# taz.de -- Deutsche Kolonialverbrechen in Namibia: Chiefs wollen Entschuldigung
       
       > Bei einer Rückgabezeremonie von menschlichen Überresten fordern
       > namibische Führer von der Bundesregierung die Anerkennung des Genozids.
       
 (IMG) Bild: „Es war Genozid“: Herero-Chief Vekuii Rukoro am Mittwoch im Französischen Dom
       
       BERLIN taz | Am Ende ist genau das passiert, was die Bundesregierung nicht
       wollte: Beim zeremoniellen Gedenkgottesdienst, bei dem am Mittwoch in
       Berlin 27 menschliche Überreste aus der Kolonialzeit offiziell an Namibia
       übergeben wurden, fordern die traditionellen namibischen Führer in aller
       Öffentlichkeit von der deutschen Regierung „die volle Verantwortung für den
       Genozid an den Herero und Nama“, wie der Paramount-Chief der Herero, Vakuii
       Rukoro, sagt. „Alle“ würden die Verbrechen der Deutschen vor über 110
       Jahren im südlichen Afrika so nennen: die deutschen Kirchen, die deutsche
       Gesellschaft. „Die Regierung soll es auch sagen: Genozid!“
       
       Auch die anderen Chiefs aus Namibia bekräftigen in ihren Reden, die nicht
       im Programm angekündigt sind und offenbar auch für die Vertreter der
       Bundesregierung überraschend kommen, dass sie eine offizielle
       Entschuldigung Deutschlands für den Völkermord wollen, zudem Reparationen –
       und die Rückführung aller menschlichen Überreste und Kulturgüter nach
       Namibia. Ein anderes Ergebnis der offiziellen deutsch-namibischen
       Versöhnungsgespräche, die seit fünf Jahren laufen und offenbar genau an
       diesen Fragen stocken, würden sie nicht akzeptieren, erklärt Chief Manase
       Zeraela.
       
       Die Repräsentantin der Bundesregierung bei der Feier im Französischen Dom,
       Michelle Müntefering, Staatsministerin für Kulturpolitik im Auswärtigen
       Amt, hält die wiederholt von Beifall aus dem Publikum unterbrochenen Reden
       stoisch lächelnd aus. Eine explizite Entschuldigung gibt es in ihrer Rede
       kurz vor der zeremoniellen Übergabe der Schädel und Knochen an ihre
       namibische Amtskollegin Katrina Hanse-Himarwa nicht. Müntefering spricht –
       mit der üblichen Wortwahl der Bundesregierung in diesem Fall – von
       „Greueltaten“, die „heute als Völkermord bezeichnet werden, auch wenn es
       den Begriff damals nicht gab“.
       
       Bis heute steht eine offizielle Einstufung der Verbrechen in den ehemaligen
       Kolonien in wie es damals hieß Deutsch-Südwest als Völkermord aus, anders
       als es der Bundestag 2016 mit dem Genozid an den Armeniern getan hat.
       Deutsche Truppen hatten zwischen 1904 und 1908 geschätzt 100.000 Herero und
       Nama ermordet. Ihre Nachkommen leben bis heute vielfach unter großer Armut.
       
       ## Angst vor Reparationsforderungen
       
       Zwar spricht die Bundesregierung inzwischen bisweilen von „Völkermord“. Sie
       betont dann aber, dass dies nicht im juristischen Sinne gemeint sei –
       offenbar aus Angst vor Reparationsforderungen, die daraus folgen könnten.
       
       Auch Müntefering hatte vor der Gedenkveranstaltung am Dienstag betont, bei
       der Zeremonie solle es vor allem „um die Rückgabe und die Rückführung“ der
       sterblichen Überreste an Namibia gehen. Eine offizielle Entschuldigung bei
       der Zeremonie lehnten beide Regierungen ab; dies sei nicht der passende
       Rahmen.
       
