# taz.de -- Ausstellung in Berlin: Von Äpfeln lernen
       
       > Antje Majewski widmet sich im Hamburger Bahnhof in Berlin den Ökosystemen
       > der Welt. Die postkoloniale Perspektive gelingt mit Leichtigkeit.
       
 (IMG) Bild: Issa Samb & Antje Majewski: „Rue Jules Ferry 17“, Still aus dem HD-Video mit Ton von 2016
       
       Nur noch Eukalyptus und Soja würden auf brasilianischen Feldern wachsen,
       erzählt ein Indigener vor Antje Majewskis Kamera. Er sitzt auf der Straße
       vor Reihen polierter Autos. Die Natur müssten die Menschen erst wieder
       kennenlernen. Die Autos, wie auch der industrielle Landbau auf geraubten
       indigenen Gebieten, stehen für Profit und Wachstum, jene Mantras von
       Kolonialismus und Kapitalismus, die auch das Verhältnis des Menschen zur
       Natur verändert haben.
       
       In einer großen Ausstellung nun will Majewski es künstlerisch neu
       sortieren. Dafür hat sie KollegInnen aus Brasilien, China, Frankreich,
       Kolumbien, Kamerun, Polen, dem Senegal und Ungarn eingeladen. Was leicht
       hätte zu Kitsch oder Fingerzeig-Dokumentarismus verkommen können, ist ein
       bemerkenswertes Projekt, in dem Poesie auf Wahrheitspolitiken trifft.
       
       Darauf, dass es poetisch wird, bereitet schon der Titel „How to talk with
       birds, trees, fish, shells, bulls and lions“ vor, eine Frage, auf die keine
       Anleitung folgt. Der vergangenes Jahr verstorbene senegalesische Künstler
       und Dichter Issa Samb hat sie bei einem Gespräch mit Majewski in den Sand
       geschrieben. Er war Kopf des 1973 in Dakar gegründeten Laboratoire
       Agit’Art, das sich mit dem philosophischen Konzept einer eigenständigen
       Schwarzen Kultur, der „Négritude“, befasst und Kunst als politisches
       Werkzeug versteht. Majewskis in Videoarbeiten dokumentierte Begegnungen mit
       Samb wurden zum Ausgangspunkt der Ausstellung.
       
       Die Natur spielte für Samb eine zentrale Rolle. Ökosysteme seien voller
       Geschichten, Wissensarchive, aus denen wir lernen können, wenn wir nur
       zuhören, glaubte er. Poesie und politische Aktion waren für ihn keine
       Widersprüche. Daran, dass das Poetische politisch ist, lässt auch die
       Ausstellung keine Zweifel. Den Gesprächen mit Samb stellt Majewski Gemälde
       und Zeichnungen aus dem Laboratoire Agit’Art gegenüber, auf denen uns
       Fische, Elefanten und mythische Wesen begegnen. Eine Wand hat Majewski mit
       aus literarischen Werken kopierten Seiten tapeziert, die der polnische
       Konzeptkünstler Paweł Freisler ihr vorgeschlagen hat: als Korrektur zum
       Unesco-Weltdokumentenerbe, das für den Senegal bisher nur kolonial geprägte
       Werke vorsieht.
       
       ## Äpfel und Feminismus passen gut zusammen
       
       Wie Samb ist Freisler ein Wegbegleiter Majewskis, die ihre Arbeit als
       Auseinandersetzung mit anderen verstanden wissen will. In einem Auszug aus
       einem langjährigen E-Mail-Dialog zwischen ihr und Freisler geht es um einen
       erkrankten Apfelbaum in dessen Garten. Der Apfel als Kunstobjekt und
       Beispiel für die durch Reduktion auf kommerziell verwertbare Sorten
       bedrohte Biodiversität stand schon im Mittelpunkt des von Freisler
       inspirierten Projekts „Apple. An Introduction (Over and Over and Once
       Again)“, für das verschiedene Gruppen Apfelbäume in Städten gepflanzt
       wurden.
       
       Die Äpfel wurden zum Anstoß für Community-Building und ökologisches
       Experimentieren. Majewski kollaborierte dafür mit der polnischen Kuratorin
       Aleksandra Jach, die ihr nun auch bei der Realisierung der Ausstellung im
       Hamburger Bahnhof zur Seite stand.
       
       Dass Äpfel und Feminismus gut zusammen- und Unterdrückung im Patriarchat
       und die Zerstörung der Umwelt Hand in Hand gehen, belegen Majewski und Jach
       mit ihrer Vision der „Eco-Feminist Anarchy“, abgekürzt E.F.A. Diese
       ökofeministische Bewegung ist gerade im Entstehen begriffen und daher erst
       als Emblem in der Ausstellung vertreten.
       
       Anarchistische Metaphern findet Majewski auch in der eigenen Nachbarschaft
       im Berliner Stadtteil Wedding: Nachdem dort eine Schrebergartenanlage
       demoliert und abgetragen wurde, hielt sie per Video fest, wie die Pflanzen
       frech und üppig wieder aus dem Boden brachen. Neben den Videos fügte
       Majewski ein großes Gemälde der Pflanzen in ihre Installation „E.F.A. im
       Garten“ (2015); dazu Holzelemente der abgerissenen Schuppen, deren Spitzen
       mit den Farben der E.F.A., Pink, Grün und Schwarz, bemalt sind.
       
       ## Ökonomischer Kontext
       
       Programmatisch für die Kommune auf ökologischer Mission steht in der
       Ausstellung auch das polnische Projekt „Flow“. Die mobile Künstlerresidenz
       will die Weichsel erfahrbar machen, einen von Europas letzten wilden
       Flüssen. Ein Teil des hölzernen Segelboots, mit dem die KünstlerInnen den
       Fluss entlangschippern, ist nun im Ausstellungsraum nachgebaut, mit
       Fotografien, Videos, Objekten, Gedichten und Tagebüchern, in denen sie
       Begegnungen mit Flora und Fauna verarbeiten.
       
       Wie auf den Reisen selbst wird das Boot zur Bühne für Performances, und so
       dringen im Hamburger Bahnhof etwa live gespielte Trommelklänge in die
       anderen Räume, lullen die Arbeiten dort ein, wie um sie zu einer großen
       Geschichte zu verweben. Carolina Caycedo etwa beschäftigt sich gleich
       nebenan in Zeichnungen, Videos und einem Künstlerbuch mit Wasser als
       Gemeinschaftsgut und dem Eingriff in Flussläufe durch Dämme – und richtet
       den Blick auf das Alltagsleben der an den Ufern lebenden Gemeinden.
       
       Neu ist weder die Annäherung der Kunst ans Leben noch an die politische
       Aktion. Doch Majewskis Ansatz ist erfreulich zeitgenössisch. Während
       Biennalen und Museen die postkoloniale Perspektive meist bemüht vorführen,
       gelingt sie hier selbstverständlich und im größeren Kontext von Ökonomie
       und Ökologie.
       
       Raum für Details bleibt trotzdem. Majewskis neueste Gemälde etwa folgen in
       drei großen Formaten der Evolution eines Stocks: vom Haufen geschnittener
       Zweige über einen Bambusbesen, den eine Frau auf einer Straße hinter sich
       herzieht, hin zu einigen an die Wand gelehnten Plastikbesen, die massenhaft
       in asiatischen Fabriken unter schwersten Bedingungen, vor allem von Frauen,
       für den westlichen Markt produziert werden.
       
       19 Nov 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sabine Weier
       
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