# taz.de -- Proteste in der Türkei: Hetzjagd in Kadıköy
       
       > Schlagstöcke, Reizgas, Gummigeschosse: Erneut kommt es zu Protesten in
       > Istanbul. AnwohnerInnen öffnen ihre Türen für fliehende StudentInnen.
       
 (IMG) Bild: Am Dienstag kam es in Istanbul erneut es zu Zusammenstößen zwischen Polizei und StudentInnen
       
       ISTANBUL taz | Zu regelrechten Jagdszenen auf StudentInnen durch die
       Polizei kam es am Dienstagabend im Istanbuler Stadtteil Kadıköy. Zunächst
       verhinderte die Polizei mit einem Massenaufgebot eine geplante Versammlung
       der StudentInnen am Hafen. Alles war abgesperrt und gesichert wie eine
       Festung, lange bevor die Versammlung beginnen sollte. Mehrere
       Parlamentsabgeordnete der Oppositionsparteien CHP und HDP waren vor Ort,
       konnten aber die Polizei nicht davon überzeugen, die StudentInnen ihre
       Presseerklärungen verlesen zu lassen.
       
       Die StudentInnen wichen daraufhin in das Straßengewirr der Altstadt von
       Kadıköy aus, wo es über mehrere Stunden zu wilden Hetzjagden kam.
       Greiftrupps der Polizei setzten Schlagstöcke, Reizgas und Gummigeschosse
       ein, um jede auch noch so kurze Versammlung zu verhindern.
       
       Insgesamt kam es erneut zu über hundert Festnahmen, davon 93 allein in
       Kadıköy. Elf weitere StudentInnen wurden in anderen Stadtteilen
       festgenommen. Am Mittwochvormittag befanden sich nach Behördenangaben noch
       29 Personen in Polizeigewahrsam, der Rest war wieder auf freiem Fuß.
       
       Die Szenen erinnerten an die [1][Gezi-Proteste vor knapp acht Jahren].
       AnwohnerInnen in Kadıköy, ein traditionell säkularer, regierungskritischer
       Stadtteil, in dem die Opposition bei den letzten Kommunalwahlen 80 Prozent
       der Stimmen bekam, öffneten ihre Häuser und boten fliehenden StudentInnen
       Unterschlupf vor der Polizei.
       
       Erstmals seit Jahren wieder protestierten AnwohnerInnen um 21 Uhr, zu
       Beginn der coronabedingten Ausgangssperre, indem sie von ihren Balkonen
       herab auf Kochtöpfe einschlugen. Sie zeigten damit ihre Solidarität mit den
       StudentInnen, die schon an dritten Tag in Folge auf die Straße gingen.
       
       ## Protest gegen AKP-Rektor
       
       Seit Anfang des Jahres [2][protestieren StudentInnen und die
       AkademikerInnen] der renommierten Istanbuler Bosporus-Universität gegen
       einen neuen Rektor, den ihnen Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan
       aufgedrückt hat.
       
       Die Universität war bislang eine liberale und demokratische Oase in der
       zunehmend autoritär und islamistisch werdenden Türkei. Mitglieder der
       Universität sehen in der Wahl des neuen Rektors Melih Bulu, der auch noch
       ein hoher Parteimann der AKP ist, einen Angriff auf die Autonomie der
       Universität, einen Versuch der feindlichen Übernahme durch die Regierung.
       
       Je länger die Proteste anhalten, umso mehr zeichnet sich ab, dass dieser
       Aufstand, zumindest in Istanbul, zu einem neuen Kristallisationspunkt des
       Widerstands gegen die Regierung Erdoğan werden könnte. In den sozialen
       Medien wird immer intensiver diskutiert, wie man die StudentInnen
       unterstützen kann. Die Universität hat eine aktive Absolventen-Community,
       die durchaus Einfluss in der Stadt hat.
       
       3 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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