# taz.de -- Prozess um mutmaßliche Nazi-Terroristen: „Leicht rechte Einstellung“
       
       > 2015 terrorisierten Rechtsextreme in Freital Geflüchtete und Linke. Nun
       > stehen erneut Angeklagte dafür vor Gericht.
       
 (IMG) Bild: Der Sumpf in dem sich die Gruppe fand: rechter Protest in Freital 2015
       
       DRESDEN taz | Am Montagmorgen reißt Freitals jüngere Vergangenheit wieder
       auf. Dann, als Sebastian S., Ferenc A., Stephanie T. und der frühere
       NPD-Stadtrat Dirk Abraham den Saal des Dresdner Oberlandesgerichts
       betreten. Vier Rechtsextremisten, 27 bis 52 Jahre alt, angeklagt, vor fünf
       Jahren an einer Terrorserie in ihrer Heimatstadt mitgewirkt zu haben.
       
       Die Ereignisse wirken lange her. Heute diskutiert Freital wieder über
       fehlende Kitaplätze, über einen Coronafall am Gymnasium, über den nahenden
       100. Stadtgeburtstag. Aber im Sommer 2015 gab es noch einen anderen Alltag.
       Damals kamen Geflüchtete in die Stadt. In Freital wurde darauf [1][mit Hass
       reagiert]. BürgerInnen und Rechtsextreme protestierten vor einer
       Asylunterkunft, es entstand eine Bürgerwehr, schließlich eine monatelange
       Anschlagsserie auf Unterkünfte und Linke-PolitikerInnen.
       
       Die Gewaltserie sorgte bundesweit für Aufsehen, am Ende ermittelte die
       Bundesanwaltschaft. Bereits 2018 waren acht lokale Rechtsextremisten dafür
       [2][zu hohen Haftstrafen bis zu zehn Jahren verurteilt worden] – als
       organisierte Terrorgruppe. Nun folgt das Quartett vor Gericht, das laut
       Anklage die Kerngruppe unterstützte oder, wie die Ermittler inzwischen
       feststellten, selbst Teil von ihr war.
       
       Vor allem Sebastian S., ein bulliger 27-Jähriger, mischte mit. Er soll Teil
       der Bürgerwehr FTL 360 gewesen sein, aus der heraus später die Terrorgruppe
       entstand. Mit dieser soll sich der Neonazi an einem der Anschläge auf eine
       Asylunterkunft beteiligt haben: Mit verstärkten Böllern wurde damals ein
       Fenster gesprengt, ein Geflüchteter durch einen Splitter im Gesicht und
       Auge verletzt. Die Sprengsätze hatten teils 130 Mal mehr Kraft als
       herkömmliches Feuerwerk. Die Tat wird als versuchter Mord gewertet.
       
       ## Mit Hakenkreuz-Fahne, Bengalos und Hitlergrüßen
       
       Auch bei einem Anschlag auf das Auto des früheren Freitaler Linke-Stadtrats
       Michael Richter und auf ein Büro von dessen Partei soll Sebastian S.
       dabeigewesen sein. An der Auto-Attacke soll sich auch Ferenc A. beteiligt
       haben. Stephanie T. soll die Gruppe unterstützt haben, sie war mit einem
       bereits Verurteilten liiert. Als dieser in Haft saß, bestärkte sie ihn
       darin, die „Kameraden“ nicht zu „verpfeifen“.
       
       Angeklagt ist mit Dirk Abraham nun auch ein Mann, der bis 2019 noch für die
       NPD im Freitaler Stadtrat saß. Er soll Administrator der Facebookgruppe der
       Bürgerwehr gewesen sein, auch Teil einer Chatgruppe und damit ebenfalls
       Mitglied der Terrorgruppe. Für den Anschlag auf das Linke-Büro soll der
       52-Jährige Tipps gegeben haben, etwa zum Sicherheitsglas der Frontscheibe.
       Zudem soll er mit Ferenc A. und anderen in Freital Parolen wie „Refugees
       not welcome“ oder „Kein Heim“ ans Rathaus und andere Wände geschmiert
       haben. Und bei einem Treffen der Gruppe zum Fotoshooting auf einem
       Freitaler Berg – mit Hakenkreuz-Fahne, Bengalos und Hitlergrüßen – sei
       Abraham dabei gewesen.
       
       Vor Gericht verfolgen die vier Angeklagten die Vorwürfe der Dresdner
       Generalstaatsanwaltschaft ungerührt. In Haft sitzt ihnen niemand. Richter
       Hans Schlüter-Staats stellt Bewährungsstrafen in Aussicht – wenn es frühe
       Geständnisse gibt. Die Rechtsextremen kündigen darauf reihum an, aussagen
       zu wollen.
       
