# taz.de -- Debatte Politische Kunst der Documenta: Sorgenfalten des Kapitalismus
       
       > Die Documenta in Athen will neoliberale Politik am Schauplatz der
       > Austeritätspolitik kritisieren. Sie verliert sich dabei in
       > Allgemeinplätzen.
       
 (IMG) Bild: Lieber aufs Handy gucken: Politische Kunst ist oft ganz schön öde
       
       Documenta is the Botox of Capitalism“. Die Umhängetasche mit diesem Spruch,
       mit der ein Biennale-Aktivist zur Eröffnung über die Documenta 14 in Athen
       flanierte, war natürlich eine populistische Provokation. Ganz abwegig ist
       der böse Slogan indes nicht.
       
       Viele, wenn auch nicht alle der derzeit fast 200 Biennalen auf der Welt
       verdanken sich politischen Instrumentalisierungen. Sie dienen dem Nation
       Building. Sie heizen die Spektakelkultur an, oder sie verdanken ihre
       Existenz dem lokalen Stadtmarketing. Und auch die Schau in Hellas ließe
       sich als Geste kultureller Wiedergutmachung für die von der
       Austeritätspolitik Angela Merkels und Wolfgang Schäubles hinterlassenen
       Wunden lesen. Stammt doch der überwiegende Teil des Geldes, das die
       Documenta dort konjunkturfördernd ausgibt, von den deutschen Steuerzahlern.
       
       Doch wenn man der Schau des Kurators [1][Adam Szymczyk] etwas nicht
       nachsagen kann, dann dass sie als Nervengift eines Systems dienen würde,
       das seinen Verfallsprozess kaschieren will. Dazu legt die Documenta die
       Finger zu sehr in die Wunden, die ein solches System lieber übertünchen
       würde. Die geballte Ladung der dort noch bis Mitte Juli gezeigten
       „political and social engaged art“ lässt die Documenta eher wie die
       künstlichen Sorgenfalten des Kapitalismus erscheinen. Denn irgendetwas
       geändert an der Krise in Griechenland hat die Schau nicht. Wenige Wochen
       nach der Eröffnung musste die linke Syriza-Regierung ein [2][weiteres
       rigides Sparpaket] der Gläubiger, das weitere Einschnitte vor allem für
       RentnerInnen und die Mittelschicht bedeutet, akzeptieren.
       
       Und wie zum Hohn auf den Geist des Widerstands, den die Documenta vor Ort
       ausbreitete, übernahm die Frankfurter Firma Fraport kürzlich 14 griechische
       Regionalflughäfen von der Privatisierungsgesellschaft, über die der
       griechische Staat sein infrastrukturelles Tafelsilber verscherbeln muss.
       Eine Transaktion, die Ministerpräsident Alexis Tsipras noch 2014 als
       „Ausverkauf“ bezeichnet hatte. Gegen Manöver dieser Dimension müssen die
       sechzig kostenlosen „Kunstmahlzeiten“, die der pakistanischbritische
       Künstler Rasheed Araeen täglich in einer Blockhütte auf Athens
       Kotzias-Platz verteilt, fast sarkastisch wirken.
       
       Symczyks Ausstellung samt dem Motto „[3][Von Athen lernen]“ war immer
       gefährlich nah an der aktuellen politischen Konfliktlage gebaut. Nicht nur
       was ihre ubiquitäre Zurschaustellung, sondern auch was ihre reale Wirkmacht
       betrifft, demonstriert die Documenta 14 damit keinen Höhepunkt, sondern
       vielmehr einen neuen Höhepunkt der Krise der politischen Kunst, deren
       Revival derzeit allenthalben beschworen wird.
       
       Die Politisierung, mit der sich fast alle Biennalen legitimieren zu müssen
       glauben, inflationiert das Genre, seine Hervorbringungen wirken schnell
       produziert, illustrativ und seltsam zahnlos. Biennalen sind inzwischen
       Stellvertreterkriege des Ringens um Frieden und globale Wohlfahrt. Doch es
       kann der Kunst auf Dauer nur schaden, wenn sie partout den Raum besetzen
       will, den linke Politik füllen müsste.
       
