# taz.de -- Rassismusforscher über „Afrozensus“: „Wir brauchen einen Einblick“
       
       > Wie kann über Schwarze Menschen in Deutschland gesprochen werden, wenn es
       > keine Datengrundlage gibt? Daniel Gyamerah über Forschung und Leere.
       
 (IMG) Bild: Im Dialog: SPD-Bundestagsabgeordneter Karamba Diaby in Halle
       
       taz: Herr Gyamerah, Sie wollen Deutschlands ersten Afrozensus durchführen.
       Was genau ist das? 
       
       Daniel Gyamerah: In Deutschland leben über eine Million Menschen
       afrikanischer Herkunft. Das ist aber auch schon eine der ganz wenigen
       statistischen Angaben, die wir über diese Gruppe machen können. Sie steht
       bisher weder im Fokus der Wissenschaft noch der Politik. Das führt dazu,
       dass die Lebensrealitäten Schwarzer Menschen in Deutschland oft einfach
       nicht gesehen werden. Das wollen wir ändern, indem wir zum ersten Mal so
       viele Schwarze Menschen wie möglich befragen. Wir wollen mehr erfahren über
       das Leben und die Diskriminierungserfahrungen der afrodiasporischen
       Gemeinschaften, aber auch darüber, in welchen Jobs die Leute arbeiten,
       welchen gesellschaftlichen Beitrag sie leisten, was sie sich wünschen.
       
       Warum glauben Sie, dass diese Menschen bisher kaum gesehen werden? 
       
       Es gibt viel Diskussion und auch viele Statistiken über „Menschen mit
       Migrationshintergrund“. Wenn dieser Begriff fällt, wissen alle, wer
       meistens gemeint ist: Menschen, die nicht weiß sind. Statistisch sieht das
       aber anders aus. Einen Migrationshintergrund hat man unter anderem, wenn
       man selbst oder mindestens ein Elternteil einen ausländischen Pass hat.
       Also auch eine weiße Person mit zwei weißen Eltern, wenn eine*r davon zum
       Beispiel aus Schweden kommt. Diese Person macht in ihrem Alltag aber keine
       Rassismuserfahrungen. [1][Hier leben aber auch Schwarze Menschen, die in
       der vierten oder fünften Generation in Deutschland sind]. Die haben keinen
       Migrationshintergrund – sind aber von rassistischer Diskriminierung
       betroffen. Statistisch fallen sie durchs Raster und werden von der Politik
       nicht beachtet.
       
       Namentlich ist das Projekt ja an den Zensus angelehnt, die „Volkszählung“.
       Nichtweiße Menschen in Deutschland zählen – hat das nicht einen
       unangenehmen Beigeschmack? 
       
       Uns ging es um einen sprechenden Begriff, mit dem alle etwas anfangen
       können. Wir wollen und können gar nicht alle zählen – aber wir brauchen
       einen Einblick, der auch abbildet, was bisher in allen anderen Erhebungen
       fehlt. Es ist nicht grundsätzlich schlecht, sich eine bestimmte Community
       spezifisch anzugucken; das wird zum Beispiel bei der Gleichstellung auch
       mit Frauen gemacht. Aber Forschung, Politik und Verwaltung sind immer noch
       mehrheitlich weiß, und marginalisierte Gruppen haben in der Tat sehr
       rassistische Erfahrungen bei der Datenerhebung gemacht – [2][wenn etwa
       Sinti*zze und Rom*nja in der Polizeistatistik gesondert erwähnt werden].
       Deswegen ist uns wichtig: Wir machen hier eine Erhebung von der Community
       für die Community. Die Teilnahme ist selbstverständlich freiwillig und der
       Datenschutz ist gewährleistet, alle Rohdaten bleiben in der Hand der
       Schwarzen Community, liegen auf geschützten Servern der Schwarzen Community
       und so weiter.
       
       Warum bekommt diese Gruppe nicht genug Aufmerksamkeit von Politik und
       Wissenschaft? 
       
       Von dort kommt immer die Frage, wie groß das Problem denn konkret sei – und
       da fehlen uns eben bisher die Daten. Bis jetzt stellt die Politik in Frage,
       dass Anti-Schwarzer Rassismus überhaupt relevant ist. Das muss sich ändern.
       Wir fragen uns aber auch, wie aussagekräftig die quantitative Forschung,
       wie sie bisher gemacht wird, überhaupt ist. Es wird bislang nicht darauf
       geschaut, inwiefern diskriminierte Gruppen ausreichend repräsentiert sind.
       Und das verzerrt natürlich die Ergebnisse anderer Studien.
       