       Ferenc A. beginnt. Statt eines Geständnisses aber folgt ein zähes
       Frage-Antwort-Spiel. „Stimmt schon alles, was mir vorgeworfen wird“,
       murmelt der Mann im schwarzen Hoodie. Er habe die anderen auf einer
       Kundgebung vor der Erstaufnahmestelle in Freital, dem früheren Hotel
       Leonardo, kennengelernt. Später habe man an der Tankstelle abgehangen. Als
       es darum ging, das Auto von Linke-Stadtrat Richter zu attackieren, habe er
       eingeworfen: „Warum fragt ihr nicht mich?“ Man habe sich nachts
       angeschlichen, Sebastian S. habe die Autoscheibe mit einem Baseballschläger
       eingeschlagen, er einen Sprengsatz hineingeworfen.
       
       ## Eine „trügerische Ruhe“?
       
       Schlüter-Staats fragt nach: Warum traf es diesen Politiker? „Er hat sich
       halt viel für die Asylanten eingesetzt und wir wollten das damals eben
       nicht so.“ Und die Geflüchteten, die sollten weg? Ferenc A. nickt. „Nu, das
       war Hauptthema.“ Sonst aber will sich A. an kaum noch etwas erinnern. Man
       sei mal nach Dresden zur Demo gefahren, mal nach Heidenau, wo es rechte
       Randale gab. Konkreteres aber, Namen von Beteiligten? „Das weiß ich
       nimmer“, antwortet A. immer wieder. Wie er denn damals politisch
       eingestellt war, fragt ein Opferanwalt. „Leicht rechte Einstellung.“
       
       Auch Stefanie T. weist fast alles von sich. Sie war zwar Anmelderin einer
       der ersten Anti-Asyl-Kundgebungen in Freital, zudem im zentralen Chat der
       späteren Kerngruppe, in der sich laut Selbstdefinition „ausschließlich die
       Terroristen“ sammelten. Dort aber will sie nur hinzugefügt worden sein.
       Wirklich gelesen habe sie nichts, „das hat mich nicht interessiert.“ Auch
       beim Hakenkreuz-Foto auf dem Berg sei sie nur „spontan dazugestoßen“.
       
       Äußern sich die anderen ähnlich, könnte es eine langwierige Beweisaufnahme
       werden – in der auch einige der bereits Verurteilten aussagen könnten. Vier
       von ihnen sind inzwischen wieder auf Bewährung frei. Gegen drei Verdächtige
       im Freital-Komplex wird dagegen bis heute ermittelt.
       
       Eines ihrer Opfer war damals Steffi Brachtel. Die Linke-Lokalpolitikerin
       engagierte sich für Geflüchtete in Freital, stellte sich gegen die
       Rassisten – und wurde zu deren Ziel. Brachtels Name wurde, versehen mit
       Drohungen, an Wände gesprüht, ihr Briefkasten gesprengt, ihr Sohn
       angegriffen. Im Prozess wird Brachtel als Zeugin aussagen. Ja, es sei
       ruhiger geworden in Freital, sagt auch die 44-Jährige. „Ich weiß aber
       nicht, ob es eine trügerische Ruhe ist.“ Denn viele Leute, die gegen die
       Geflüchteten mobil machten, seien ja noch da. Und im nahen Dresden
       organisiere sich gerade eine neue Kameradschaft.
       
       Tatsächlich hatte Freitals Oberbürgermeister Uwe Rumberg die Taten zunächst
       heruntergespielt. Er kritisierte dafür ebenso die Asylpolitik und einige
       Geflüchtete als „Glücksritter“. Im Juni diesen Jahres dann trat er mit acht
       anderen Lokalabgeordneten aus der CDU aus, wegen „großen inhaltlichen
       Differenzen zu verschiedenen politischen Themen“, auch der Asylpolitik. Die
       AfD, seit 2019 stärkste Kraft im Stadtrat, frohlockte über den „mutigen
       Schritt“.
       
       Steffi Brachtel bleibt deshalb auf der Hut. Die Stimmung könne auch
       irgendwann wieder kippen, fürchtet sie. Gerade jetzt, da in der
       Corona-Krise viele wieder rechten Verschwörungen anhingen. „Wir müssen
       aufpassen“, sagt Brachtel. „Und ich mache weiter den Mund auf, wenn nötig.“
       
       7 Sep 2020
       
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       ## AUTOREN
       
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