# taz.de -- Film über die Antifa: Wann, wenn nicht jetzt?
       
       > Liebe, Action, Antifa. Julia von Heinz’ Spielfilm „Und morgen die ganze
       > Welt“ ist frisch, temporeich und sehr gegenwärtig inszeniert.
       
 (IMG) Bild: „Und morgen die ganze Welt“: Lenor (Tonio Schneider), Luisa (Mala Emde) und Alfa (Noah Saveedra)
       
       Den Kinostart hat Corona im November gehörig verhagelt. Doch dann winkte
       für Julia von Heinz’ Spielfilm „Und morgen die ganze Welt“ zwischenzeitlich
       sogar eine Oscar-Nominierung. Bitter für die AfD, die sich im Bundestag
       über von Heinz’ Werk beschwerte. Nun startet der Film am 6.Mai auf Netflix.
       
       Die AfD fühlt sich durch den Spielfilm verunglimpft, da er die Nähe
       rechtsextremistischer Terrortrupps zu völkischen Abgeordneten symbolisch
       betont. So gehört der Wachmann bei einem der AfD nachempfundenen
       Wahlkampfauftritt zu einer faschistischen Kameradschaft, wie sich im Laufe
       der Handlung herausstellen wird. Eine Übertreibung? Wohl eher nicht.
       
       In einer Sequenz von Heinz’ Spielfilm bewacht ein freundlicher Polizist
       eine Absperrung, während im Hintergrund Neonazis einen asiatischen
       Gastronomen attackieren. Schon klar: Der schwer beschäftigte Beamte hat
       hinten keine Augen.
       
       Doch eine unauffällig bürgerlich gekleidete Antifa-Gruppe beobachtet das
       Geschehen. Und wird ihrerseits bald in Erscheinung treten, um außerhalb des
       Sichtfelds der Polizei am Ortsrand die abgestellten Fahrzeuge der Nazis zu
       demolieren. Einige der Antifas wollen noch mehr und den Nazis zur
       Abschreckung ein paar Ohrfeigen geben. Das bleibt intern umstritten. Und es
       schafft eine brenzlige Situation.
       
       ## Bunter Haufen
       
       Von Heinz’ Spielfilm zeigt eine Antifa-Gruppe, die sich in ihrer Haltung
       klar von der stumpfen Gewalt ihres Gegenübers unterscheiden will. Die
       jugendlichen Linken erscheinen in „Und morgen die ganze Welt“ als ein
       bunter und wenig martialisch wirkender Haufen. Geschlechtlich und sozial
       verschieden, im Nahkampf ausgebildet, aber nicht militaristisch.
       
       Tatsächlich traute sich bislang kein deutscher Spielfilm an eine so
       zeitgenössische Darstellung aus dem Leben des antifaschistischen
       Widerstands heran. Von Heinz zeigt unterhaltsam und parteiisch die Höhen
       und Tiefen einer militanten republikanischen (Jugend-)Bewegung, von der es
       kaum authentische Überlieferungen gibt.
       
       Der Film erzählt und reflektiert die Ereignisse aus der Perspektive der
       20-jährigen Luisa (Mala Emde). Die junge Frau stammt aus einem
       wohlhabenden, konservativ-liberalen Elternhaus und studiert Jura in
       Mannheim. Luisa lernt dort im autonomen Zentrum P81 Alfa (Noah Saavedra)
       kennen.
       
       ## Antifaszene Mannheims
       
       Alfa ist der charismatische Draufgängertyp und leitet die
       Selbstverteidigungsgruppe im P81. Er studiert ebenfalls noch, mit
       Ambitionen, wie Luisa leicht enttäuscht herausfinden wird. Dennoch
       verlieben sich die beiden ineinander. Zusammen mit Lenor (Tonio Schneider),
       Alfas proletarischem Freund, bilden sie alsbald das Herzstück dieser vor
       der Kulisse Mannheims agierenden Antifaszene.
       
       Von Heinz gelingt filmisch ein bemerkenswert authentisches Bild dieser
       hedonistisch antifaschistischen Subkultur, die eine gemeinsame solidarische
       und libertäre Haltung eint. Und nicht die zumeist doch eher als
       abstrakt-männlich empfundene Klassenkampferzählung. Die antifaschistische
       Lebenswelt-Linke versucht politisches Engagement mit individuellem Spaß und
       einem kollektiven Alltag zu verbinden.
       
       Entsprechend fängt die Kamera von Daniela Knapp humorvolle und lebensnah
       inszenierte Bilder von Volxküchen und Partisanenromantik (Bella ciao) ein,
       von Plenasitzungen und Neonschwarz-Konzerte (HipHop). Wegen der
       Antifatätigkeit gerät das P81 am Mannheimer Rheinufer allerdings zunehmend
       ins Visier des Staatsschutzes.
       
       Und Hauptfigur Luisa zunehmend in Konflikt mit ihrer alten Schulfreundin
       Batte (Luisa-Céline Gaffron). Diese hat Luisa überhaupt erst ins P81
       gebracht und studiert ebenfalls Jura. Batte ist der Gegenpol zum impulsiven
       Alfa. Und eine weitere Figur, anhand deren von Heinz ihr sehr authentisch
       wirkendes Ensemble auffächert und die verschiedenen Positionen in der Szene
       diskutiert.
       