       Das klingt sehr theoretisch. 
       
       Nehmen wir die TV-Quote. Da geht es um Millionen und Milliarden von
       Fördergeldern. Man will wissen, was die Leute im Fernsehen gucken. Für die
       Erhebung werden aber nur Haushalte mit einem deutschsprachigen
       Haupteinkommensbezieher befragt. Das ist nicht repräsentativ. Oder: Für
       viele Befragungen werden Festnetznummern im Zufallsverfahren ausgewählt.
       Wir wissen aber, dass junge Menschen seltener Festnetzanschlüsse haben, und
       dass Schwarze Menschen eine der jüngsten Bevölkerungsgruppen sind. Das legt
       nahe, dass sie in diesen Umfragen unterrepräsentiert sind. Aber wir wissen
       es einfach nicht, und das ist Teil des Problems.
       
       Was für Fragen werden Sie stellen? 
       
       Wir wollen wissen, wie es den Schwarzen, afrikanischen, afrodiasporischen
       Communities geht. Dafür fragen wir Standardsachen zur Demografie und dem
       sozialen Background: Wo und auf wie viel Quadratmetern wohnen die Leute,
       was verdienen sie, welche diasporischen Bezüge haben sie? Welche
       Erfahrungen machen sie in der Schule, auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt?
       Uns interessiert, was für Diskriminierungserfahrung die Menschen machen,
       zum Beispiel bei Racial Profiling oder im Gesundheitssektor. Kennen sie
       ihre Rechte und entsprechende Beratungsstellen, oder muss da nachgesteuert
       werden? Wir fragen außerdem nach ihren Forderungen an die Politik. Welchen
       Organisationen vertrauen sie – von Gewerkschaften bis zu Parteien? Wo sind
       sie ehrenamtlich aktiv? Es geht uns um ein erstes breites Bild über die
       Community.
       
       Inwiefern unterscheidet sich eigentlich Anti-Schwarzer Rassismus von
       anderen Formen des Rassismus in Deutschland? 
       
       Beim Rassismus gegen Schwarze Menschen spielen koloniale Kontinuitäten eine
       wichtige Rolle, ebenso wie die sehr körperliche Exotisierung Schwarzer
       Frauen und Männer. Schwarze Menschen sind auch deutlich seltener als andere
       rassistisch diskriminierte Gruppen „white passing“ – sie haben meist nicht
       das Privileg, selbst zu entscheiden, ob sie sich outen oder nicht. Es gibt
       natürlich Überschneidungen etwa zum antimuslimischen Rassismus. Schwarze
       Männer werden zum Beispiel ähnlich wie muslimische Männer oft als Gefahr
       dargestellt. Und natürlich gibt es Schwarze Muslime ebenso wie Schwarze
       Sinti*zze und Rom*nja oder Schwarze Jüd*innen. Es geht auch um deren
       Erfahrungen, die eben davon geprägt sind, dass sie mehrere Zugehörigkeiten
       haben. Wir machen die Befragung aber auch, um am Ende Anti-Schwarzen
       Rassismus genauer benennen zu können.
       
       Lässt sich das denn bisher gar nicht so genau beschreiben? 
       
       Natürlich erleben Schwarze Menschen Rassismus in ihrem Alltag. Was genau
       diesen aber ausmacht, welche Spezifika es gibt, ist in Deutschland
       untererforscht, auch wenn es eine lange Geschichte Schwarzer Forscherinnen
       in diesem Feld gibt. Es gibt in Deutschland nicht eine einzige Professur
       mit dem Schwerpunkt Anti-Schwarzer Rassismus oder Black Studies. Und erst,
       wenn wir definieren können, was genau Anti-Schwarzen Rassismus in
       Deutschland ausmacht, können wir in einem zweiten Schritt auch fragen, was
       ihn zum Beispiel von antimuslimischem Rassismus unterscheidet. Auch hier
       machen wir mit dem Afrozensus quasi eine Dienstleistung für Politik und
       Wissenschaft. Wir zeigen auf, was die Schwarze Communitys brauchen, um hier
       gleichberechtigt zu leben.
       
       23 Apr 2020
       
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