jungen sind 2014 aus Syrien geflohen und haben dort
       ihre Schullaufbahn abgebrochen.
       
       „Ich habe in Syrien die 10. Klasse fertig gemacht“, berichtet Yasan. Aus
       Angst vor dem Krieg verließ er das Land. Zusammen mit Basim kam er im März
       2015 in eine „internationale Vorbereitungsklasse“, die an der Finkenwerder
       Schule eingerichtet worden war. Doch die Zeit dort sei nicht sehr sinnvoll
       gewesen. „Ganz ehrlich: Wir haben da wenig gelernt. Da waren außer uns
       Afghanen, Iraker, Polen, keiner konnte Deutsch reden.“ Nur der deutsche
       Lehrer hätte die Sprache gekonnt. „Da bringt jeder jedem noch was Falsches
       bei“, sagt sein Freund Basim. „Meiner Meinung nach muss keiner länger als
       vier Monate in der Vorbereitungsklasse bleiben.“
       
       Wir sitzen im Nebenraum der 10. Klasse, die Basim jetzt besucht. Durch ein
       großes Fenster ist zu sehen, wie seine Mitschüler Englisch lernen. Man hört
       eine lustige Sprach-Lern-CD. Englisch ist nicht sein Lieblingsfach, er hat
       dort eine vier auf gymnasialem Niveau, sonst nur Einsen und Zweien. Der
       Junge sei in Mathematik hochbegabt, sagt seine Lehrerin.
       
       ## Abitur ist das Ziel
       
       Beide Jungen konnten ihre Abschlusszeugnisse aus Syrien vorlegen und
       deshalb seit Sommer 2015 eine normale Klasse besuchen: Yasan eine 10. und
       der etwas jüngere Basim eine 9. Seit diesem Schuljahr ist Yasan in die 11.
       Klasse aufgerückt, und Basims Noten sind so gut, dass er im nächsten
       Schuljahr folgen wird. Was sein Ziel für die Zukunft ist? „Abitur“, sagt
       Yasan. „Mehr ist dazu nicht zu sagen.“ „Abitur und ein perfekter Schnitt“,
       ergänzt Basin. Er möchte Medizin studieren.
       
       Szenenwechsel: Im Nachbargebäude lernt eine internationale
       Vorbereitungsklasse, die der Klasse neun entspricht. Es ist kurz nach zehn
       Uhr, die dritte Stunde hat schon begonnen. Konzentriert sitzen 14 Schüler
       im U-förmigen Tische-Kreis über ihren Arbeitsheften. Daneben ein
       Smartphone, jeder darf unbekannte Wörter nachgucken.
       
       Das Konzept der Hamburger Schulbehörde sieht vor, dass die geflüchteten und
       zugewanderten Schüler ab Klasse 9 nicht mehr in Regelklassen übergehen –
       wie Yasan und Basim – sondern zwei Jahre bis zur zehnten Klasse unter sich
       bleiben und am Ende machen, was früher mal Hauptschulabschluss hieß und
       jetzt Erster allgemeinbildender Schulabschluss.
       
       Der Besuch passt gerade nicht. Die Schüler hatten morgens schon zwei
       Stunden Ausfall und wollen an ihren Aufgaben arbeiten. Lehrerin Sonja
       Saatthoff geht von Schüler zu Schüler und hilft bei Fragen. Jeder hat
       unterschiedliche Voraussetzungen, ist auf einem anderen Stand.
       
       ## Ein in sich geschlossenes System
       
       Also erst mal Kaffee trinken im Lehrerzimmer. Er findet das System nicht
       gut, sagt Lehrer Sven Baake, der eine dieser Vorbereitungsklassen führt.
       „Dieser Unterricht ist für die Schüler wie Fremdsprachenunterricht“, sagt
       er. Es entstehe ein „in sich geschlossenes System, quasi eine Schule in der
       Schule“. Er wünsche sich sehr für seine Schüler einen Deutsch sprechenden
       Hamburger zum Freund.
       
       Die 16-jährige Nasrin* zum Beispiel ist so lange wie Yasan und Basim an der
       Schule, doch sie ist bei Sven Baake in der Vorbereitungsklasse geblieben.
       In Syrien war sie in der 7. Klasse, als ihre Fluchtgeschichte begann, darum
       hat sie keinen syrischen Abschluss. Nun möchte sie Kinderpflegerin werden.
       Ihre beste Freundin ist eine Irakerin aus der 8. Klasse, mit der sie sich
       auf Arabisch unterhalten kann. Arm im Arm gehen die Mädchen in der Pause
       über den Schulhof, Nasrin trägt zum schwarzen Mantel ein helles Kopftuch,
       ihre Freundin offenes Haar.
       