       Das größere Legitimationsproblem der jüngsten Documenta ist freilich ein
       anderes. Das wahllose Potpourri vom Postkolonialismus über die Migration
       bis zur Genderidentität, das Szymczyk und seine Kuratoren in den Athener
       Ausstellungsorten auffächern, hätte jeder x-beliebigen Politkunstbiennale
       zur Ehre gereicht. Nicht aber einer Schau, die mit einem derartigen
       Anspruch angetreten war und eine derartige Zäsur in der
       Documenta-Geschichte markiert.
       
       Dafür, dass die Schau zum ersten Mal außerhalb von Kassel eröffnete, hätte
       man sich ein konzentriertes Statement zu dem gewünscht, für das Athen
       tatsächlich steht: die Verkettung von Ökonomie, Macht und Demokratie unter
       neoliberalen Vorzeichen. So überzeugend, [4][wie es Carolyn
       Christov-Bakargievs 2012 in Kabul gelungen war], das Documenta-Grundmotiv
       von „Collapse and Recovery“ auf den ästhetischen Punkt zu bringen.
       
       ## Im Spießerherzen des Westens
       
       Je mehr sich Szymczyk von seinem ursprünglichen Motto entfernte, desto mehr
       musste man den Eindruck gewinnen, dem Kurator sei es weniger darum
       gegangen, „von Athen“ zu „lernen“, als darum, ein ungeliebtes Symbol der
       transatlantischen Dominanz der Kunstwelt zu dekonstruieren.
       
       Schon in seiner Antrittserklärung kurz nach seiner Wahl hatte er das
       „Privileg“ von Kassels Gastgeberrolle und die Annahme von der Documenta als
       „Einheit von Handlung, Ort und Zeit“ demonstrativ verabschiedet. „Die
       Dopplung gehört nun untrennbar zur Documenta“, freute sich Szymczyk während
       der Eröffnung über die Ausgabe außer Haus.
       
       Mit diesem Ansatz kommt er reichlich spät. Schließlich hatte schon der
       Nigerianer Okwui Enwezor mit seinen der eigentlichen Ausstellung
       vorgeschalteten „platforms“ in Neu-Delhi, St. Lucia und Lagos die Schau
       „deterritorialisiert“. Und seine Documenta XI, 2002, bewies, dass gerade im
       Kontrast zu der stinknormalen westlichen Mainstreamkulisse Kassels die
       historische Botschaft einer postkolonialen Kunstwelt überzeugender zur
       Geltung kam, als sie es je in Johannesburg oder Dhaka gekonnt hätte. Das
       Ende des transatlantischen Imperiums verkündete Enwezor in dessen
       Spießerherzen.
       
       ## Gute Kunst ist nie ortsgebunden
       
       Um dem abgehängten „Süden“ politisch und ästhetisch Geltung zu verschaffen,
       hätte Szymczyk also nicht nach Athen gehen müssen. Gute Kunst ist nie
       ortsgebunden. Ihre Wirkung ist eine Frage der Qualität und dessen, wie gut
       sie den ästhetischen Paradigmenwechsel für ein Massenpublikum sinnfällig
       Gestalt gewinnen lässt.
       
       So durchwachsen das ästhetische Ergebnis von Adam Szymczyks Documenta auch
       ausfällt, so sehr könnte seine Strategie der „Zweiteilung“ der Weltschau
       doch den Weg in eine Zukunft ebnen, die auch einer progressiven Ästhetik
       nicht wirklich behagen kann. Die Zukunft einer Wanderbiennale zur
       Illuminierung aller Krisenherde dieser Welt von Kapstadt bis Damaskus,
       statt der Sisyphosarbeit, alle fünf Jahre neu den state of the arts zu
       irritierender, unvorhersehbarer Anschauung zu bringen.
       
       Die Findungskommission, die im Herbst die künstlerische Leitung der
       Documenta 15 bestimmen wird, steht vor einer richtungweisenden Entscheidung
       für die Zukunft der Schau.
       
