# taz.de -- Reaktionen nach dem Diesel-Urteil: Fahrverbote und blaue Plakette
       
       > Erwartet wurde ein wegweisendes Urteil – ein Schlussstrich unter der
       > Debatte ist es aber noch lange nicht. Städte wollen Fahrverbote
       > vermeiden.
       
 (IMG) Bild: Bei den Fahrverboten wird Deutschland vermutlich ein Flickenteppich
       
       BERLIN dpa/rtr | Diesel-Fahrverbote lassen sich auch nach dem [1][Urteil
       des Bundesverwaltungsgerichts] aus Sicht mehrerer Länder verhindern – doch
       es droht eine Vielzahl von Prozessen und einzelnen Regelungen. Auch deshalb
       werden Forderungen nach einer bundesweit einheitlichen „blauen Plakette“
       lauter, um saubere, moderne Diesel von Fahrverboten auszunehmen. Ein Thema
       bleiben zudem spezielle Vorgaben für Handwerker und neue Modelle für den
       öffentlichen Nahverkehr. Die SPD verlangt höhere Anreize der Autobauer,
       damit alte Dieselautos schneller aus dem Verkehr gezogen werden können.
       
       „Die von den Herstellern gezahlten Kaufprämien für Neufahrzeuge müssen von
       den Unternehmen erhöht werden“, verlangen die SPD-Vizefraktionschefs im
       Bundestag, Sören Bartol, Matthias Miersch und Hubertus Heil. Dies sei
       nötig, „da sich viele Besitzer älterer Fahrzeuge ansonsten keinen Neuwagen
       leisten können“, heißt es in einem Brief, der der Deutschen Presse-Agentur
       vorliegt. Autobauer hatten solche Prämien nach dem Dieselgipfel im Sommer
       eingeführt.
       
       Der geschäftsführende Bundesverkehrsminister Christian Schmidt (CSU) sieht
       mit dem Leipziger Urteil die Kommunen nicht zu Fahrverboten gezwungen. Es
       sollte keinen Wettlauf geben, wer am schnellsten solche Verbote startet,
       sagte Schmidt am Dienstagabend in einem „Brennpunkt“ der ARD. Es müsse mit
       einem Mix intelligenter Lösungen gearbeitet werden. Dazu gehörten die
       Verbesserung des Nahverkehrs, neue Antriebe wie Elektro und Brennstoffzelle
       sowie Verbesserungen beim Diesel.
       
       Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) betonte, dass trotz des Urteils
       das politische Ziel weiterbestehe, Fahrverbote zu vermeiden. Falls sie
       kämen, wären sie „ja auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit
       nur als letztes Mittel gedacht“, sagte sie dem ZDF. Für Anwohner,
       Handwerker und auch öffentliche Einsatzfahrzeuge wie die Feuerwehr könne es
       selbstverständlich Ausnahmen geben.
       
       Justizminister Heiko Maas (SPD) forderte in der Rheinischen Post die
       Konzerne auf, die Finanzierung neuer Abgas-Hardware für die Autofahrer bei
       neueren Modellen zu übernehmen: „Wir erwarten von der Automobilindustrie,
       dass sie Euro-5- und Euro-6-Fahrzeuge technisch nachrüstet. Alleinige
       Software-Updates reichen nicht aus.“
       
       Verkehrsminister Schmidt betonte, Lösungen müssten ökologisch und
       ökonomisch darstellbar sein. Man sollte nicht in alte Autos investieren,
       sondern lieber neue Technologien nutzen. Zu einer blauen Plakette für
       neuere Diesel äußerte sich der CSU-Politiker ablehnend. Es gehe um Probleme
       in einzelnen Städten, deren Zahl sich ständig reduziere.
       
       ## „Eine gute Entscheidung“
       
       Unionsfraktionschef Volker Kauder begrüßte das Urteil. Es gebe nun endlich
       Klarheit und bestätige, was die CDU schon immer gesagt habe, sagte Kauder
       am Dienstag vor einer Sitzung der Unionsfraktion in Berlin. „Dass es keine
       Fahrverbote flächendeckend gibt, ist eine gute Entscheidung“, sagte der
       CDU-Politiker. „Wir brauchen jetzt also nicht davon ausgehen, dass die
       Menschen pauschal von ihrem Dieselfahrzeug getrennt werden.“ Es sei
       richtig, dass eine blaue Plakette nicht notwendig sei. Die Kommunen seien
       nun aufgerufen, zu handeln, sagte Kauder. Nun werde man vielleicht auch die
       Bedeutung neuer Straßen und Ortsumfahrungen in einem neuen Licht sehen. In
       Stuttgart etwa könne man durch bauliche Maßnahmen „für eine bessere
       Durchlüftung der Stadt“ sorgen.
       
       Berlin kommt nach Einschätzung von Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne)
       auf einigen Straßen kaum an Fahrverboten für Dieselfahrzeuge vorbei.
       „Fahrverbote sind jetzt zugelassen“, sagte Günther nach dem zuvor
       verkündeten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. „Damit müssen wir uns
       auseinandersetzen.“ Berlin habe schon eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg
       gebracht, um gefährliche Stickoxide zu reduzieren. „Wir werden jetzt
       auswerten bis Ende des Jahres, wie erfolgreich das sein wird“, bemerkte
       Günther, die für die Grünen in der Berliner Landesregierung sitzt. Gerade
       an Hotspots könnten Fahrverbote aber die einzige Maßnahme sein, um die
       Grenzwerte einzuhalten.
       