       Wie kann Integration in Schule am besten gelingen? Zu dieser Frage gibt es
       in den nächsten Tagen in Hamburg und Bremen einen taz-Salon. Sven Baake ist
       GEW-Mitglied und hat dazu schon im vorigen Sommer ein Papier verfasst. Das
       Hamburger System, findet er, sei zu starr. Er fordert, die
       Vorbereitungsklassen abzuschaffen.
       
       ## Schulbehörde: Integration läuft gut
       
       Denn das Argument, dass die Kinder hier einen Schutzraum hätten und Deutsch
       lernten, könne nur für einen begrenzten Zeitraum gelten. Statt dessen müsse
       für jedes Kind ein Platz in einer Regelklasse freigehalten werden. Es drohe
       sonst eine „MigrantInnenschule“, heißt es auch in einem Beschluss der
       Hamburger GEW-Gewerkschaftstages vom April. Gut als Perspektive für die
       Zukunft sei eine Ablösung der Extra-Klassen durch ein offenes
       Sprachförderzentrum an der Schule, wo die Kinder Deutsch als Zweitsprache
       lernten und schrittweise in normale Klassen integriert würden.
       
       Besonders schlecht sei das System für ältere Kinder, sagt Baake. „Die
       Integration von Kindern, die über 15 sind, findet praktisch nicht statt.“
       Der Weg von Yasan und Bazim, die Abschlusszeugnisse vorweisen könnten, sei
       die seltene Ausnahme. Noch schwieriger werde es für über 16-Jährige. Bei
       dieser Altersgruppe sieht Hamburg regelhaft eine Ausbildungsvorbereitung
       vor.
       
       In der Hamburger Schulbehörde ist man stolz auf das Modell. Das Konzept der
       Vorbereitungsklassen, bei denen die Hälfte der Schüler mit gleicher
       Lehrerzahl wie einer normalen Klasse lernt, habe sich seit den 1990ern
       bewährt. „Die Integration ist in vollem Gange und läuft nach bisherigem
       Kenntnisstand gut“, sagt Landesschulrat Thorsten Altenburg-Hack. Solange
       die Kinder und Jugendliche lediglich über rudimentäre Sprachkenntnisse
       verfügten, seien die separaten Vorbereitungsklassen „zielführend“.
       
       ## Auch Gymnasien nehmen Flüchtlingsschüler
       
       Und es ist eben überhaupt ein Angebot, das in kurzer Zeit geschaffen wurde.
       An über 150 Schulen gibt es inzwischen diese Klassen , darunter auch an 39
       Gymnasien, die auch „sehr motiviert“ seien, so Altenburg-Hack. Dabei werden
       die Kinder nach Doppel-Jahrgängen eingeteilt. Kinder im Schulanfängeralter
       werden noch direkt in die normalen ersten und zweiten Klassen aufgenommen.
       Danach gibt es Vorbereitungsklassen für die Jahrgänge 3 bis 4, 5 bis 6 und
       7 bis 8. Nach spätestens einem Jahr können die Kinder in eine normale
       Klasse wechseln – nur eben nicht in den Vorbereitungsklassen 9 und 10,
       deren Ziel der Hauptschulabschluss, oder, an anderen Schulen als in
       Finkenwerder, auch der Mittlere Schulabschluss ist.
       
       Zurück in der Vorbereitungsklasse von Sonja Saathoff. Die Arbeitsblätter
       sind abgearbeitet, Saathoff hat für die Schüler ein paar Fragen an die
       Tafel geschrieben. Seit wann sind sie hier, wo kommen sie her, was möchten
       sie erreichen? Die Runde ist schnell um. 15- und 16-jährige Jungen und
       Mädchen aus Syrien, Polen, Afghanistan, China, Vietnam und Togo lernen
       hier. Und als die Lehrerin fragt, wer Abitur machen will, gehen alle Hände
       hoch. Doch sie brauchen nach der vorgesehenen Systematik noch anderthalb
       Jahre, bevor sie nach dem Hauptschulabschluss in eine normale 10. Klasse
       wechseln können. „Hier sind Schüler, die unfassbar fleißig sind“, sagt
       Saathoff. „Die könnten in ihrem Heimatland Abitur machen.“
       
