# taz.de -- Ausstellung „Kunstlandschaft“: Landschaft als geistiges Konstrukt
       
       > Das Sprengel-Museum Hannover befasst sich mit dem künstlerischen Zugriff
       > auf das Thema Landschaft von den 1950er Jahren bis heute.
       
 (IMG) Bild: Zurechtgeschnitten und bevölkert: der Wald in Sascha Weidners Bild „Concord II“ (2006)
       
       HANNOVER taz | Das Phänomen Landschaft, so sah es der Schweizer Soziologe
       und Erfinder der Spaziergangswissenschaften, Lucius Burckhardt, ist ein
       geistiges Konstrukt. Es basiert auf einem Zeichensystem, das einer
       Gesellschaft zur Wahrnehmung dient, die nicht mehr direkt vom Boden lebt.
       
       Wie jedes Zeichensystem will auch das zur Landschaft gelernt werden, denn
       Landschaft per se ist unsichtbar. Sie ist also nicht in den Erscheinungen
       der Umwelt zu suchen, sondern in den Köpfen der Betrachter: Eine Landschaft
       zu erblicken, ist eine schöpferische Tat des Gehirns. Ist es Zufall, dass
       der erste Schilderer der Landschaft – Homer – blind war, fragte Burckhardt?
       
       Es ist also mehr als naheliegend, wenn das Sprengel-Museum Hannover in
       einem kleinen Ausstellungsessay anhand von 17 Werken aus der eigenen
       Sammlung einmal verschiedene Sichtweisen auf Landschaften und Naturwelten
       in der Bildproduktion seit 1950 gegenüberstellt. „Kunstlandschaft“, so der
       mehrdeutige Titel, beschreibt sowohl den künstlerischen Zugriff auf die
       Landschaft als auch den Blick auf künstliche Landschaften, die ökonomischen
       Interessen, etwa der Landwirtschaft dienen, und dadurch wieder das
       Interesse der Kunst auf sich ziehen.
       
       Gerade für den zweiten Aspekt hat das Museum einen hauseigenen Fundus
       erster Güte zur Hand, die Schwarz-Weiß-Fotografien norddeutsch herber
       Agrarlandschaften von Heinrich Riebesehl aus den späten 1970er-Jahren. In
       seinen präzise austarierten Weitwinkelaufnahmen sind etwa abgeerntete Äcker
       zu sehen, in Kisten verstaute Feldfrüchte oder ein Ballen Stroh, der fast
       das gesamte Bildformat füllt. Manchmal scheint im Hintergrund die
       Silhouette eines Dorfes auf, ein stiller Verweis auf die zivilisatorische
       Eingebundenheit allen Bauerndaseins. Auch einen Anhänger voll prall
       gefüllter Kartoffelsäcke nimmt Riebesehl in den Blick. Ein Sack allerdings
       ist zu Boden gefallen, sein Inhalt herausgeplatzt. Er bildet nun die
       malerische Betriebsstörung der auf Effizienz ausgerichteten Ausbeutung der
       Erdkrume.
       
       ## Ein Pflänzchen auf der Hand
       
       Dieser sachlich distanzierten Interpretation einer vom Menschen gemachten
       Landschaft stehen andere Blickweisen nicht nur weiterer Fotograf*innen zu
       Seite. Walter Ballhause, bekannt als sozialdokumentarischer Chronist
       existenzieller Nöte während der Weimarer Republik, lässt in der Handfläche
       behutsam ein Pflänzchen balancieren – das Gleichnis einer fragilen
       Beziehung.
       
       Dem Briten John Blakemore, Staatsbürger eines Landes, dem eine hohe
       Affinität zum Garten und zur Pflanze attestiert wird, scheint hingegen
       selbst barocke Blumenpracht nur Anlass zu beklemmend düsterer Inszenierung
       zu bieten.
       
       Claus Goedicke, unverkennbar ehemaliger Meisterschüler Bernd Bechers,
       isoliert eine Tulpenzwiebel mit Blattwerk und Blüte wie erhaben vor rotem
       Hintergrund. Das Foto entstammt seiner Serie „Dinge“, die
       Alltagsgegenstände wie ein Gebiss, Spüllappen oder einzelne Werkzeuge in
       ihrer banalen Erscheinung präsentiert.
       
       Dies sind also nicht unbedingt von Empathie beseelte Beiträge zum Thema,
       das Martha Rosler, US-amerikanische Videokünstlerin, in drei wackeligen
       Super-8-Filmen weiter pointiert. Ihre Kamera fährt etwa entlang grellbunter
       Schnittblumenfelder, Monokulturen im Kalifornien: ökologisch desaströs,
       jedoch eine der wenigen inoffiziellen Arbeitsmöglichkeiten für nicht
       registrierte Immigrant*innen. Aber auch der häusliche Garten ist, jetzt
       feministisch betrachtet, ein Hort der Ausbeutung: Was wie Freizeit aussieht
       – Blumen gießen, Wäsche in die Sonne hängen – ist die unbezahlte Arbeit
       sogenannter Reproduktion.
       
       Zum Glück hält die Ausstellung auch sommerlich Versöhnliches parat: Arnold
       Leisslers allegorischen Irrgarten etwa oder den farbigen Linolschnitt
       „Kleine Gärtnerei“ der zu Unrecht fast vergessenen Hannoveranerin Grethe
       Jürgens. „Landschaft“ ist stets eine subjektive Angelegenheit.
       
       19 Aug 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Maria Brosowsky
       
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