# taz.de -- Kommentar zum Einwanderungsgesetz: Mehr Pragmatismus, bitte
       
       > Die Regierung plant ein Einwanderungsgesetz für Fachkräfte. Für die Union
       > ist das ein Schritt nach vorn – aber wie groß der wird, ist offen.
       
 (IMG) Bild: Diese Brote backen sich nicht von allein. Deshalb möchte die Große Koalition ausgebildete Bäcker ins Land holen
       
       Die Regierung [1][will ein Einwanderungsgesetz], und die CSU ist dabei. Was
       ist das – ein politisches Wunder? Ein letzter irrlichternder Coup von Horst
       Seehofer? Eine echte Wende? Ein Zeichen, dass die zerzauste Regierung doch
       noch etwas zustande bringt?
       
       Wahrscheinlich von allem etwas. Ein Einwanderungsgesetz war für die Union
       jahrzehntelang igitt. Symbolpolitisch ist dies eine Zäsur, realpolitisch,
       soweit man bisher sehen kann, weniger.
       
       Für Akademiker aus Manila oder Kairo ist es schon jetzt relativ leicht, in
       Deutschland zu arbeiten. Jetzt will die Große Koalition auch für
       ausgebildete Elektriker, [2][Pflegerinnen], Bäcker und andere Fachkräfte,
       die jenseits der EU-Grenzen leben, die Hürden etwas niedriger hängen.
       
       Ein Grund für den Sinneswandel ist, dass gerade die Stammklientel der
       Union, Handwerker in Oberbayern oder Firmen in Baden-Württemberg, keine
       FacharbeiterInnen mehr finden. Der Zuzug aus Osteuropa nimmt ab. Das wird
       vor allem im prosperierenden Süden zum Problem. Kleinere Firmen können
       nicht, was global agierende Konzerne tun – anwerben, wen sie brauchen.
       
       ## Sprache ist Barriere
       
       Neu ist zweierlei: Wer einen Altenpfleger aus China beschäftigen will, muss
       nicht mehr umständlich nachweisen, dass kein Deutscher den Job will. Noch
       wichtiger ist, dass die Fachkraft aus Asien oder Afrika keinen
       Arbeitsvertrag in der Tasche haben muss, um die deutsche Grenze passieren
       zu dürfen. Fortan soll er oder sie ein halbes Jahr hier Arbeit suchen
       können, ohne Anrecht auf Sozialleistungen zu haben.
       
       Das ist praktisch und vernünftig. Ob aber wirklich viele lieber nach
       Augsburg oder Reutlingen ziehen statt nach San Diego oder Chicago, ist
       fraglich. Die Sprache ist eine Barriere. Zu Recht beharrt die Regierung
       darauf, dass, wer hier arbeiten will, Deutsch können muss. Weniger
       einleuchtend ist, dass die zweite hohe Hürde, die Anerkennung von
       Berufsausbildungen, extrem hoch bleiben wird.
       
       Arbeitsminister Hubertus Heil hat kürzlich bemerkt, dass es sinnlos ist,
       mit viel Aufwand Fachkräfte aus aller Welt zu holen, Werbekampagnen und
       Deutschkurse an Goethe-Instituten zu finanzieren – und gleichzeitig
       Flüchtlinge abzuschieben, die in Deutschland arbeiten. Das ist eine ebenso
       naheliegende wie zutreffende Erkenntnis. Doch die Union, vor allem die CSU,
       ist nicht in der Lage, daraus die Konsequenz zu ziehen.
       
       So will die Regierung „klare Kriterien für einen verlässlichen Status
       Geduldeter definieren, die durch ihr Erwerbstätigkeit ihren Lebensunterhalt
       sichern“. Bekommen geduldete Flüchtlinge mit Job, die immer mit Abschiebung
       rechnen müssen, nun eine Aufenthaltserlaubnis? Eine Duldung plus, was immer
       das sein könnte? Der Laie versteht nichts, der Experte ist verwirrt. Dieser
       Formelkompromiss ist konfus. Dass Seehofer die Feder führen will, wenn
       diese Skizze ausgemalt wird, lässt nichts Gutes ahnen.
       
       ## Nachträgliche Legalisierungen
       
       Dabei liegt die praktische Lösung auf dem Tisch. Flüchtlinge, die einen Job
       haben, könnten bis zu einem bestimmten Stichtag eine Aufenthaltserlaubnis
       bekommen. Das würde nicht nur Flüchtlingen, sondern auch deren ChefInnen
       Sicherheit geben. Diese Regelung würde, weil sie rückwirkend gälte, auch
       nicht als Pull-Faktor wirken – also MigrantInnen in Gambia oder Niger
       ermuntern, sich auf den Weg nach Norden zu machen.
       
       Nachträgliche Legalisierungen sind gängige Praxis in
       Einwanderungsgesellschaften. Doch die Union will das aus Prinzip nicht.
       Der „Grundsatz der Trennung von Asyl und Erwerbsmigration“ soll unbedingt
       gelten. Dieses Prinzip ist richtig – allerdings hat es den Nachteil, dass
       die Wirklichkeit anders ist.
       
       Migration ist ein wilder, nie vollständig kontrollierbarer Prozess. Das
       wird sich nicht ändern, wenn die Union das Gegenteil beschließt. Wenn
       Prinzip und Wirklichkeit nicht zusammenpassen, sucht man klugerweise nach
       pragmatischen Lösungen, die machbar sind, ohne das Prinzip zu demolieren.
       Die CSU scheint sich in Trippelschritten auf diese Erkenntnis zuzubewegen.
       
       8 Oct 2018
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) Stefan Reinecke
       
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