       ## In der Freizeit in die Bibliothek
       
       Allerdings ist es im Regelunterricht für sie auch nicht leicht, davon
       können Yasan und Basim ein Lied singen. „In der Oberstufe gibt es nichts
       mehr“, sagt Yasan. Er meint damit: keine Unterstützung, keinen
       Nachteilsausgleich wie beispielsweise längere Zeit zum Lesen der in Deutsch
       formulierten Aufgaben bei einer Klausur. Eine Zeit lang sind sie jeden
       Nachmittag über die Elbe zur Zentralbibliothek am Hauptbahnhof gefahren, um
       an einem der Lesetische für drei, vier Stunden zu lernen. „Wir haben
       Fachbegriffe übersetzt und Arbeitsblätter durchgearbeitet“, berichtet
       Yasan. „Uns fehlt die Fachsprache.“ In Fächern wie Geografie oder
       Geschichte habe er nun Dreien im Zeugnis. Er scherzt: „Ich bin nicht
       befreundet mit diesen Fächern.“
       
       In Syrien müssten Schüler anders lernen, sagt Basim. Referate oder
       Gruppenarbeit gebe es dort nicht. „Die wiederholen nichts, wir müssen dort
       genau nach Buch lernen.“ In Deutschland sei es einfacher vom Stoff her,
       „aber unser Problem ist die deutsche Sprache“. Und das Smartphone auf dem
       Tisch, die Erfahrung hat Yasan gemacht, wird von den Lehrern der Oberstufe
       nicht mehr toleriert. Beide überlegen nun, möglichst einfache Abiturfächer
       zu wählen. Sport zum Beispiel. „Da muss man nur laufen.“
       
       Da sie auch Englisch nur als Schulfach können, sei auch dies keine Hilfe.
       Auf welcher Sprache sie denn denken? „Ich nur auf Arabisch“, sagt Yasan.
       Der stillere Basim überlegt. „Wenn ich abends im Bett über die Schule
       nachdenke, dann denke ich auf Deutsch.“ Die Schule müsse sich diesen
       Kindern und ihrer Lage anpassen, sagt Basins Lehrerin Sabine Meyer, die
       zugleich Förderkoordinatorin ist. Die zugewanderten Schüler bräuchten auch
       in der Oberstufe noch gezielte individuelle sprachliche Unterstützung.
       Meyer: „Die Praxis zeigt uns hier, was gebraucht wird.“
       
       Schule hat für die Kinder eine wichtige soziale Funktion. Für Yasan zum
       Beispiel war es die Konstante in seinem Leben, während er zunächst als
       unbegleiteter minderjähriger Flüchtling in einer Jugendeinrichtung lebte
       und dann, als seine Familie nachkommen durfte, über Monate mit vielen
       Menschen in einer früheren Baumarkthalle. Für fast 1.000 Kinder, die in
       diesen Erstunterkünften leben, gab es über lange Zeit gar keine Schule
       außerhalb ihres Camps, weil die Zuweisung erst mit dem Umzug in eine
       Folgeunterkunft beginnt. Erst Ende Oktober steuerte die Stadt Hamburg um.
       Binnen dreier Monate gelang es der Behörde, 443 Plätze in
       Vorbereitungsklassen zu schaffen.
       
       ## Ab dem ersten Tag in der Klasse
       
       Auch die viel ärmere Stadt Bremen hat Probleme, zügig ausreichend Personal
       und Platz für geflüchtete Schüler bereitzustellen. Doch konzeptionell ging
       sie die Sache anders an. „Bei uns werden die Kinder vom ersten Tag an ins
       Regelsystem übernommen“, sagt Scharajeg Ehsasian, die in der Bremer
       Schulbehörde für die Verteilung zuständig ist. Die Kinder lernen in einem
       „Vorkurs“ die deutsche Sprache, jeden Tag vier Stunden. Den Rest des
       Schultages verbringen sie in einer normalen Klassengemeinschaft. Am Anfang
       nehmen die Flüchtlinge nur am Sport- oder Musikunterricht teil. Je nach
       Sprachniveau und Kenntnisstand kommen Stück für Stück andere Fächer hinzu.
       
