# taz.de -- Ausstellung wider den Eurozentrismus: Zwischen allen Stühlen
       
       > Die Hamburger Schau „Mobile Dinge“ sucht das nicht-eurozentrische Museum
       > und bietet ein Sammelsurium aus Kolonial- und Wirtschaftsbezügen.
       
 (IMG) Bild: Anekdorisch: Foto der Brüder Krull, Nachfahren des Hamburger Kolonialherrn Peycke
       
       HAMBURG taz | Wenn man reinkommt ins Museum für Kunst und Gewerbe, versteht
       man erst mal nichts. Sicher, da sitzt eine riesige Göttinnenstatue aus
       Mesopotamien – heute Syrien – am Eingang und schaut recht erhaben. Davor
       steht ein kleines Video, und die Vitrinen drum herum versammeln allerlei
       nette Dinge vom chinesischen Opiumdöschen über Elfenbeinfiguren bis zum
       Liebespaar aus Meißner Porzellan.
       
       Einen erkennbaren Kontext bietet die aktuelle Schau „Mobile Dinge“ aber
       nicht: Was diese Exponate verbindet, wird sich nur im Zuge einer Führung
       erschließen, ansonsten ist der Besucher auf sich selbst geworfen.
       
       Aber genau dieses Geworfensein in die Welt, die totale Neu-Erfindung des
       Museums hat Kurator Roger Buergel, Exchef der Documenta 12, gewollt. Er
       möchte museale Ordnungskriterien – Nation, Epoche, Kunst, Nicht-Kunst –
       dekonstruieren.
       
       Dies seien eurozentrische, ausgrenzende Kategorien des 19. Jahrhunderts,
       findet er. Und sucht lieber neue Bezüge und kulturelle Verflechtungen, der
       modernen Migrationsgesellschaft angemessen. Auch wünscht er weniger
       Akademismus und mehr Partizipation.
       
       Gut zwei Jahre hat Buergel hierfür das Museum durchforstet und Dinge
       zusammengetragen, die in keine Schublade passen, zwischen Stile und Zeiten
       geraten, die den stetigen Wandel von Form und Bedeutung illustrieren.
       
       Solche Exponate sind für ihn Vorboten des Museums der Zukunft. Das soll
       eher anekdotisch und frei assoziierend sein, und so präsentiert sich auch
       die aktuelle Schau. Einige Dinge illustrieren Wirtschaftsgeschichte – wie
       der im Iran mit unechten Schriftzeichen gefertigte China-Teller oder die in
       China produzierte Flasche mit pseudo-arabischer Schrift, beides für den
       Export gedacht. Nebenbei erzählen die Stücke von Fake-Schrift und
       Klischees.
       
       Auch das „Indianische Liebespaar“ – wobei „indianisch“ für das Exotische
       steht – wirkt eher europäisch, bis auf den Papagei auf des Mannes Schulter.
       Kombiniert wird die Figur mit einem Foto der Brüder Krull – in Brasilien
       lebende Nachfahren des einstigen Hamburger Kolonialherrn und
       Plantagenbesitzers Peter Peycke.
       
       Der Link ist ein zeitlicher, denn das idealisierende „Indianer“-Paar
       entstand, während die Sklaverei voll im Gange war. Höchste Zeit, solch
       idyllisierende Figürchen weltpolitisch und ideologisch einzuordnen.
       
       ## Subjektiver Ansatz
       
       Offensiver präsentieren sich die japanischen Kimonos der 1940er-Jahre. Auf
       ihnen prangen Hakenkreuze, Ausdruck der damaligen japanisch-deutschen
       Kollaboration. Daneben liegen japanische „Tsuba“-Speerteile, von einem
       Schüler der Farmsener Erich-Kästner-Schule nach Muster und Alter sortiert.
       Ein interessantes Experiment, aber kann es zukunftsweisend sein, Kriterien
       bar jeden Fachwissens zu erstellen?
       
       Andere Schüler haben ihr Lieblingsstück aus dem Museum mit Gegenständen von
       zu Hause kombiniert, etwa einen Porzellanhund oder eine Rohstoffliste des
       Computerspiels Minecraft. Ein sehr subjektiver Ansatz, der nicht zu passen
       scheint in eine Welt explodierenden Wissens, das auch eine transkulturelle
       Gesellschaft braucht.
       
       Aber Wissen, sagt Buergel, sei nicht so wichtig – um im nächsten Satz eine
       hoch akademische Erklärung zu bieten. In der basisdemokratisch
       organisierten nordsyrischen Region Rojava etwa, aus der die riesige
       Göttinenfigur stammt, muss jeder Politiker eine weibliche Kovorsitzende
       haben, „ein interessantes Gesellschaftsexperiment“., sagt Buergel.
       
       Jetzt versteht man, dass das Video am Fuß der Göttin Frauen aus der Region
       zeigt. Nun begreift man den Film, in dem eine Frau aus Rojava nach der
       Flucht vor dem IS ihren Niqab abwirft.
       
       ## Oppenheim stahl die Göttin
       
       Nicht zu vergessen die koloniale Herkunft der heute in Berlin bewahrten
       Göttinnenskulptur. Die hat der Diplomat Max von Oppenheim bei Erkundungen
       für den Bau der Bagdadbahn um 1929 mitgenommen. Eine Ausstellung Rayyane
       Tabets im Hamburger Kunstverein vor zwei Monaten verarbeitete diesen Stoff
       intensiv.
       
       Buergels Schau erzählt zudem die Geschichte der St. Galler Lochstickereien,
       die Schweizer Kolonialherrn nach Brasilien brachten. Dort trägt man sie bis
       heute bei Candomblé-Ritualen. Stickereien der Künstlerin Denise Bertschi im
       Museum erinnern an die St. Galler Vorbilder – und an löchrige, zerfallende
       Kolonialismus-Dokumente.
       
       Kolonialrouten umzukehren ist dagegen Ziel der Installation der „African
       Terminal Transaction“ im Zentrum der Schau. Neu-Hamburger und
       Kulturschaffende werben hier für einen neuen Seehandel zwischen Hamburg und
       Westafrika um Sachspenden. Die wollen sie zugunsten der Neu-Hamburger nach
       Gambia verkaufen. Angesichts der interessanten, aber recht beliebigen Schau
       ist dieses Projekt am überzeugendsten.
       
       15 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Petra Schellen
       
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