# taz.de -- Debatte Finanzkasino: Liberale Verrücktheiten
       
       > Die FDP hat die Eurokrise nicht verstanden. Sollte Christian Lindner
       > Finanzminister werden, kann das der Untergang der Liberalen werden.
       
 (IMG) Bild: Die Wettbewerbsbedingungen in der Eurozone werden also verzerrt – zugunsten von Deutschland
       
       FDP-Chef Christian Lindner kokettiert damit, dass er [1][deutscher
       Finanzminister werden könnte]. Man kann nur hoffen, auch für ihn, dass er
       sich doch noch fürs Außenamt erwärmt. Denn die FDP würde scheitern, falls
       sie das Finanzministerium besetzt. Die Liberalen behaupten zwar, eine
       „Wirtschaftspartei“ zu sein, aber die Eurokrise haben sie nicht verstanden.
       
       Der zentrale Irrtum: Die Liberalen glauben, dass ein Staat wie ein
       Unternehmen funktioniert. Wer „pleite“ ist, soll in die „Staatsinsolvenz“.
       Ein Euroland wie Italien würde also [2][behandelt wie Air Berlin]. Die
       marode Fluggesellschaft wird gerade abgewickelt, weil der Schuldenberg
       erdrückend ist.
       
       Für die normalen Bürger ist dies weitgehend egal, denn die Hauptverlierer
       sind die Gläubiger: Wer Air Berlin Geld geliehen hat, wird nur wenig davon
       wiedersehen. Genauso stellen es sich die Liberalen auch bei den Eurostaaten
       vor: Gerät ein Land in Schieflage, würde nicht mehr die Eurozone haften.
       Sondern die Banken und Versicherungen sollen bluten, die diesem Land
       Kredite gewährt haben. „Bail-in“ heißt dies auf Finanzdeutsch.
       
       Diese Idee mag einleuchtend klingen, ist aber mehrfach verrückt. Man stelle
       sich einmal vor, die europäischen Banken und Versicherungen müssten
       tatsächlich ihre Milliardenkredite an Italien abschreiben: Die
       Finanzkonzerne wären alle pleite. Also müsste der deutsche Staat doch
       einspringen – und beispielsweise die Allianz retten, damit Kleinsparer
       nicht ihre Lebensversicherung verlieren. Die FDP offeriert nur eine
       Scheinlösung, wenn sie „Staatsinsolvenzen“ fordert.
       
       Zudem haben Staatsinsolvenzen fatale Nebenwirkungen, die niemand mehr
       kontrollieren kann. Gerade die Liberalen sollten dies wissen: Sie haben von
       2009 bis 2013 den Wirtschaftsminister gestellt, haben also die besonders
       turbulenten Zeiten der Eurokrise erlebt – und zu verantworten. Man hätte
       erwarten können, dass sie aus ihren Irrtümern lernen.
       
       ## Vertrauen in den Euro zerstört
       
       Zu diesen Fehlern gehörte, Griechenland in eine „Staatsinsolvenz“ zu
       schicken. Wie bei einem konkursreifen Unternehmen kam es 2012 zu einem
       „Schuldenschnitt“, bei dem die Besitzer von griechischen Staatsanleihen
       einen großen Teil ihres Vermögens verloren. Es wurde nach dem beliebten
       Motto verfahren: Strafe muss sein. Wenn Banken und Versicherungen so
       leichtsinnig waren, Griechenland allzu viel Geld zu leihen, dann sollten
       sie dafür büßen.
       
       Menschlich war dieser Sinn für Rache vielleicht verständlich, dumm war es
       trotzdem. Denn der Schaden ist bis heute zu spüren: Das Vertrauen in den
       Euro wurde zerstört. Seit dem griechischen Schuldenschnitt gilt es als
       denkbar, dass weitere Eurostaaten oder Banken Konkurs anmelden.
       