       ## Wie weit soll man gehen?
       
       Batte ist die Legalisierung des P81 wichtiger als eine kurzfristige und
       riskante Hauerei mit den Nazis. Luisa hingegen fragt sich immer stärker,
       wie weit man eigentlich gehen soll, ja gehen muss. Die Nazis saufen Bier
       und grölen antisemitische Lieder, hinter den (wie beim NSU in Jena) blau
       angestrichenen Garagentoren lagert der Sprengstoff. Die
       verfassungsrechtlichen Erörterungen im Jura-Seminar erscheinen ihr immer
       ungenügender.
       
       Julia von Heinz hat den Film zusammen mit ihrem Partner John Quester
       realisiert. Beide gehörten selber zur Bonner Antifaszene in den 1990er
       Jahren. Von Heinz macht keinen Hehl aus ihrem früherem Engagement. Auch sie
       wurde als 15-Jährige zusammen mit FreundInnen in den Bonner Rheinauen 1991
       von Nazis überfallen.
       
       „Es gab Nazikneipen, von denen aus regelmäßig Passanten, Linke und
       Ausländer angegriffen und zusammengeschlagen wurden“, sagte ein Sprecher
       der Antifa Bonn/Rhein-Sieg in einem 1994 veröffentlichten Gesprächsband
       („Antifa“, Edition ID-Archiv Berlin). Die Lokalpolitik suchte dies als
       normale Jugendgewalt herunterzuspielen.
       
       Quester und von Heinz arbeiten seit Jahren im Filmgeschäft zusammen. Von
       Heinz hat Hape Kerkeling verfilmt und 2019 einen „Tatort“ gedreht. „Wir
       haben festgestellt, dass es dutzende Filme über Nazis gibt, historische wie
       aktuelle“, sagt die Regisseurin im taz-Gespräch. „Aber kein Spielfilm
       erzählt von den starken Gegenbewegungen, die es dazu auch immer gab und
       gibt.“
       
       ## In der Tradition von Margarete von Trottas
       
       Ihren jetzigen Film sieht sie in der feministischen Tradition von
       Margarethe von Trottas „Die bleierne Zeit“ (1981). Doch so bleiern wie bei
       von Trotta ist die filmische Atmosphäre bei von Heinz und heute längst
       nicht mehr.
       
       Auch andere [1][Spielfilme wie „Der Baader-Meinhof-Komplex“] (2008) oder
       [2][Olivier Assayas’ „Carlos – Der Schakal“ (2010)] haben mittlerweile
       relativ unbeschwert vom Aufbruch der radikalen Linken in der Bundesrepublik
       filmisch erzählt. Aber auch von den Abgründen, in die ein moralischer
       Rigorismus gepaart mit einer recht simplen
       antikapitalistisch-antiimperialistischen Weltsicht plus bewaffneten
       Aktionismus führen kann.
       
       Um dem unterhaltsamen und spannungsgeladenen Film auf einer
       jugendkulturellen Spur zu folgen, braucht man um all diese Hintergründe
       nicht zu wissen. Aber es ist eine seiner großen Stärken, dass er auch eine
       genaue historische Analyse enthält und unaufdringlich Zitate, Chiffren oder
       Bildhinweise einarbeitet.
       
       Zielstrebig führen sie zu dem in den völkischen 1990ern entstandenen
       Nazi-Netzwerk um den NSU, das, bis 2011 unbehelligt, morden konnte. Es
       wurde bis [3][heute nur in Ansätzen ausgehoben] und unterhielt ungeklärte
       Verbindungen zu staatlichen Diensten. Ihre Wiedergänger treten bis ins
       kleinste Detail getreu nachgestaltet als Altnazis, antisemitische
       Bänkelsänger, extrem gewaltbereite Kameradschaften oder AfD-ähnliche
       Politiker in „Und morgen die ganze Welt“ auf.
       
       ## Gegen das „kapitalistische Schweinesystem“
       
       Doch anders als die Militanten aus den Post-68er-Bewegungen dosieren die
       Antifas die Konfrontation und lassen sie nicht eskalieren. Sie greifen
       symbolisch ein, wo die Demokratie und die Polizei nur ungenügend präsent
       sind, ohne sich in Endzeit- oder Endkampflösungen gegen das
       „kapitalistische Schweinesystem“ zu ergehen.
       
       Den Kontrast zwischen alter und neuer militanter Linker (Antifa)
       demonstriert Regisseurin von Heinz an einer weiteren Figur ihres Films.
       Dietmar (Andreas Lust) war, wie der proletarische Antifaler Lenor sagt,
       „früher mal ’ne große Nummer bei den RZ“, den westdeutschen Revolutionären
       Zellen. Dieser Dietmar gewährt dem Antifa-Trio uneigennützig Unterschlupf.
       Er war im Gefängnis und versteht nicht, warum die Jugendlichen wegen ein
       paar Kloppereien mit kleinen Nazis so viel riskieren.
       
       „Wir haben Siemens angegriffen“, sagt der desillusionierte Ex-Revolutionär
       im Spielfilm kopfschüttelnd. Und hat dennoch Sympathien für eine eher
       bürgerrechtlich-antifaschistisch agierende militante Linke von heute. Die
       sollte man keinesfalls unterschätzen. Luisa isst zwar kein Fleisch, könnte
       aber trotzdem schießen.
       
       2 May 2021
       
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