# taz.de -- Geflüchtete im Sudan: Endstation Khartum
       
       > Einhunderttausend Eritreer sitzen auf dem Weg nach Europa im Sudan fest.
       > Liegt das an der europäischen Flüchtlingspolitik?
       
 (IMG) Bild: Ein Marktplatz in Djeref – in dem Viertel von Khartum leben sehr viele Eritreer
       
       In einem dunklen Zimmer in Khartum, das früher einmal eine Garage gewesen
       ist, sitzt ein junger Mann aus Eritrea in weißem Ein Poster im
       Flüchtlingslager AlUnterhemd auf einer Bettkante und erzählt, wie sein
       Traum von Europa zerbrach.
       
       Wenn Noah Solomon* spricht, dann flüstert er. Wenn es an der blauen
       Metalltür klopft, schreckt er zusammen. Auf seinen Unterarm hat er sich
       „Sorry Mam“ tätowiert. Einmal auf Englisch – einmal auf Tigrinisch. Vor
       zwei Jahren ist er aus Libyen in die sudanesische Hauptstadt zurückgekehrt.
       
       Solomons Geschichte ist die eines Überlebenden oder – je nachdem, wer sie
       erzählt – die eines Versagers. Er ist einer von Tausenden ostafrikanischen
       Geflüchteten, die in den vergangenen Jahren nach Khartum kamen, um von hier
       weiterzuziehen nach Libyen und von dort nach Europa.
       
       1,1 Millionen Geflüchtete leben laut Angaben des Flüchtlingshilfswerks
       [1][UNHCR] im Sudan. 122.000 kommen aus Eritrea, andere aus Äthiopien und
       Südsudan. Wie viele sich wie Solomon unregistriert im Land aufhalten, weiß
       niemand.
       
       ## War die EU erfolgreich?
       
       2014 hat die EU die strategische Bedeutung des Sudan für Migration nach
       Europa erkannt und den [2][Khartum-Prozess] gestartet, eine Initiative zur
       Vernetzung der EU mit den Ländern am Horn von Afrika. Es ist ein Versuch,
       Menschen wie Noah Solomon von der Flucht nach Europa abzuhalten.
       
       81 Millionen Euro hat die EU bis 2022 für das Better Migration Management
       (BMM) in den acht Ländern am Horn von Afrika bereitgestellt, das zum
       Großteil von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit
       (GIZ) umgesetzt wird. Das offizielle Ziel der GIZ lautet: MigrantInnen
       besser schützen. Mit Informationskampagnen, die über die Gefahren auf den
       Fluchtrouten aufklären sollen. Oder mit dem Training von Grenzpolizisten
       und Behörden wie dem Nationalen Komitee zur Bekämpfung von Menschenhandel.
       
       Tatsächlich ist die Zahl der Geflüchteten vom Horn von Afrika seit Beginn
       des Khartum-Prozesses stetig zurückgegangen. 2015 waren 25 Prozent aller
       Geflüchteten, 39.000 Menschen, die von Nordafrika nach Italien flohen, aus
       Eritrea. Aus keinem Land kamen damals mehr. Im Jahr 2019 sind es noch so
       wenige, dass sie in der Statistik nicht mehr separat gelistet werden.
       
       Und das, obwohl die Zahl der EritreerInnen, die jedes Jahr in den Sudan
       kommen, nach Angaben der sudanesischen Behörden und des UNHCR stets
       konstant geblieben ist.
       
       Sind diese Zahlen Belege für den Erfolg der EU-Politik am Horn von Afrika?
       
       In Al-Jerif, einem Viertel in der sudanesischen Hauptstadt Khartum, liegt
       hinter einem unscheinbaren Metalltor ein Teil der Antwort. Die Frauen legen
       ihre Kopftücher ab, die Männer tragen Rosenkränze ums Handgelenk. Die
       Menschen hier drinnen sprechen Tigrinisch und nicht Arabisch wie auf der
       Straße. Alle in der Garagensiedlung in Al-Jerif teilen ein Schicksal: Sie
       sind aus Eritrea geflohen.
       
       Hier lebt Noah Solomon, der 2016 vor dem Wehrdienst in den Sudan floh und
       2017 den Beschluss fasste, nach Europa zu gehen.
       
