# taz.de -- Sexuelle Belästigung auf der Straße: Keine Gleichberechtigung in Sicht
       
       > Straßen und Plätze sind für Frauen gefährliche Orte – auch in
       > Deutschland. In einer aktuellen Umfrage sagt jede dritte, dass sie schon
       > verfolgt wurde.
       
 (IMG) Bild: Nicht den schönen und kürzeren Weg, sondern immer schön an der beleuchteten Straße entlang
       
       Mit dem Schlüsselbund in der Hand – und dabei jeweils einen Schlüssel spitz
       hervorschauend zwischen die Finger gesteckt – so geht es nachts nach Hause.
       Nicht den schönen und kürzeren Weg am Fluss, sondern an der beleuchteten
       Straße entlang. Die Kapuze auf dem Kopf, um möglichst nicht aufzufallen,
       doch gleichzeitig mit großen, bestimmten Schritten und erhobenem Kopf, um
       nicht schwach zu wirken. Am besten in Turnschuhen, damit es sich schneller
       wegrennen lässt.
       
       Das sind nur einige Strategien, die Frauen anwenden, um sicher zu Hause
       anzukommen. Übertrieben, denken nun sicher einige.
       
       Eine [1][repräsentative Befragung des Instituts Ifop] zeigt, dass diese
       Strategien leider eine Notwendigkeit haben, denn: Die Straße ist häufig ein
       gefährlicher Ort für Frauen. Die Umfrage, von der Jean-Jaurès-Stiftung in
       Paris in Auftrag gegeben, besagt, dass in den USA jede zweite Frau auf der
       Straße sexuelle Belästigung erfahren hat. In Großbritannien sind es 43
       Prozent in Deutschland 36 Prozent. Jede dritte Frau gibt an, dass sie in
       Deutschland bereits auf der Straße verfolgt wurde, jede zehnte Befragte,
       dass sie Opfer sexualisierter Gewalt auf der Straße geworden ist.
       
       Trotz der seit [2][über einem Jahr anhaltenden #MeToo-Debatte] ist das eine
       Problematik, die zu wenig thematisiert und skandalisiert wird. Geht es in
       Politik und Medien um die Frage der Gleichberechtigung, heißt es hingegen
       häufig, wir wären jetzt ja fast so weit. Seit 100 Jahren dürfen Frauen
       wählen, seit 13 Jahren haben wir mit Angela Merkel eine Frau als Kanzlerin,
       jetzt brauchen wir nur noch gleichen Lohn für gleiche Arbeit, weibliche
       Personen in Führungspositionen und dann haben wir sie schon – die
       gleichberechtigte Gesellschaft.
       
       ## Gewalt und die Angst davor
       
       Leider nein. Viel gewonnen wäre nämlich nicht, wenn eine Frau zwar
       Top-Managerin werden kann und sich dann vor ihrem Weg vom Büro nach Hause
       fürchten muss. Denn obwohl bessere Löhne und Aufstiegschancen für Frauen
       zur Gleichberechtigung beitragen, ist es doch vor allem strukturelle Gewalt
       und die Angst davor, die Frauen einschränkt und benachteiligt.
       
       Die findet nicht nur am Arbeitsplatz und auf der Straße, sondern auch im
       eigenen Zuhause statt. Das zeigt die [3][Statistik zu Partnerschaftsgewalt
       des BKA], die Familienministerin Franziska Giffey am Dienstag in Berlin
       vorgestellt hat.
       
       Dass dem Problem nicht größere Aufmerksamkeit zukommt, hat verschiedene
       Ursachen. Eine davon ist, dass die Lösung nicht so einfach auf der Hand
       liegt. Mit Quoten kommt man in diesem Fall nicht weiter. Die Gesellschaft
       muss sich verändern, damit Frauen ohne Angst eine Beziehung führen und sich
       zu Hause, am Arbeitsplatz und auf der Straße sicher bewegen können.
       
       Dafür muss politische und gesellschaftliche Verantwortung übernommen
       werden. Der erste Schritt wäre wie immer, überhaupt anzuerkennen, dass wir
       ein Problem haben. Zu häufig ist von Einzelfällen die Rede, von eben diesem
       einen gruseligen Mann.
       
       ## Die Gesellschaft ist das Problem
       
       Dabei ist es unsere patriarchale Gesellschaft, die problematisch ist. Das
       Verständnis von Männlichkeit, in dem Gewalt noch immer einen Part einnimmt,
       ist schädlich. Darauf zu achten, liegt nicht nur im Aufgabenfeld der
       Politik und Medien, sondern an jeder*m Einzelnen.
       
       Doch allein darüber zu reden, reicht nicht. Auch Gesetze können helfen. So
       müssen Catcaller – also Menschen, die verbale Belästigung auf der Straße
       ausüben – bestraft werden, wie es beispielsweise seit diesem Jahr in
       Frankreich der Fall ist. Zudem muss die Bundesregierung mehr Geld zur
       Verfügung stellen für Aufklärungsarbeit, Kampagnen und Hilfetelefone.
       
       In Frankreich sind für den kommenden Samstag verschiedene Demos angemeldet.
       Unter dem Motto „Wir alle“ soll ein Zeichen gegen sexuelle Gewalt gesetzt
       werden. Es ist ein erster Schritt, um dem Problem eine größere
       Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Damit Frauen in Zukunft frei wie ein
       Mann entscheiden können, ob sie ihr letztes Bargeld für ein weiteres Bier
       in der Bar oder für das Taxi, das sie nach Hause bringt, ausgeben möchten.
       
       In einer gleichberechtigten Welt könnten sie ein letztes Bier trinken und
       danach gemütlich nach Hause laufen – mit dem Schlüssel in der Tasche.
       
       22 Nov 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://jean-jaures.org/nos-productions/les-femmes-face-aux-violences-sexuelles-et-le-harcelement-dans-la-rue)
 (DIR) [2] /Ein-Jahr-MeToo/!5538032
 (DIR) [3] /Kriminalstatistik-zu-Partnerschaftsgewalt/!5548744
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Carolina Schwarz
       
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