# taz.de -- Fleischverzehr und unsere Rolle dabei: Jeder Bissen zählt
       
       > Wir haben eine Verantwortung dafür, wie mit Tieren umgegangen wird. Das
       > sollten wir Heranwachsenden beibringen.
       
 (IMG) Bild: Reif für den Schlachthof? Ein Kälbchen im Taunus
       
       Es ist die Zeit des Entenbratens. Auch ich habe viele Jahre an Weihnachten
       eine Ente zubereitet, aber nun ist das schon länger vorbei. Der Braten an
       Weihnachten ist früher auch bei uns etwas Besonderes gewesen, obwohl wir
       Tiere zu Hause hatten, die von uns aufgezogen und geschlachtet wurden. Nach
       meinem Auszug habe ich sieben Jahre auf einem Bauernhof gelebt, mein
       Schwiegervater war Schlachter. Nun bin ich seit vielen Jahren Vegetarierin,
       mit allen damit verbundenen Nachteilen, den blöden Kommentaren von
       Fleischessern: Gemüse hat auch Gefühle. Soja zerstört den Regenwald.
       Irgendwas mit Mann, Jagd und Natur.
       
       Ich bin keine Fanatikerin, ich lasse andere Menschen in Ruhe ihr Fleisch
       essen. Aber ich will auch in Ruhe keines essen dürfen.
       
       Wie ich jetzt darauf komme: In Hamburg Volksdorf hat es in einem Gymnasium
       ein Experiment gegeben. Schüler*innen zogen ein Kalb auf, bei deren Geburt
       sie zufällig dabei waren. Zuerst wollten sie es vor dem Schlachter
       bewahren. Später entschlossen sie sich doch zu einer Schlachtung. Bis dahin
       aber sollte es ein angenehmes Leben haben.
       
       Das ist übrigens auch der Plan der tierhaltenden Biobauern. Die Tiere
       sollen es gut haben. Bis sie es dann nicht mehr gut haben, weil sie
       geschlachtet werden, was, wie wir gerade in diesem Jahr immer wieder
       erfahren mussten, oft kein guter Vorgang ist. Gut nicht für das Tier, und
       gut auch nicht für den Menschen, der daran beteiligt ist. Ist es vor allem
       wichtig, die Lebens- und Sterbebedingungen von Tieren zu verbessern? Oder
       sollten wir kein Fleisch mehr essen? Diese Fragen könnten auch wichtig für
       Heranwachsende sein.
       
       Nun ist das Schulexperiment aber abgebrochen worden, weil sich zu viele
       Menschen eingemischt haben, Tierschützer*innen, Tierschutzvereine. Ich
       finde das schade. Natürlich ist es für das Tier besser, wenn es nicht
       geschlachtet wird. Aber die Jugendlichen, die an diesem Experiment
       beteiligt waren, müssen tägliche Entscheidungen treffen: Kaufe ich diesen
       Burger? Guckt mich da nicht der kleine Bulle an, der so viel Zutrauen zu
       mir hatte? Solche Gedanken macht sich auch die kleine Tierhalterin, mit
       ihrer Kuh, der Rentner mit seinen sieben Kaninchen, dessen Fell er später
       vom Körper zieht.
       
       Ich las vor kurzem einen Kommentar, nachdem jeder Mensch, der an
       Schlachtungen beteiligt sei, verrohen würde. Ich glaube das in solcher
       Ausschließlichkeit nicht. Mein Vater war ein warmherziger Mensch, der bei
       jedem Kaninchen, das er geschlachtet hat, geweint hat. Warum ist er
       trotzdem nicht zu dem Entschluss gelangt, das Fleischessen aufzugeben?
       Vielleicht, wenn er in der jetzigen Zeit aufgewachsen wäre, nicht die
       Erfahrung des Hungerns hätte machen müssen, würde er anders entscheiden.
       Vielleicht.
       
       Die Tiere, die jetzt in den größten Mengen auf den Tisch kommen, leben
       anders, als die, die bei uns aufwuchsen. Sie leben schlecht, kurz und
       sterben oft grausam. Es ist ein Übel, an dem ich mich nicht mehr
       mitschuldig machen will. Aber ich weiß einiges vom Aufziehen und Töten, und
       ich meine damit, ich weiß es wirklich, denn ich habe es erfahren.
       
       Die Schüler*innen haben Zugang zu einer Menge an Informationen, aber sie
       wissen dennoch nicht, was es bedeutet, ein Tier zu töten. Soll man jetzt
       ein solches, öffentlich gewordenes, Tier nicht mehr töten, weil es
       öffentlich geworden ist? Weil es ein Gesicht hat und einen Namen? Und was
       ist mit all den anderen Kälbern, die morgen auf dem Burger landen? Für die
       diese Jugendlichen mit jedem Bissen mitverantwortlich sind, denn sie
       verhungerten nicht, wenn sie keinen Burger äßen.
       
       Sie bekommen vielleicht alle Informationen, so sie denn wollen, aber sie
       begreifen sie nicht, sie sind abstrakt, weil sie nichts mit ihnen zu tun
       haben, mit ihren Körpern und ihrem Empfinden. Ihnen mit allen Konsequenzen
       diese Verantwortung beizubringen, ist ein gutes Projekt. Es ist grausam,
       ein Tier zu schlachten. Aber das ist die Welt, in der sie leben, die sie
       zunehmend mit verantworten, wenn sie in ihr Erwachsenenleben eintreten. Und
       das ist der wichtigste Erziehungsauftrag überhaupt, dass ihnen das bewusst
       gemacht wird, die eigene Verantwortung.
       
       3 Dec 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Seddig
       
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