       Nebenan wohnt Elena Semere*, Ende 40, zusammen mit ihren erwachsenen
       Töchtern. Sie ist vor vier Jahren aus Eritrea geflohen, nachdem ihr Mann
       zur Arbeit ging und spurlos verschwand. Über dem Schminktisch hängt ein
       Poster: „Happy Birthday“ steht darauf, daneben eine große Zwei und das Foto
       eines kleinen Jungen, ihres Enkels: „Wenn er groß ist, wird er die Wahrheit
       über seinen Vater erfahren müssen, das bricht mir das Herz.“ Ihre Tochter
       wurde auf der Flucht von einem Schlepper an der Grenze vergewaltigt.
       
       Eine Tür weiter das Zimmer von Yusuf Edris*. Ein Mann mit einer langen
       Narbe auf der linken Wange. Seine drei jüngeren Geschwister sind über das
       Mittelmeer nach Italien geflohen, leben inzwischen in Dortmund und Berlin,
       zum Beweis zeigt er Fotos auf seinem Smartphone. An der Zimmerwand hängt
       ein buntes Poster, das den Erzengel Michael zeigt, wie er dem Teufel eine
       Lanze durch den Rücken treibt. „Wollen wir nicht alle Engel sein und das
       Böse besiegen?“, fragt Edris. Bis vor drei Jahren hat er als Schlepper
       gearbeitet und Menschen gegen Geld von Eritrea in den Sudan gebracht.
       
       Für die Europäische Union ist Yusuf Edris kein Engel, sondern der Endgegner
       im Kampf gegen Migration. Im Jahr 2017 hat die EU gemeinsam mit den
       sudanesischen Behörden zusätzlich zum BMM das Regional Operational Center
       in Khartum (ROCK) eröffnet. Ein Geheimdienstzentrum, in dem Daten über
       irreguläre Migrationsströme in Ostafrika gesammelt werden, um so
       Schleppernetzwerke besser bekämpfen zu können.
       
       Die sudanesische Regierung hat bereits 2014 die Antischleppergesetze
       verschärft, das Nationale Komitee zur Bekämpfung von Menschenhandel
       vermeldet Jahr für Jahr steigende Zahlen der Verhafteten. Im „Trafficking
       in Persons Report“, einem Jahresbericht des US-Außenministeriums, ist Sudan
       vor zwei Jahren von der schwarzen Liste gestrichen worden. Doch noch immer
       wird dort vermerkt, Mitglieder des Militärs würden Minderjährige für den
       Krieg im Jemen rekrutieren, außerdem gebe es keine Bemühungen, die
       Verschleppung von Sexarbeiterinnen zu stoppen.
       
       Beim Interview erzählt Yusuf Edris, dass er selbst zwei Jahre lang wegen
       Menschenschmuggels im Gefängnis saß. Nicht im Sudan, sondern in Eritrea.
       Dass er wieder freigelassen wurde, sei für ihn ein Wunder. Es sei ein
       Irrglaube, dass sich Migration bekämpfen lasse, indem man Schmuggler
       bekämpfe. „Wir helfen den Leuten, der grausamsten Diktatur der Welt zu
       entfliehen. Wir riskieren unser Leben und nehmen dafür Geld. Ich sehe darin
       nichts Verwerfliches.“
       
       Wir treffen Ramadan Ahmed in der sudanesischen Kleinstadt Kassala, wenige
       Kilometer entfernt von der eritreischen Grenze. Er ist Aktivist für die
       Rechte von Geflüchteten und Mitglied in der eritreischen Opposition ELF.
       Für ihn ist die Strategie der EU zu kurz gedacht. Die sogenannten
       Schlepper, die die Regierung verhaftet, seien oft einfache Leute:
       Taxifahrer oder Guides, die in der Grenzregion lebten und den Menschen für
       kleine Summen den Weg in die Stadt wiesen. „Wer Migration bekämpfen will,
       muss die Ursachen bekämpfen, aber die Situation in Eritrea hat sich in den
       letzten Jahren stetig verschlechtert“, sagt Ahmed über das Land, in dem
       Diktator Isayas Afewerki seit fast 27 Jahren herrscht.
       
       Während unseres Aufenthalts im Sudan sprechen wir mit 20 EritreerInnen. Die
       Liste der Verbrechen, die sie der Regierung vorwerfen, ist lang: Der Staat
       verpflichte College-AbgängerInnen für unbegrenzte Zeit in den National
       Service, berichten sie. Auch an andere Arbeitsplätze werde man von der
       Regierung gezwungen. Manche müssten für ausländische Bergbau- oder
       Straßenbauunternehmen arbeiten, Oppositionellen drohten Verhaftungen und
       lebenslange Gefängnisstrafen ohne Gerichtsverfahren.
       
