# taz.de -- Kritische Bauhaus-Ausstellung: Die Puppe bricht das Schweigen
       
       > Die Ausstellung „Weissenhof City“ in Stuttgart handelt von Wohnraum,
       > Nationalismus – und davon, wie politisch neutral Kunst sein kann.
       
 (IMG) Bild: Anspielung auf das Stuttgarter Viertel Weissenhofsiedlung – Szene aus Dani Gals Film „White City“
       
       Die britische Journalistin hakt mehrfach nach. Wie könne es sein, dass er
       geglaubt habe, das Bauhaus hätte unter der nationalsozialistischen
       Regierung weiterexistieren können, fragt sie Ludwig Mies van der Rohe in
       [1][Dani Gals] fiktivem TV-Interview. Der Architekt war seit 1930 Direktor
       der legendären Kunsthochschule und hatte versucht, das Bauhaus nach dessen
       Abwicklung in Dessau in Berlin als Privatschule weiterzuführen. Es sei
       damals noch nicht vorauszusehen gewesen, dass unter den neuen Machthabern
       eine freie gestalterische Arbeit unmöglich würde, antwortet der Architekt.
       1938 verließ auch er Deutschland.
       
       Die Ausstellung „Weissenhof City. Von Geschichte und Gegenwart der Zukunft
       einer Stadt“ in der Staatsgalerie Stuttgart startet mit großem Kino, das
       suggestiv Zeitsprünge von der [2][Gründung des Bauhauses] 1919, der
       Weissenhofsiedlung 1927 und die Nachkriegsmoderne bis heute einebnet.
       Damals geführte Diskussionen über modern gestalteten Wohnraum für alle,
       Nationalismus und die Frage, wie politisch neutral Kunst sein kann, sind
       wieder brandaktuell. Was aber bewirkt dieser Zeitraffer? Gibt es heute
       wirklich vergleichbare Strukturen wie am Vorabend der NS-Herrschaft?
       
       Auf den ersten Blick schon. Auch heute wird wieder über bezahlbaren,
       funktionalen Wohnraum diskutiert, werden soziale und wirtschaftliche
       Aspekte abgewogen, wie schon 1926 in der Gemeinderatssitzung, als es um den
       Baubeschluss für die Weissenhofsiedlung in Stuttgart ging. Argumente für
       und wider schallen durch den Raum. Michaela Meliáns Sound-Installation
       „Neues Bauen“ verknüpft Zitate aus der Debatte mit visuellen Fragmenten,
       die sie in eine Wandzeichnung zusammenbringt. Es sind nicht nur die Häuser
       von Le Corbusier, Scharoun und Gropius zu erkennen, sondern auch ein
       Minarett, eine Pyramide und ein Häuserblock an der Peripherie, der an
       effiziente Lager-Bauweise erinnert.
       
       ## Die konditionierte Frau
       
       Meliáns zweite Raum-Inszenierung „Girl-Kultur“ kreist um das Ideal der
       neuen Frau, die mit Bubikopf und kurzem Rock die Welt erobert – sofern sie
       nicht eine Familie zu versorgen hat. Die Avantgarde-Bauten sahen
       funktionelle Küchen vor, eng wie Gefängniszellen. Die Künstlerin ließ einen
       Teppich in den Maßen der Küche des Le-Corbusier-Hauses (heute
       Weissenhof-Museum) weben, dessen Muster ein Gewirr von Linien zeigt. Es
       handele sich jedoch nicht um Spuren von Arbeitsbewegungen, sondern um
       übereinandergelegte Zeichnungen der damaligen Stararchitekten, sagt
       Kuratorin Alice Koegel.
       
       Der von Ferne wie ein monumentaler Chip wirkende Teppich zieht den Blicke
       auf sich, genauso wie die wandernde Lichtprojektion, die eine junge Frau
       tanzend im Freien zeigt. Die Harlekin-Puppe im Schatten bleibt zunächst
       unbemerkt, doch ist es sie, die spricht: Aus ihrem Kopf dringen Zitate,
       Belege der latenten Frauenfeindlichkeit im Bauhaus. Die konditionierte
       Frau, die Puppe bricht das Schweigen.
       
       Zahllose historische Momentaufnahmen von Stuttgart als Ort der Avantgarde
       sind in diesen Auftragsarbeiten kunstvoll verpackt. Dem historischen
       Kontext weitgehend entzogen hat sich Martin Schmidl, der sich mit dem
       theoretischen Nachlass von Adolf Hölzel befasst hat. Hölzel war in
       Stuttgart Lehrer von Johannes Itten, der mit seinem Vorkurs das Bauhaus
       geprägt hat. Schmidls „Handwirtschaft“ versucht die Methode des Stuttgarter
       Professors anhand einer Wandzeichnung sinnfällig zu machen, die aus Zitaten
       aus dessen morgendlichen „Schriftblättern“ besteht. „Es gehört in der Kunst
       immer alles zusammen, aber zweifellos ist das Geistige wichtiger als das
       Handliche“, schrieb Hölzel. Kandinsky hätte es nicht besser sagen können.
       
       ## Die Avantgarde – nicht jedermanns Sache
       
       Die Staatsgalerie tritt bei diesem Projekt bewusst als Produzentin auf. Sie
       ermöglichte zwei Filme von Dani Gal, zwei Sound-Installationen von Michaela
       Melián, Schmidls Hölzel-Revival und Boris Sieverts exklusive
       Stadtexkursionen, die in der Ausstellung nur mit einem kleinen Video
       repräsentiert sind. Es zeigt, wie der Künstler ein Modell Stuttgarts aus
       Ton knetet, sich auf diese Weise der Struktur der Stadt nähert. Seine vier
       eintägigen Fahrradreisen zu unbekannten Zeugnissen der Moderne in der
       Stuttgarter Peripherie sind ausgebucht.
       
       Es werden eindrucksvolle Bilder bleiben von dieser Ausstellung, die das
       Image der Staatsgalerie als Große-Meister-Event-Maschine überzeugend
       korrigiert. Nicht zuletzt durch Dani Gals zweiten Film „White City“, in dem
       der Künstler Berührungspunkte im Denken von Zionisten und
       Nationalsozialisten nachvollziehbar macht. In der fiktiven Handlung lässt
       der israelische Künstler den Zionisten Arthur Ruppin auf den
       NS-Rassentheoretiker Hans F. K. Günther treffen. Offenbar hat Ruppin um ein
       solches Treffen gebeten und wurde auch empfangen. Was aber gesprochen
       wurde, hat Gal aus Tagebucheinträgen Ruppins konstruiert.
       
       Nach dem Gespräch reiste der [3][Mitbegründer Tel Avivs] nach Stuttgart, um
       sich die Weissenhofsiedlung anzusehen. Gal lässt ihn durch ein Labyrinth
       weißer kubischer Bauten wandern, irritiert von Männern in Djellabar und
       einem Dromedar an der Straßenkreuzung. Diese surreale Vision spielt auf
       reale Ereignisse an. Fünf Jahre nach seiner Einweihung war der Weissenhof
       im Volksmund zu „Klein-Jerusalem“, zum „Araberdorf“ geworden. Wenn es eine
       Lehre aus der Erzählung vom Bauhaus gibt, dann vielleicht diese: Die
       Avantgarde war und ist nicht jedermanns Sache. Ihre Ideen müssen in der
       Gesellschaft ausgehandelt werden und es muss Raum für Pluralität bleiben.
       Gestern wie heute.
       
       13 Aug 2019
       
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