       „So stellen wir sicher, dass die Flüchtlingskinder vom ersten Tag an
       Kontakt zu den deutschen Schülern haben“, sagt Ehsasian. Die 28-jährige
       Politologin wurde selbst als Kind iranischer Flüchtlinge in einer
       Notunterkunft geboren, sie kennt die Probleme der Ausgrenzung aus dem
       Bildungssystem. Der Vorkurs dauert in der Grundschule ein halbes Jahr, in
       der Oberschule – so heißt die Bremer Gesamtschule – ein ganzes. Doch in
       beiden Fällen gehören die Kinder schon zu einer Klasse der Schule.
       
       Das Handlungskonzept für Bremen fußt auf einer Expertise, welche die
       Erziehungswissenschaftlerin Yasmin Karakasoglu 2011 für die Stadt
       erstellte. „Schule muss sich darauf einstellen, dass es immer wieder
       Neuzugezogene gibt“, sagt sie. Und nach Möglichkeit geschehe dies im
       Regelsystem und nicht in einem Parallelsystem.
       
       ## Auf dem Schulhof Spielgeräte besetzt
       
       Doch auch in Hamburg gibt es Schulen, die diesen Weg gehen. Die Grundschule
       Langbargheide in Lurup zum Beispiel bekam vor einem Jahr
       Vorbereitungsklassen zugewiesen. „So wie das sein sollte, lief das bei uns
       eigentlich überhaupt nicht“, berichtet Schulleiterin Annette Berg. „Die
       Kinder haben sich nicht an Regeln gehalten, es war dort keine Struktur
       reinzukriegen.“ Die geflüchteten Kinder hätten auch auf dem Schulhof
       Spielgeräte besetzt und andere nicht rangelassen. „Man merkte, die haben
       gelernt zu kämpfen, aber es fehlte ihnen die Sprache.“
       
       Eine Lehrerkollegin, die selbst aus Afghanistan kommt, habe dann den Anstoß
       gegeben. „Sie sagte: ,Ich bin mit zehn nach Deutschland gekommen und habe
       erst angefangen zu lernen, als ich nichts Besonderes mehr war'.“ Die Kinder
       der ersten und zweiten Klassen waren ohnehin integriert, doch das Kollegium
       beschloss nun, auch die Vorbereitungsklassen der Stufe 3 bis 4 aufzuteilen.
       Die Luruper Schule arbeitet ohnehin „jahrgangsübergreifend“ und hat acht
       Klassen der Stufe 3 bis 4. Jede dieser acht Klassen bekam nun zwei Kinder
       aus einer Vorbereitungsklasse dazu. „Jetzt läuft es gut“, sagt die
       Rektorin. „Die Kinder lernen super Deutsch, und die Regeln und Rituale des
       Unterrichts geben ihnen Sicherheit.“ Zusätzlich bekommen die neuen Schüler
       stundenweise Sprachförderung. „Die Kinder baden den ganzen Tag in Sprache“,
       erklärt Annette Berg. „Und wir haben kein Stress mehr auf dem Schulhof.“
       
       Die taz wird herumgeführt, erste Station: die „Wölfe“ im Erdgeschoss eines
       alten Kreuzbaus. Das ist eine Klasse, in der Vorschüler, Erstklässler und
       Zweitklässler zusammen lernen, darunter vier Geflüchtete. Wie das klappt
       mit dem Lernen, wenn ein Kind aus einem anderen Land kommt, will die
       Reporterin wissen. Doch das ist hier offenbar nichts so Besonderes. Zwei
       Kinder stellen sich vor, auch ein Junge, der in Deutschland geboren ist,
       aber dessen Eltern aus einem osteuropäischen Land kommen. „Na, ich rede ja
       wohl auch Russisch mit meinen Eltern“, mischt ein anderer Junge sich ein.
       
       ## Buchstaben in der Basisklasse
       
       Nach einer kurzen Runde im Sitzkreis teilt die Lehrerin die Kinder ein.
       Einige üben mit einem Kartenspiel die Buchstaben, andere die Bildung von
       Silben oder das Lesen von Wörtern. Diese Schritte sind auf der „Leseleiter“
       nachzulesen, die an der Wand hängt. Ein Kind liest noch gar nicht. Es sitzt
       bei der Lehrerin am Tisch und stellt nach einer Musterkarte bunte
       Klötzchentürme auf. Das Kind habe Schweres erlebt, brauche ihre Nähe, sagt
       die Lehrerin Susanne Matzen-Krüger. Sonst sind kaum Unterschiede zwischen
       den Kindern zu sehen.
       