       Es ist illegal, Eritrea ohne Erlaubnis der Behörden zu verlassen, wer es
       doch tut, riskiert, an der Grenze erschossen zu werden. Nach dem
       Friedensabkommen mit Äthiopien im Jahr 2018 hat Eritrea für wenige Monate
       seine Grenzen geöffnet; nachdem viele Menschen die Möglichkeit zur Flucht
       nutzten, sind sie inzwischen wieder geschlossen. Das EU-Parlament stellte
       2017 in einer Resolution klar, dass Eritrea eine der „schlechtesten
       Menschenrechtsbilanzen der Welt“ habe, und beurteilte den National Service
       als „Zwangsarbeit“ und eine „Form der Sklaverei“.
       
       Dies alles hält die EU nicht davon ab, Eritrea 80 Millionen Euro aus ihrem
       Treuhandfonds für Afrika zur Verfügung zu stellen, um ein Straßenbauprojekt
       zur Verbindung von Eritrea und Äthiopien zu realisieren. Unter anderem mit
       dem Ziel, damit „Migrationsursachen“ zu bekämpfen.
       
       ## Zehn Prozent sind geflohen
       
       Vergangene Woche hat eine von Exileritreern gegründete NGO, die Stiftung
       Menschenrechte für Eritreer, in Amsterdam Klage gegen die EU eingereicht.
       Der Vorwurf: Arbeiter aus dem National Service würden gezwungen, die
       Straßen zu bauen. Die EU verstoße daher gegen ihre eigenen Prinzipien und
       gegen internationales Recht. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights
       Watch kritisieren, dass es keine Möglichkeiten gebe, die Arbeitsbedingungen
       vor Ort zu überwachen. Die EU verfügt in Eritrea nicht einmal über eine
       Vertretung.
       
       Der Exodus, den Eritrea im vergangenen Jahrzehnt erlebt hat, lässt sich
       nicht aufhalten: Mehr als eine halbe Millionen Menschen sind außer Landes
       geflohen, rund 10 Prozent der Gesamtbevölkerung.
       
       Als Noah Solomon 2016 aus Eritrea nach Khartum flieht, findet er Arbeit in
       einer Putzfirma. Tagsüber reinigt er Bürogebäude, in den späten
       Abendstunden brät er Burger in einem Restaurant. Er verdient gerade so viel
       Geld, dass es zum Überleben reicht. Er besitzt weder Arbeitserlaubnis noch
       Aufenthaltsgenehmigung. Im Januar 2017 sei in dem Restaurant, in dem er
       gearbeitet habe, die Kasse gestohlen worden, erzählt er.
       
       Sein Chef habe ihn verdächtigt und die Polizei gerufen. Weil er kein Geld
       für einen Anwalt gehabt habe, habe er sich nicht verteidigen können und sei
       wegen Diebstahls zu drei Monaten Gefängnis verurteilt worden. „Damals habe
       ich verstanden: Ich muss hier weg, wenn ich jemals in Würde leben will“,
       sagt er. Als er im April 2017 aus der Haft entlassen worden sei, habe er
       beschlossen zu fliehen. FreundInnen hätten ihm den Kontakt zu einem
       Schlepper vermittelt.
       
       In Omdurman besteigt er dann einen Pick-up. „Thatchers“ nennen die
       Schlepper die weißen Toyotas nach der „Iron Lady“, der ehemaligen
       britischen Premierministerin. Außerhalb der Stadt wird er zusammen mit etwa
       120 anderen Menschen auf einen Lastwagen verladen und bis zur libyschen
       Grenze gebracht.
       
       Mehrere Geflüchtete seien auf der fünftägigen Fahrt tot zusammengebrochen,
       erinnert sich Solomon. Sie hätten die Toten mit bloßen Händen im Sand
       begraben.
       
       An der Grenze werden sie von den sudanesischen Schleppern an Libyer
       übergeben. Die fahren mit den Passagieren weiter Richtung Norden, laden sie
       in einer Lagerhalle aus weißen Ziegeln ab. Bis hierhin muss niemand
       bezahlen – jetzt wollen die Schlepper ihr Geld.
       
       1.500 Dollar. Wer sofort zahlt, darf weiterreisen Richtung Meer, nach
       Tripolis. Wer nicht zahlen kann, wird als Geisel genommen. Die Schlepper
       wählen die Telefonnummern der Familien im Sudan oder Eritrea; sobald diese
       ans Telefon gehen, beginnen zwei die Geisel zu foltern. Mit Fäusten, mit
       Stöcken, mit Stromkabeln. Die gleiche Prozedur. Wieder und wieder. Jeden
       Tag.
       
