# taz.de -- Abtreibungsgegner in München: Reaktionär trifft feministisch
       
       > Christliche FundamentalistInnen und Rechte demonstrieren beim ersten
       > Münchener „Marsch fürs Leben“ gegen Abtreibungen. Aber es gibt auch
       > Gegenprotest.
       
 (IMG) Bild: Rund 800 AbtreibungsgegnerInnen haben sich am Samstag in München versammelt
       
       MÜNCHEN taz | Punkt 12 Uhr läuten die Glocken von St. Peter in der Münchner
       Altstadt, dem bekannten Alten Peter. Doch die Szenerie vom vergangenen
       Samstag ist anders als sonst – die Polizei hat die gotische Kirche von
       außen abgeriegelt, zehn Einsatzfahrzeuge stehen davor, Polizisten in
       Schwarz mit Helmen und Knüppeln in den Händen drumherum. Eine Art
       Hochsicherheitszone. Am Eingang zur Kirche steht Julia, 18 Jahre alt, auf
       ihrem orangefarbenen T-Shirt steht „Life is Life“. „Ich finde Abtreibungen
       furchtbar“, sagt sie, „als Christin bin ich für das Leben.“
       
       Der Verein „Stimme der Stille“ hat zum ersten Münchner „Marsch für das
       Leben“ aufgerufen. Hinter dieser Bewegung steckt ein Gebräu aus radikalen
       AbtreibungsgegnerInnen, christlichen FundamentalistInnen und Rechten bis
       Rechtsextremen. Sie geben sich auch Namen wie „Lebensrechtler“ und „Pro
       Life“. In Berlin und anderen Städten werden immer wieder [1][„Märsche für
       das Leben“] organisiert. In München ist es der erste, die katholische
       Kirche hat für den Auftakt ihre Pforte geöffnet.
       
       Drinnen wird die Messe vom katholischen Pfarrer Daniel Lerch zelebriert,
       die 160 Plätze waren alle schon vorab reserviert. Vom Alten Peter also,
       jenem Münchner Wahrzeichen mit dem sagenhaften Turmblick über die Altstadt,
       soll eine neue Etappe im Kampf gegen Abtreibung, weibliche Selbstbestimmung
       und Feminismus beschritten werden.
       
       Vom Alten Peter geht es zum Odeonsplatz, wo der Demo-Zug beginnt. Einige
       hundert Menschen stehen dort hinter Absperrungen vor der Feldherrnhalle.
       Sie halten Plakate hoch mit dem Slogan „Abtreibung – Nein danke“. Oder:
       „Mutter werden – Mehr Frau sein geht nicht“. Sie singen, begleitet von
       einer akustischen Gitarre, das Kindergeburtstagslied: „Wie schön, dass wir
       zusammen sind. Wir hätten dich sonst sehr vermisst.“
       
       ## Druck der FundamentalistInnen nimmt zu
       
       Ein paar Steinwürfe nördlich, vor dem Eingang zum Hofgarten, gibt es das
       Kontrastprogramm. Verschiedene linke und feministische Gruppen haben zur
       Gegendemo aufgerufen, etwa die „Antisexistische Aktion München“. „Wir
       wollen freie Abtreibung für alle“, schrillt eine Stimme aus dem
       Lautsprecher. Die Menge skandiert: „Kein Gott, kein Staat, kein
       Patriarchat.“ Eine Vertreterin der „Kritischen MedizinerInnen“ berichtet,
       dass es schon jetzt in Bayern und in München schwierig ist, Ärzte zu
       finden, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. [2][Der Druck durch
       FundamentalistInnen nehme zu.] Auf einem Plakat steht: „My body, my rules“
       – mein Körper, meine Regeln.
       
       Zwei Welten stoßen an diesem Nachmittag in München gegeneinander, die
       reaktionär-religiöse und die links-feministische. Dazwischen: die Polizei,
       deren Aufgabe es ist, die Gruppen auf Distanz zu halten. Das funktioniert
       mit Metallgittern, vor allem aber mit teils recht martialisch wirkenden
       Straßensperren von aneinander gereihten Beamten. Diese signalisieren
       unmissverständlich: bis hier und nicht weiter.
       
       Die Fundi-Christen werden auf ihrem „Marsch fürs Leben“ zum Königsplatz
       geleitet, die Gegendemonstranten mit Abstand hinterher, wo sie für ihren
       Protest zwei Bereiche in den Ecken des Quadrats zugewiesen bekommen. Auf
       diesem geschichtsbeladenen Platz werden dann auch die Dimensionen besser
       sichtbar: Am „Marsch“ dürften um die 800 Menschen beteiligt sein, bei den
       Gegnern 400. Von einem Lkw der Veranstalter wird Blasmusik gespielt. Um die
       Bedeutung dieser Bewegung zu unterstreichen, werden Grußworte von anderen
       „Lebensschützern“ vorgetragen, aus Buenos Aires, Sydney, Brüssel,
       Washington, Rom. Ein besonderer Gruß geht nach Kroatien, die dortigen
       Katholiken gelten als die eifrigsten AktivistInnen.
       
       ## „Lieber gut geleckt als unbefleckt“
       
       Die „Fachinformationsstelle Rechtsextremismus München“ (firm) schreibt über
       die Bewegung: „Lebensschutz“ bedeute den „Kampf um den Zugriff auf und die
       Kontrolle über den reproduktionsfähigen Körper“. Dieser werde „seit jeher
       von der Rechten bzw. extrem Rechten geführt, denn für konservative,
       christlich-fundamentalistische, (extrem) rechte und völkische
       AkteurInnen ist der gebärfähige Körper ein zentrales Kampf- und
       Aktionsfeld“. Vereinsvorsitzende der Münchner „Stimme der Stille“ sind die
       in der Szene bekannte Silja Fichtner, Richard Theisen und Andreas Wagner,
       der auf kommunaler Ebene auch für die CSU aktiv ist. firm befürchtet, dass
       mit dem „Marsch“ eine weitere Großveranstaltung solcher Art in
       Süddeutschland etabliert wird.
       
       Auf der Bühne spricht der Pater Johannes im schwarzen Talar. Er ruft
       „Hallelu-“, und die Menge skandiert „-ja!“. Weiter singen sie: „Gib dem
       Leben immer eine Chance“, und zwar auf die Melodie des Beatles-Klassikers
       „Yellow Submarine“. Gegnern des FC Bayern München ist die Hymne besser
       bekannt mit dem Schlachtruf: „Wir ziehen den Bayern die Lederhosen aus.“
       
       Die Kundgebung löst sich am späteren Nachmittag allmählich auf – „ein
       großer Erfolg“, sagt Pater Johannes. Die „Lebensschützer“ müssen sich aber
       von den Kontrahenten noch die etwas zotige Parole anhören: „Lieber gut
       geleckt als unbefleckt.“ Bei wummernden Beats gehen die GegnerInnen auf der
       Straße dann zum gemütlichen Teil über, sie tanzen – mit Atemschutzmaske und
       möglichst 1,50 Meter Abstand.
       
       21 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Patrick Guyton
       
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