       Ein Stockwerk drüber heißt die Klasse „Die Buchen“. Hier können die Kinder
       schon recht gut lesen. „Märchenwerkstatt“ steht auf dem Plan. Die Lehrerin
       hat eine große Kiste mit Bilderbüchern mitgebracht. „Lies ein Märchen und
       denke dir eine Frage dazu aus“, heißt eine Aufgabe. Ein Junge will Fragen
       zu Rotkäppchen stellen. Mila* ist das geflüchtete Kind in der Klasse. „Es
       wäre gut, wenn jemand Mila* das Märchen Rotkäppchen erzählen könnte“, sagt
       die Lehrerin Sabine Elig. Eine Schülerin meldet sich, geht mit Mila* in den
       Nebenraum. Sehr schnell kommen sie wieder, denn Mila kennt das Märchen
       schon.
       
       Zunächst soll sie Karten mit Silben zu Worten sortieren „Pi-“ mit „-lot“ zu
       „Pilot“ zum Beispiel. Stufe drei auf der „Leseleiter“, sie ist recht
       schnell damit, notiert die Wörter mit kleinen Bildchen in ihr Heft. Das
       Mädchen ist neun oder zehn, kann schon Deutsch sprechen, weiß sich zu
       helfen. Die Stunde geht dem Ende zu, der Junge stellt seine
       Rotkäppchen-Frage: „Warum ist der Jäger zum Haus der Großmutter gegangen?“
       Mila* meldet sich: „Was heißt Jäger?“
       
       Aber fehlt den Kindern ohne die geschlossene Vorbereitungsklasse nicht auch
       ein Jahr Schonzeit? „Wir haben Spielraum, wie wir die Kinder die einstufen,
       mehr auf Stufe drei oder vier“, sagt Schulleiterin Berg, je nachdem könnten
       die Kinder ein Jahr länger bleiben. Nicht sinnvoll sei es, sie mit Beginn
       der Pubertät noch in der Grundschule zu halten. Das heißt, entweder geht es
       in die fünfte Klasse einer Stadtteilschule, eines Gymnasiums oder in die
       Vorbereitungsklasse 5 bis 6. „Das wird bei jedem Kind anhand der
       individuellen Entwicklungspläne entschieden.“
       
       Eine Etage höher, im obersten Stock des Kreuzbaus, sind die „Kiefern“, die
       Buchen-Klassensprecherinnen bringen mich hin. Hier gibt es nun doch eine
       Sonderform: die Basisklasse, für Kinder, die noch nicht lateinisch
       alphabetisiert sind. Zwölf Monate lernen sie hier gezielt die Buchstaben
       kennen, bevor sie zu den anderen Kindern kommen. Da die Kinder schon älter
       sind, gehe es schneller als bei Erstklässlern, sagt Lehrerin Lisa Radig.
       
       ## Lehrer gehen auch in Erstunterkunft
       
       Auch hier wieder eine nette Begrüßungsrunde im Sitzkreis. Zehn Kinder aus
       Afghanistan, Irak und Syrien, alle neun, zehn oder elf Jahre alt, fast alle
       schon ein Jahr oder länger in Deutschland. Manche kennen die Lehrerin Radig
       schon, weil sie morgens auch eine Lerngruppe in der Erstunterkunft
       Schnackenburgallee unterrichtet. Manche kommen auch aus anderen Städten.
       Nadim* erzählt aufgeregt, dass er die kleine Hannah* von dort kennt. Was
       gut ist an der Schule? „Gut sind Lehrer“, sagt Nadim. Aber es gebe Kinder,
       die nicht gut sind. „Es gibt Kinder, die spielen nicht mit mir.“ Ein Junge
       neben ihm seufzt und sagt auf: „Wir sollen nicht hauen, und nicht schlagen
       und nicht beleidigen.“ Und nicht schubsen, und leise sein, und lernen,
       nicht stressig zu sein, diese Regeln stehen auch hinter ihm an der Wand.
       
       Die Stunde ist vorbei. Die Kinder flitzen die Treppen runter nach draußen.
       Die Reporterin geht auch, doch die Tür ist zu, und sie muss durch den
       Hinterausgang und einen Umweg über den Schulhof nehmen. Neben dem
       Hausmeisterbüro spielt eine Gruppe Kinder etwas Abseits im Gebüsch, ein
       Baumstamm ist der Tisch, darauf liegen Filzstifte und kleine Zettel. Mit
       dabei sind Hannah und ihre um einen Kopf größere Freundin, die die anderen
       dirigiert.
       