       Noah Solomons Familie in Eritrea beginnt Geld zusammenzukratzen. Die Mutter
       verkauft all ihren Schmuck, die Möbel, sogar die Betten. „Bis das Haus
       komplett leer war“, sagt Solomon. Das Geld liefert die Familie bei einem
       Mittelsmann in Eritrea ab.
       
       Er kommt frei und reist weiter nach Sabrata, einer Hafenstadt an der
       libyschen Küste. Mit einem Facebook-Aufruf sammelt er Geld für die
       Überfahrt nach Europa. Mithilfe von Mitgliedern aus der Diaspora,
       entfernten Verwandten und FreundInnen, die es nach Europa geschafft haben,
       gelingt es ihm, 2.000 Dollar aufzubringen.
       
       ## Warten auf die Überfahrt
       
       Zusammen mit Hunderten anderen wartet er in einer Lagerhalle auf die
       Überfahrt, als sie von einer Gruppe bewaffneter Männer überfallen werden.
       Die Schlepper werden erschossen, die Flüchtenden mit vorgehaltener Waffe
       abgeführt und in ein anderes Lager gebracht.
       
       Zwar schafft er es, nach wenigen Tagen zu entkommen. Aber das Geld für die
       Überfahrt ist weg. Als er endlich das Meer sieht, ist er zum Aufgeben
       gezwungen. Mithilfe eines Händlers, der von Libyen in den Sudan reist,
       kehrt er nach einem Jahr zurück.
       
       In Al-Jerif kennen die benachbarten Jugendlichen Solomons Geschichte; ob
       diese sie vom großen Traum von Europa abbringen wird, vermag er nicht zu
       sagen. „Niemand kann sich den Horror vorstellen, bis er ihn nicht mit
       eigenen Augen gesehen hat.“
       
       Laut einer Studie, die die UN-Entwicklungsorganisation UNDP im Oktober 2019
       veröffentlichte und für die rund 2.000 MigrantInnen, die von Afrika nach
       Europa geflohen waren, interviewt wurden, gaben 93 Prozent der Menschen an,
       dass sie über die Risiken der Flucht Bescheid wussten – und nur 2 Prozent
       sagten, dass Aufklärung sie an der Reise gehindert hätte.
       
       Warum aber sind die Zahlen derer, die von Sudan nach Libyen aufbrechen und
       von dort weiter nach Europa fliehen, in der Vergangenheit so stark
       zurückgegangen?
       
       Die GIZ verweist gerne auf ihr eigenes Engagement: Insgesamt habe das BMM
       mit seinen Kampagnen 150.000 Menschen am Horn von Afrika erreicht, schreibt
       die Organisation für Entwicklungszusammenarbeit auf Anfrage der taz.
       Ebenso, dass 18.200 schutzbedürftige MigrantInnen darin unterstützt wurden,
       Zugang zu Gesundheits- und psychosozialer Versorgung sowie rechtlicher
       Beratung zu bekommen.
       
       Wenn man Hamdan Dagalo zuhört, geht der Rückgang der Geflüchtetenzahlen vor
       allem auf sein Konto. Der Anführer der sudanesischen Rapid Support Forces
       (RSF), der der Übergangsregierung angehört und als derzeit mächtigster Mann
       im Sudan gilt, sagte in einem Interview mit al-Dschasira im Jahr 2017, die
       EU verliere „Millionen im Kampf gegen Migration, deshalb sollten sie uns
       unterstützen“.
       
       Die RSF, die früher Janjaweed hießen, waren bis zu dessen Sturz so etwas
       wie die Privatmiliz des Ex-Diktators Omar al-Baschir und werden für den
       Genozid in Darfur mitverantwortlich gemacht. Verschiedene
       Menschenrechtsorganisationen haben in der Vergangenheit den Verdacht
       geäußert, die EU unterstütze die RSF beim Grenzschutz. Auf Anfrage der taz
       bestreitet die EU jedoch, dass es je finanzielle Unterstützung für die
       Miliz gegeben habe.
       
       Die meisten Geflüchteten, mit denen wir in Khartum sprechen, sind weder
       RSF-Kämpfern an der Grenze begegnet, noch haben sie von den Projekten der
       EU gehört. „Das Leben für uns Eritreer hat sich, seit ich hier lebe, kein
       bisschen verbessert“, sagt Solomon, als er über die Zeit nach seiner
       Rückkehr aus Libyen spricht. Dass kaum noch Menschen aus dem Sudan fliehen,
       hat wahrscheinlich andere Gründe.
       