       7 Jun 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /!5396633/
 (DIR) [2] /!5410019/
 (DIR) [3] /!5030013/
 (DIR) [4] /!5092580/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arend
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Documenta
 (DIR) Okwui Enwezor
 (DIR) Kassel
 (DIR) Schwerpunkt Krise in Griechenland
 (DIR) Athen
 (DIR) zeitgenössische Kunst
 (DIR) Politische Kunst
 (DIR) Documenta
 (DIR) Documenta
 (DIR) Biennale
 (DIR) Documenta
 (DIR) Ausstellung
 (DIR) Schwerpunkt Krise in Griechenland
 (DIR) Documenta
 (DIR) zeitgenössische Kunst
 (DIR) Documenta
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Kassel
 (DIR) Adam Szymczyk
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Geschichte der documenta: Aus dem mythischen Dunkel
       
       Eine Ausstellung in Kassel und ein Symposium in Berlin erforschen die
       Geschichte der documenta. Einige Spuren führen in die NS-Vergangenheit.
       
 (DIR) Griechische Künstlerin über documenta: „Eine geschlossene Gesellschaft“
       
       Christina Dimitriadis kritisiert die problematische Inszenierung der
       Ausstellung im armen Athen und die unpassende Vokabel „Unlearning“.
       
 (DIR) Osnabrück zeigt türkische Biennale: Heimat ist, wo mein Fetisch ist
       
       Nach einer Rufmordkampagne gegen die Kuratorin wurde die Biennale von
       Çanakkale erstmal abgesagt. Jetzt läuft sie doch – in Niedersachsen.
       
 (DIR) „documenta“ in Kassel: Das Tier in der Kunst
       
       Von Athen nach Kassel reiten: Im documenta-Projekt „The Transit of Hermes“
       von Ross Birell ist ein Hengst Protagonist der Kunst.
       
 (DIR) „Skulptur Projekte Münster“ 2017: Über Wasser wandeln im Münsterland
       
       Erfrischend, sprudelnd, ästhetisch überzeugend: Die „Skulptur Projekte
       Münster“ retten das Kunstjahr 2017 mit einer aufgebrochenen Eissporthalle.
       
 (DIR) Alltag in Griechenland: Die Kunst, von 300 Euro zu leben
       
       Die Rentnerin Anna Zoi versucht, die kleinen Freuden des Lebens zu
       genießen. Ein Kunstwerk der Documenta hilft ihr dabei.
       
 (DIR) Documenta 14 eröffnet in Kassel: Importware aus Griechenland
       
       Nach dem Start in Athen beginnt die documenta 14 nun auch in Kassel. Auch
       dort fällt auf, dass sie in der Stadt wenig sichtbar ist.
       
 (DIR) documenta 14 eröffnet in Athen: Kunst und politische Verantwortung
       
       Gegen Voreingenommenheit, für Mut zur Lücke: Die documenta 14 fordert ihre
       Besucher auf, den Kopf frei zu machen. Das ist auch politisch gemeint.
       
 (DIR) Ein Jahr vor der Documenta 14: Den Spieß umdrehen
       
       „Von Athen lernen“ ist ein Motto der nächsten Documenta. Doch die Skepsis
       wächst, was genau die Schau von der Stadt „lernen“ will.
       
 (DIR) 14. Documenta in Kassel und Athen: Kein Halt in Idomeni
       
       Die 14. Documenta hat eine Flugverbindung nach Athen eingerichtet, auch
       dort findet die Ausstellung statt. Fehlt da nicht was?
       
 (DIR) Dokumenta 14-Chef Adam Szymczyk: Lernen in Athen
       
       Als die beiden Veranstaltungsorte Kassel und Athen für die Dokumenta 14
       festgelegt wurden, war die Griechenlandpleite noch nicht in Sicht.
       
 (DIR) Documenta 2017: Sehnsucht nach Transformation
       
       „Von Athen lernen“: Das ist der Titel der Documenta 2017. Ihr Kurator will
       sie in Athen und Kassel ansiedeln, um die Perspektive zu wechseln.