       Was sie da Geheimes machen? Hannah lacht verlegen. „Wir spielen Schule.“
       
       Lehrer Sven Baake hat von der Luruper Lösung gehört. „In Grundschulen wird
       immer viel erlaubt“, sagt er. „Ich wünschte mir, das so etwas auch bei uns
       möglich ist.“
       
       *Namen geändert
       
       12 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kaija Kutter
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Integrationskurs
 (DIR) Integration
 (DIR) Stadtteilschule
 (DIR) Zuwanderung
 (DIR) Chancengleichheit
 (DIR) Schulbehörde Hamburg
 (DIR) Schule
 (DIR) Schulbehörde Hamburg
 (DIR) Integration
 (DIR) Flüchtlinge in Niedersachsen
 (DIR) Schwerpunkt taz Leipzig
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Minderjährige Geflüchtete
 (DIR) Schweden
 (DIR) Integration
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Unterricht für geflüchtete Kinder: Direkt in die Schule ist besser
       
       Hamburg sollte Kinder nicht in separate Vorbereitungsklassen schicken, sagt
       die Linke. Sie beruft sich auf eine Studie, die Fünftklässler vergleicht.
       
 (DIR) Flucht aus der Ukraine: Schulpflicht gilt für alle Kinder
       
       In Hamburg beginnt nach den Ferien auch die Schule für tausende
       Geflüchtete. Behörde sucht Lehrer für 300 Klassen. Kitas nehmen mehr Kinder
       auf.
       
 (DIR) Integration an Hamburger Schulen: Bei Mathe Deutsch lernen
       
       Hamburg setzt bei der Flüchtlingsbeschulung darauf, auch im Fachunterricht
       Deutschkenntnisse zu erweitern. Das entsprechende Modellprojekt geht nun in
       Serie.
       
 (DIR) Studie zu Integration: Sehnsucht nach Schule
       
       Eine Studie zur Integration von Geflüchteten ins deutsche Schulsystem zeigt
       erhebliche Mängel auf. Die GEW fordert zur Verbesserung mehr Personal und
       Mittel.
       
 (DIR) Zu wenig Lehrer: Schule aus für Flüchtlinge
       
       In Bramsche-Hesepe fehlen nach den Ferien Lehrer an zwei Schulen für
       Asylsuchende. Ersatz ist nicht in Sicht.
       
 (DIR) Austauschprogramm an der Uni Leipzig: Fragwürdige Partnerschaften
       
       Das Panda-Programm lockt chinesische Studierende an die Uni Leipzig.
       Nachdem Kritik daran aufkam, prüft die Hochschule nun die
       Kooperationspartner.
       
 (DIR) Kommentar Flüchtlingskinder-Betreuung: Keine Kinder zweiter Klasse
       
       Kinder in Flüchtlingsunterkünften haben die beste Betreuung verdient. Die
       Zeit, in der Provisorien geduldet werden konnten, ist vorbei.
       
 (DIR) Betreuung zweiter Klasse: Hamburg spart bei Flüchtlingskindern
       
       In der Erstaufnahme Papenreye wurde eine „Kita“ eröffnet, doch die Zusage
       fürs Personal fehlt. In reguläre Kitas kommen die wenigsten – obwohl viele
       Anspruch hätten.
       
 (DIR) Bundesländer sparen bei Flüchtlingen: Jugendhilfe zweiter Klasse
       
       Die Länderchefs fordern ein Sondergesetz zur Betreuung unbegleiteter
       minderjähriger Flüchtlinge. Jugendhilfe-Verbände zeigen sich empört.
       
 (DIR) Schlechte Bildungschancen für Geflüchtete: Zu lange unter sich
       
       Weil Folgeunterkünfte nicht fertig sind, können rund 900 Kinder in
       Erstaufnahmen nicht zur Schule gehen. Behörde will das jetzt für ältere
       Kinder ändern
       
 (DIR) Umgang mit Geflüchteten in Schweden: Abschiebung von Kindern stoppen
       
       Einem Großteil der minderjährigen Geflüchteten droht in Schweden die
       Zwangsausweisung. Initiativen fordern eine Einhaltung der
       UN-Kinderkonventionen.
       
 (DIR) Flüchtlingskinder gestalten Schulbücher: M wie Marienkäfer
       
       Nach Berlin geflüchtete Kinder zeichnen ein Bildwörterbuch zum
       Deutschlernen – und geben damit auch einen Einblick in ihre Welt.