       „Der Weg nach Libyen ist seit mehr als einem Jahr verschlossen“, sagt Yusuf
       Edris, der selbst nie Menschen nach Libyen geschleust haben will, aber
       Kollegen von früher kennt, die entlang der Route arbeiten. „Das Risiko ist
       zu groß, die Lage in Libyen zu unübersichtlich.“ In den letzten eineinhalb
       Jahren seien immer öfter „Menschentransporte“ wie jener von Noah Solomon
       von konkurrierenden Warlords überfallen worden, sodass sich der Schmuggel
       nicht mehr lohne.
       
       Nach zwei Wochen Recherche in Khartum und im Osten Sudans, nach Interviews
       mit Staatsanwälten, Schleppern, Geflüchteten und NGO-MitarbeiterInnen
       scheint es, als seien es nicht zuallererst die Millionen, die die EU in das
       BMM investiert, und auch nicht die Milizen wie die RSF, die die
       MigrantInnen aufhalten.
       
       Es ist vor allem der neu entfachte Bürgerkrieg in Libyen und das dadurch
       entstandene Machtvakuum, das das Geschäftsmodell der Schlepper unrentabel
       macht – und Geflüchtete zum Ausharren im Sudan zwingt.
       
       ## Lockdown in Khartum
       
       Für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich die Lage in Libyen bald
       verbessert, hat die Afrikanische Union vorgesorgt. Im Oktober 2019 gab sie
       bekannt, ein Continental Operational Center in Khartum zu eröffnen. Hier
       sollen sich die Geheimdienste Afrikas vernetzen, um gemeinsam Grenzen und
       Menschenhandel besser zu kontrollieren und zu überwachen.
       
       Auf unsere Anfrage schreibt eine Sprecherin der EU Kommission, das Center
       sei eine Initiative der Afrikanischen Union, „nichtsdestotrotz“ werde „es
       Gespräche zwischen der EU und der AU geben, um den Austausch mit dem
       Continental Center zu diskutieren“.
       
       Jérôme Tubiana, Wissenschaftler des niederländischen Clingendael Institute,
       das 2018 eine Studie über die Auswirkungen der EU-Politik im Sudan
       veröffentlichte, warnt: „Die EU ist die Hauptgeldgeberin für die AU. Es ist
       interessant zu sehen, wie die EU so viel der Migrationsarbeit wie möglich
       an die Afrikanische Union auszulagern versucht, nicht zuletzt weil sich so
       ethische Dilemmata verwässern lassen.“
       
       In Khartum hat die Regierung Mitte April wegen des Coronavirus einen
       kompletten Lockdown beschlossen. Bislang gibt es 2.700 bestätigte Fälle und
       111 Tote. Die Menschen werden dazu angehalten, zu Hause zu bleiben. Polizei
       und Militär kontrollieren die Straßen. Die Geflüchteten aus Eritrea leiden
       besonders unter den Maßnahmen. Oft sind sie nicht registriert, haben keinen
       Zugang zur Krankenversorgung und müssen sich als Tagelöhner den
       Lebensunterhalt auf der Straße verdienen.
       
       Die Jugendlichen in Al-Jerif suchen weiter nach Wegen, das Land zu
       verlassen. Es gibt Gerüchte von neuen Fluchtrouten: über die Westgrenze in
       den Tschad, weiter nach Algerien oder Marokko, und von dort über das
       Mittelmeer.
       
       Noah Solomon will davon nichts wissen. Seit er zurück ist, arbeitet er
       nicht, verlässt nicht das Zimmer, das er sich mit einem Freund teilt.
       „Warum sollte ich?“, fragt er. Hier im Sudan fürchtet er die Polizei. Zu
       Hause in Eritrea würde er verhaftet.
       
       Sein Traum von Europa sei in Libyen vernichtet worden, sagt er, als wir uns
       noch vor der Coronakrise auf zwei Stahlfederbetten in seinem Zimmer in der
       Garagensiedlung in Al-Jerif gegenübersitzen. Er warte jetzt bloß noch auf
       den Tod. Dieses Jahr wird er 24.
       
       *Alle Namen der Geflüchteten wurden auf deren Bitte hin geändert, da die
       Betroffenen sich vor Verfolgung durch die sudanesischen Behörden fürchten
       
       25 May 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.unhcr.org/dach/de/38227-mehr-internationale-solidaritaet-fuer-fluechtlinge-im-sudan.html
 (DIR) [2] /EU-Fluechtlingspolitik-im-Sudan/!5355404
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bartholomäus von Laffert
       
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