# taz.de -- Verfilmung von „The Circle“: Zeigefinger auf's Netz
       
       > Dystopie im Technologiekonzern: James Ponsoldts Verfilmung des
       > Bestsellers „The Circle“ funktioniert besser als Dave Eggers'
       > Buchvorlage.
       
 (IMG) Bild: Glasfassaden statt graue Arbeitskabinen: Mae (Emma Watson) wechselt ihren Job
       
       Wenn heutzutage gesellschaftliche Entwicklungen beklagt werden, so richtet
       sich der Zeigefinger unweigerlich in Richtung Internet. Vom Wahlausgang bis
       zur Selbstmordrate, von der Sexualmoral bis zum Musikgeschmack gibt es kaum
       ein Thema, das unbeeinflusst davon scheint.
       
       Mehr und mehr sind dabei die Technologiekonzerne, die kürzlich noch als hip
       und fortschrittlich galten, als sinistre Datensammler in Verruf geraten.
       Zunehmend stellt sie nun auch das Kino als die neuen Bösewichte dar, deren
       „Traum“, ganz nach alter James-Bond-Logik, nur die Weltherrschaft sein
       kann.
       
       In James Ponsoldts Verfilmung des dystopischen Romans „The Circle“ von Dave
       Eggers glaubt die Hauptfigur Mae (Emma Watson) zu Beginn noch an das tolle
       Image des Circle-Konzerns, der als eine Mischung aus Google, Apple und
       Paypal markiert ist. Maes Jubel angesichts der Möglichkeit, ihren traurigen
       Job im Kundenservice einer namenlosen Firma für die Anstellung bei der
       hippen Datenfirma einzutauschen, inszeniert der Film mehr als einleuchtend:
       Wer würde statt in grauen Arbeitskabinen nicht lieber hinter den
       Glasfassaden des Circle-Geländes arbeiten, wo Arbeits- und
       Freizeitarchitektur wie nahtlos ineinander übergehen und eine
       Universitätsatmosphäre mit Fitnessangeboten und veganer Cafeteria lockt?
       Ein bisschen aufdringliches New-Age-Gerede ließe man sich dafür schon
       gefallen.
       
       Wenn auch zumindest der europäische Zuschauer wohl misstrauisch aufhorcht,
       sobald von „ein Konto für alle Internetfunktionen“ die Rede ist – offenbar
       das Geschäftsmodell, mit dem der Circle-Konzern seinen Erfolg begründet.
       Auch der keineswegs subtile Zwang, der auf Mae bald schon ausgeübt wird, um
       sie zu mehr Teilhabe auf den Social-Media-Kanälen zu bewegen, erscheint dem
       Zuschauer keineswegs so harmlos wie der gestressten Hauptfigur. Mae jedoch
       lässt sich leicht überzeugen. Und ja, leider besteht die Handlung des Films
       dann im Großen und Ganzen daraus, aufzuzeigen, wie lange es dauert, bis sie
       es bereut.
       
       Die Naivität der Hauptfigur und die Absehbarkeit der Handlung übernimmt
       Ponsoldts Verfilmung aus der Vorlage. Schon Eggers’ Roman machte sich keine
       Mühe damit, Mae als Frau mit eigenem Kopf glaubwürdig zu machen. Sie ist
       reines Vehikel, das zuerst der „schönen neuen Welt“ des Circle-Konzerns
       aufsitzt und darin aufsteigt, bis ihr die Augen geöffnet werden – obendrein
       mit Hilfe eines Mannes: John Boyega spielt den mysteriösen
       Circle-Mitbegründer, der in den Katakomben des Konzerns herumirrt, aber
       ausgerechnet Mae zu seinem Schützling wählt.
       
       ## Vollkommen irreale Figuren
       
       Mit seiner Hilfe wird sie die üble Gesinnung hinter den Taten des
       Konzernchefs Bailey (Tom Hanks) aufdecken. Soll man es Emma Watson
       übelnehmen, dass sie ihre doppelt fremdgesteuerte Figur unglaubwürdig
       macht, indem sie sie fast mit der selbstverständlichen Intelligenz
       darstellt wie einst ihre Hermine in den „Harry Potter“-Filmen?
       
       Ähnliches gilt im Übrigen für den ganzen Film, der in seiner Inszenierung
       besser argumentiert, als Eggers’ polemischer Roman es tut. Tom Hanks etwa
       in der Rolle des Konzernchefs, der Betriebsversammlungen im Stil von Steve
       Jobs’ Produktpräsentationen abhält, verleiht seiner Figur eine
       verführerische Lockerheit, die glaubhaft überblendet, dass sein Vorschlag,
       Politiker durch Rundumbeobachtung zur Verantwortung zu ziehen, dem
       Totalitarismus in die Hände spielt.
       
       Die Unübersichtlichkeit der Social Media bringt der Film auch gut auf den
       Punkt, als Mae sich zur „vollen Transparenz“ im Selbstversuch entschließt
       und sich von live übertragenden Circle-Kameras durch den Tag begleiten
       lässt. Fortan wandern User-Kommentare als treibende Sprechblasen durchs
       Bild – in ihrer ganzen monströsen Vielstimmigkeit: von Ermutigungfloskeln
       über kleinliche Beschwerden bis zu zusammenhangslosen Klagen wie „Meine
       Freundin hat mich verlassen“ ist alles dabei.
       
       Film wie Buch kranken dennoch am gleichen Phänomen: Die Themen
       Datensicherheit, Internetmob, Überwachungsstaat gehören zu den wichtigsten
       unsrer Zeit. Die Gefahren, die „The Circle“ ausmalt, sind alle real. Aber
       leider erscheinen die Figuren, die sich im Film durch diese Fragen
       navigieren, vollkommen irreal. Sie teilen sich auf in blinde Mitläufer, die
       ihre eigene Überwachung bejubeln, und wenige außenstehende Skeptiker. Das
       Mittendrin, in dem alle stehen, die das Internet und die sozialen Medien
       benutzen, aber die Macht über die eigenen Daten behalten wollen, das kommt
       hier nicht vor.
       
       6 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Schweizerhof
       
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