       Geld aber basiert auf Vertrauen, sonst verliert es seinen Wert. Daher gibt
       es jetzt nicht mehr einen Euro, sondern 19 verschiedene Euros: Ein
       griechischer oder italienischer Euro ist nicht mehr so viel wert wie ein
       deutscher Euro. Die Währungsunion wird von innen gesprengt, noch während
       sie existiert.
       
       Dieses seltsame Phänomen spielt sich nicht etwa im Geheimen ab, sondern
       bewegt fast jeden Europäer, der über sein Vermögen nachdenkt. Ob Griechen,
       Spanier oder Italiener – sie alle glauben, dass das Geld in Deutschland
       besonders sicher sei, während es in ihren Heimatländern gefährdet sein
       könnte. Also transferieren sie ihr Finanzvermögen zumindest teilweise nach
       Deutschland, damit es seinen Wert behält, falls es in der Eurozone zu
       weiteren Turbulenzen kommt.
       
       ## Der deutsche Euro
       
       Aus einem griechischen, italienischen oder spanischen Euro wird also ein
       deutscher Euro gemacht. Umgekehrt ziehen Deutsche ihr Geld aus dem Ausland
       ab, weil ihnen Deutschland natürlich ebenfalls am sichersten erscheint.
       Diese gemeinsame Kapitalflucht erreicht gigantische Ausmaße, vor allem in
       Krisenzeiten: Zeitweise wurden in Deutschland rund 750 Milliarden Euro
       geparkt.
       
       Diese Wanderschaft der Finanzvermögen hat leider Folgen: Ein italienisches
       Unternehmen muss für einen Kredit weit mehr Zinsen zahlen als eine deutsche
       Firma, selbst wenn beide Betriebe gleich erfolgreich sind. Die
       Wettbewerbsbedingungen in der Eurozone werden also verzerrt – und zwar
       zugunsten von Deutschland. Dies ist kein Grund zur Freude, auch nicht für
       Deutsche, denn eine Währungsunion kann nicht überleben, wenn sie nicht
       allen Ländern die gleichen Chancen bietet.
       
       Aber was wäre die Alternative gewesen? Es ist ja unbestritten, dass
       Griechenland entschuldet werden musste. Wie man es richtig macht, hat
       Irland vorgeführt, das ebenfalls überschuldet war, nachdem es ab 2008 seine
       maroden Banken retten musste. Aber Irland hat keine „Staatsinsolvenz“
       hingelegt, sondern im Frühjahr 2013 einfach einen Teil seiner Schulden zur
       irischen Notenbank verschoben.
       
       ## Schulden verlagern
       
       Es ist eine überaus elegante Lösung, Schuldenkrisen zu lösen, indem die
       Zentralbank einspringt. Doch die Deutschen blockieren diesen Weg meistens,
       weil sie fürchten, dass hemmungslos Geld „gedruckt“ würde. Dies ist erneut
       ein Missverständnis: Es wird kein neues Geld geschaffen, sondern bereits
       existierende Schulden werden nur verlagert. Das Geld ist längst im Umlauf.
       
       Viele Deutsche halten es für einen Sündenfall, wenn eine Notenbank
       Staatsanleihen aufkauft oder Staatsschulden prolongiert. Diese Abscheu wird
       jedoch von niemandem sonst geteilt: Die US-Notenbank Fed, die Bank von
       England und die japanische Zentralbank springen in einer Krise immer ein.
       
       Lindner steckt momentan in einem Dilemma fest: Das liberale Euro-Programm
       setzt so einfältig auf „Staatsinsolvenz“, weil viele FDP-Abgeordnete
       genauso simpel denken. Lindner kann seine Basis nicht enttäuschen, muss
       aber gleichzeitig verhindern, dass die „Staatsinsolvenz“ irgendwie
       praktisch wird. Denn als reale Politik würde sie den Euro gefährden – von
       dem die deutsche Wirtschaft enorm profitiert. Der einfachste Ausweg wäre,
       sich ins Außenministerium abzusetzen und die Eurokrise der Union zu
       überlassen. Wie schlau Lindner ist, werden die nächsten Wochen zeigen.
       
       17 Oct 2017
       
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