# taz.de -- Neues Buch „Club der Nobelpreisträger“: Eine Villa für die Wissenschaft
       
       > Ein Sachbuch widmet sich dem Harnack-Haus, wo sich Wissenschaft und
       > Wirtschaft begegnen. Und den Höhen und Tiefen deutscher Forschung.
       
 (IMG) Bild: Ein Wissenschaftskongress im Berliner Harnack-Haus, 1929
       
       Wissenschaft produziert nicht nur Forschungsergebnisse, sondern auch
       Heldengeschichten. Diese Wissenschafts-Narrative, ob in positiver oder
       kritisierender Tonlage, sind häufig an Orte gebunden – Labore, Hochschulen,
       Kreativ-Biotope. Der Wissenschaftsjournalist Michael Kröher hat das
       Harnack-Haus in Berlin gewählt, um vor dieser Kulisse – dem „Club der
       Nobelpreisträger“, so auch der Titel seines Buches – die Höhen und Tiefen
       der deutschen Wissenschaftsgeschichte darzustellen.
       
       Das Harnack-Haus befindet sich im Süden Berlins, dem Villenviertel Dahlem,
       das heute wissenschaftlich von der Freien Universität (FU) dominiert wird.
       Vor hundert Jahren entstand hier das „deutsche Oxford“: die ersten
       außeruniversitären Forschungsinstitute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft
       (KWG), des Vorläufers der heutigen Max-Planck-Gesellschaft (MPG). Um einen
       Treffpunkt zu schaffen, an dem sich Wissenschaft mit Gesellschaft und
       Wirtschaft austauschen konnten, wurde 1929 das Harnack-Haus errichtet.
       Namensgeber war der damalige Präsident der KWG, der Theologe Adolf von
       Harnack. Heute dient das Haus im Besitz der MPG als Konferenzstätte und
       Hotel.
       
       Die anfangs glückliche Zeit der autonomen Gelehrtenrepublik, in der viele
       Nobelpreisträger ein und aus gingen, währte nur wenige Jahre. Faktenreich,
       durch Einsicht in die MPG-Archive möglich, stellt Kröher dar, wie die
       Nationalsozialisten ab 1933 auch den Wissenschaftsbetrieb übernahmen. Dem
       ersten Aufbäumen der Forscher – Max Planck intervenierte noch persönlich
       bei Hitler, um die Entlassung jüdischer Wissenschaftler zu verhindern –
       folgte die schleichende Anpassung an das Regime.
       
       ## Verirrung und Grenzüberschreitungen
       
       Wissenschaftliche Verirrungen, wie die „deutsche Physik“, und ethische
       Grenzüberschreitungen, wie die Versuche an KZ-Häftlingen durch Josef
       Mengele im benachbarten KWI für Anthropologie, wurden möglich. Die MPG hat
       diesen Sündenfall der Wissenschaft unter ihrem Präsidenten Hubert Markl
       historisch aufgearbeitet.
       
       Vielleicht nicht vollständig genug, wie Kröher am Fall des Biochemikers
       Adolf Butenandt andeutet. Der nach dem Krieg als Präsident der MPG
       amtierende Wissenschaftler war 1936 in die NSDAP eingetreten, um den
       Chefposten des Berliner KWI für Biochemie zu ergattern. Dort betrieb er
       Hormonforschung, die ihm später den Nobelpreis einbrachte und in
       Kooperation mit dem Berliner Pharmaunternehmen Schering langfristig zur
       Entwicklung der Anti-Baby-Pille führte.
       
       Für Kröher gibt es Indizien, dass Butenandt in jenen Jahren, als
       Wissenschaft immer stärker für Kriegszwecke eingespannt wurde, auch
       Kenntnisse von den KZ-Versuchen der KWI-Anthropologen gehabt haben könnte.
       „Die Verdachtsmomente sind groß, doch der endgültige Beweis steht aus“,
       schreibt Kröher. Die verbliebenen Akten Butenandts sind noch gesperrt.
       
       Die Stärke des Buchs liegt in der Verknüpfung der großen
       weltgeschichtlichen Linien mit bemerkenswerter Detailkenntnis. Ein
       Höhepunkt ist die Schilderung der Vorgänge am 4. Juni 1942. Die Spitze des
       Rüstungsministeriums, angeführt von Albert Speer, ist nach Dahlem gekommen,
       um von dem Atomphysiker Werner Heisenberg und seinem Team die Fortschritte
       des „Uran-Projekts“ zu erfahren. Nach drei Jahren Arbeit haben die Forscher
       nicht viel zu bieten, jedenfalls nicht für den Bau einer Atombombe, die
       Speer als eine „Wunderwaffe“ des Dritten Reichs im Hinterkopf hat.
       
       „Für die Militärs sind die Kernspalter kopflastige Wolkenschieber und
       Papiertiger“, beschreibt Kröher die Stimmung. Als die Forscher dann noch
       angeben, für die nächsten Arbeiten des Uran-Projekts 40.000 Reichsmark zu
       benötigen, wird Speer klar, dass mit dieser Kleinteiligkeit kein Krieg zu
       gewinnen ist. Von da ab setzt die NS-Kriegsmaschinerie auf die V2-Raketen
       des Wernher von Braun. Die „akademische Bedenkenträgerei der Atomforscher“
       im Harnack-Haus hat für Kröher darum weltpolitische Auswirkungen: „Sie
       verhindern einen europäischen Atomkrieg“.
       
       14 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manfred Ronzheimer
       
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