       In Berlin wie in anderen deutschen (und europäischen) Städten lagern noch
       tausende menschliche Überreste aus ehemaligen Kolonien, die Mediziner und
       Anthropologen im 19. und 20. Jahrhundert für verbrecherische Rasseforschung
       „gesammelt“ beziehungsweise geraubt hatten. Auch um die Rückgabe der
       Gebeine an die Herkunftsgesellschaften gibt es seit Jahren Streit.
       
       Kritikern wie der NGO Berlin Postkolonial geht sie viel zu langsam voran:
       Sie fordern erhöhte Anstrengungen von Bundesregierung, Museen und
       Universitäten zur Erforschung ihrer Provinienz, die als Voraussetzung für
       die Rückgabe gilt.
       
       ## Angehörige der Opferverbände ausgeschlossen
       
       Die Zeremonie am Mittwoch war erst die dritte ihrer Art mit Namibia. Bei
       der ersten 2011 war es zum Eklat gekommen, weil sich die damalige
       Außen-Staatssekretärin Cornelia Pieper (FDP) geweigert hatte, die
       anwesenden Nachfahren um Entschuldigung für den kolonialen Genozid zu
       bitten, wogegen Demonstranten lautstark aufbegehrten. Bei der zweiten
       Zeremonie 2014 in der Charité wurden Angehörige der Opfer-Volksgruppen gar
       nicht erst eingeladen.
       
       Diesen Weg wollte man erst auch dieses Mal gehen. Herero-Paramountchief
       Rukoro war zunächst nicht eingeladen – vermutlich, weil er die
       Bundesregierung 2017 in New York auf Reparationen und Teilhabe an den
       Versöhnungsgesprächen verklagt hat.
       
       Gleiches galt für weitere prominente Herero- und Nama-VertreterInnen sowie
       die AktivistInnen der Gruppe „Völkermord verjährt nicht“. Sie hielten
       deshalb parallel zum Gedenkgottesdienst eine Mahnwache vor der
       evangelischen Kirche in Mitte ab. Die Hauptforderung auf ihren Plakaten:
       Anerkennung des Völkermords durch Deutschland sowie eine offizielle
       Entschuldigung.
       
       ## „Unwürdige Behandlung“
       
       Drinnen sparte Rukoro in seiner Rede auch nicht mit Kritik an der
       Einladungspolitik seiner Regierung: Die Ausladung von Herero und
       Nama-Vertretern sei eine „unwürdige Behandlung“ der Nachfahren der Opfer.
       Dies wies der namibische Botschafter in Deutschland, Andreas B.D. Guibeb,
       zurück. Man habe missliebige Kritiker nicht ausladen wollen. Alle
       AktivistInnen, auch jene von „Völkermord verjährt nicht“, hätten kommen
       können. „Aber sie wollten lieber draußen protestieren, was ihr
       demokratisches Recht ist.“
       
       Allerdings lag Spiegel Online am Montag nach eigener Darstellung [1][eine
       Email vor], laut der Namibias Regierung „von ihrem demokratischen Recht
       Gebrauch“ mache, den Wunsch auf Teilnahme von 44 Mitgliedern der Gruppe
       zurückzuweisen. Es gehe darum, „den würde- und respektvollen Ablauf“ des
       Festakts zu wahren, heißt es laut dem Bericht im Absageschreiben des
       Botschafters.
       
       Die nun übergebenen menschlichen Überreste sollen am morgigen Donnerstag
       nach Windhuk, der Hauptstadt Namibias, überführt werden. Dort werden sie in
       am Freitag in einem Staatsakt beigesetzt. Teil der deutschen Delegation
       wird auch der Sonderbeauftragte der Bundesregierung, Ruprecht Polenz (CDU),
       sein. Er wird die Gespräche über die Aufarbeitung der deutschen
       Kolonialverbrechen fortführen.
       
       29 Aug 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/herero-und-nama-kritik-an-rueckgabezeremonie-historischer-gebeine-an-namibia-a-1225047.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Memarnia
       
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