       Fraglich ist, wie ein Fahrverbot zu kontrollieren wäre. So ist denkbar,
       dass Polizisten Autofahrer herauswinken und die Papiere überprüfen. Günther
       spricht sich dagegen für eine „blaue Plakette“ aus, so wie es sie schon in
       Grün für Umweltzonen gibt. Kommunen und Umweltschützer wollen eine Plakette
       als bundesweite Kennzeichnung relativ sauberer Autos. Das lehnt die
       Bundesregierung bisher ab.
       
       ## Fahrerbote vermeiden
       
       In Niedersachsen will sich Umweltminister Olaf Lies (SPD) am 19. März mit
       Vertretern betroffener Kommunen über alternative Möglichkeiten austauschen.
       Er gehe davon aus, dass es durch das Urteil im Land nicht zu Fahrverboten
       komme. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte,
       das Land werde „alles tun“, um die Richtwerte für Stickoxid möglichst ohne
       Fahrverbote zu erreichen.
       
       Auch Kiel will ein generelles Fahrverbot für Dieselfahrzeuge auf einer
       stark belasteten Verkehrsachse der Stadt vermeiden. „Meine bisherige
       Auffassung ist, dass ein weitreichendes Fahrverbot auf dem
       Theodor-Heuss-Ring die Hauptverkehrsader der Stadt für viele Fahrzeuge
       abschneiden und zu Verkehrschaos führen würde“, sagte Oberbürgermeister Ulf
       Kämpfer (SPD). Die Entscheidung fällt aber im schleswig-holsteinischen
       Umweltministerium, das derzeit einen Luftreinhalteplan erarbeitet.
       
       Umweltminister Robert Habeck (Grüne) will ebenfalls ein Verbot in Kiel
       vermeiden. „Wir müssen genau prüfen, ob eine Umlenkung der Verkehre an
       anderen Stellen größeren Schaden nach sich zieht“, sagte er. Zwar wolle
       niemand ein Fahrverbot, Anwohner müssten aber vor Stickstoffoxiden
       geschützt werden. „Es kann nicht ausgeschlossen werden – auch unter dem
       Lichte des Urteils –, dass für diese 200, 300 Meter auf dem
       Theodor-Heuss-Ring Einschränkungen notwendig sind.“
       
       Der Städte- und Gemeindebund sieht nun auf Städte und Autobauer eine
       Prozessflut zukommen. „Es besteht nicht nur die Gefahr einer
       „Mammut-Fahrverbotsbürokratie“, sondern es ist auch eine Prozessflut zu
       befürchten, mit der sich betroffene Dieselfahrzeug-Besitzer, aber auch
       Anlieger von Straßen, die dann unter dem Umwegeverkehr leiden, zur Wehr
       setzen werden“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der Rheinischen
       Post. Gerade weil das Gericht die Verhältnismäßigkeit und die Fahrverbote
       als allerletztes Mittel hervorgehoben habe, sei eine solche Entwicklung
       vorstellbar.
       
       ## Blaue Plakette einführen
       
       In Hessen stehen bald Entscheidungen an Verwaltungsgerichten in dieser
       Frage an – etwa am 28. März in Wiesbaden. Das Land gehe davon aus, dass
       sich die hessischen Gerichte an dem Leipziger Urteilsspruch orientieren und
       ebenfalls Fahrverbote unter bestimmten Bedingungen verlangen werden, sagte
       Umweltministerin Priska Hinz (Grüne). Sie forderte, die Bundesregierung
       müsse endlich eine blaue Plakette einführen. Nur damit könnte ein
       Fahrverbot auch kontrolliert werden.
       
       Die bayerische Regierung muss bis Ende Mai Diesel-Fahrverbote für bestimmte
       Straßenabschnitte in München planen – andernfalls droht dort das
       Verwaltungsgericht mit einem Zwangsgeld. Umweltministerin Ulrike Scharf
       (CSU) lehnte pauschale Fahrverbote für Dieselfahrzeuge ab. Sie träfen viele
       Bürger unverhältnismäßig und könnten den Wirtschaftsstandort Bayern
       gefährden. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sagte dem
       Bayerischen Rundfunk, im Fall klarer rechtlicher Voraussetzungen würde er
       die Verbote verhängen: „Es geht um die Gesundheit der Münchner, und die ist
       für mich das oberste Gut. Und wenn es dafür notwendig ist, dass wir
       Fahrzeuge aussperren, dann werde ich das soweit umsetzen, wie es
       erforderlich ist.“
       
       Handwerksvertreter warnen nach dem Diesel-Urteil des
       Bundesverwaltungsgerichts vor den Folgen von möglichen Fahrverboten. „Den
       meisten Betrieben würde durch ein Fahrverbot die Existenzgrundlage
       entzogen. Die Folgen wären Unternehmensschließungen und
       Arbeitsplatzverluste“, sagte der Präsident der Handwerkskammer Düsseldorf,
       Andreas Ehlert, dem Handelsblatt. Viele Betriebe hätten Fuhrparks mit
       Dutzenden Dieselfahrzeugen. Mehr als die Hälfte der Fahrzeuge seien drei,
       maximal vier Jahre alt. „Diese Betriebe könnten es wirtschaftlich nicht
       verkraften, wenn sie gezwungen wären, ihre Fahrzeugflotte zu erneuern.“
       
       Der Fahrgastverband Pro Bahn wies darauf hin, dass auch nach dem Urteil die
       Frage offen bleibe, wie genau mehr Autofahrer zum Umsteigen auf
       öffentlichen Nahverkehr bewegt werden können.
       
       28 Feb 2018
       
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