# taz.de -- Abschiebung nach Afghanistan: Vom Allgäu an den Hindukusch
       
       > 2015 floh der Afghane Hasib Azami nach Deutschland. Vergangenen Februar
       > wurde er nach Kabul abgeschoben. Die taz hat ihn dort getroffen.
       
 (IMG) Bild: Ein Black Hawk Helikopter der US Army über Kabul
       
       KABUL taz | Während der 22-jährige Hasib Azami durch den Kabuler Stadtteil
       Schar-i-Naw spaziert, wirkt er etwas verloren. Er trägt auffällige Sneaker,
       einen Adidas-Pullover und einen modischen Undercut. Außerdem hat er stets
       einen vollgepackten Rucksack dabei. Manche Menschen starren ihn an.
       „Wahrscheinlich merken sie, dass ich nicht von hier bin“, kommentiert der
       Geflüchtete. Am 9. Februar dieses Jahres wurde Azami gemeinsam mit 25
       weiteren jungen Männern nach Afghanistan abgeschoben. Es war der 36.
       [1][Abschiebeflug der deutschen Bundesregierung].
       
       Für die meisten Abgeschobenen ist Kabul eine fremde Stadt voller Gefahren.
       Azami ergeht es ähnlich. Er hat niemanden hier. All seinen Verwandten wurde
       Asyl oder Schutz gewährt. Viele von ihnen leben in der Türkei oder in
       Deutschland. Azami verließ Afghanistan während des Flüchtlingssommers 2015
       im Alter von 15 Jahren. Über Pakistan, den Iran und die Türkei kam er nach
       Europa.
       
       In Kempten im Allgäu fand er seine „neue Heimat“. „Es war etwas völlig
       Neues, endlich in Sicherheit zu leben. Wir konnten ruhig schlafen und
       hörten keine Explosionen mehr“, erzählt Azami. In Kabul war sein Bruder von
       unbekannten Tätern, womöglich Talibananhängern, ermordet worden. Er war
       unter anderem für eine ausländische Nichtregierungsorganisation tätig
       gewesen. Nach zahlreichen Drohungen war die Familie zur Flucht gezwungen.
       
       In Kempten begann Azami mit dem Fußballspielen und mit einer
       Kochausbildung. Er plante seine Zukunft. Doch dann wurde er von der
       deutschen Asylpolitik eingeholt. Azamis Asylantrag wurde mehrfach
       abgelehnt. Nachdem ihm klar wurde, dass eine Abschiebung drohte, flüchtete
       er ein weiteres Mal, diesmal aus Deutschland.
       
       ## „Ich bin ein Fremder“
       
       „Ich hatte Angst und fragte mich, warum sie mich abschieben wollten. Ich
       hatte nichts verbrochen“, sagt Azami. Nach über einem Jahr in Frankreich
       kehrte er nach Deutschland zurück und landete in Abschiebehaft. Schon zwei
       Wochen später wurde er nach Kabul geflogen.
       
       „Zuletzt war ich als Kind in Afghanistan. Heute habe ich hier niemanden.
       Ich bin ein Fremder, der all den Gefahren allein ausgesetzt ist“, sagt
       Azami, während er in einem Café sitzt. Nach seiner Abschiebung ist er in
       Kabul bei einer Familie untergekommen. Seine deutschen und afghanischen
       Freunde in Kempten haben das für ihn organisiert. Bei der Familie soll er
       leben, bis seine beiden Anwälte seinen Fall bearbeitet haben. Azamis
       Freunde und Verwandte wollen ihn nach Deutschland zurückbringen, etwa
       mittels eines Ausbildungsvisums. Doch das Prozedere ist langwierig und
       umständlich. Niemand kann garantieren, dass ihm in Kabul währenddessen
       nichts passiert.
       
       Azami will möglichst viel Zeit außerhalb des Hauses der Familie verbringen.
       „Sie sind sehr nett und hilfsbereit, doch es handelt sich letztendlich um
       Fremde. Ich will ihnen nicht zur Last fallen“, sagt er. Eine typische
       Haltung in der afghanischen Kultur, wo streng zwischen engen Verwandten und
       Freunden und Menschen außerhalb dieser Kreise unterschieden wird.
       
       Seine Tage verbringt der Abgeschobene meist in Schar-i-Naw, einem modernen
       Stadtteil Kabuls mit vielen Restaurants und westlich anmutenden Cafés. Dort
       sitzt er stundenlang auf Parkbänken, während er Kinder und Jugendliche beim
       Fußballspielen beobachtet. Der neue Kabuler Alltag bietet nur scheinbar
       Sicherheit. De facto gehört die afghanische Hauptstadt zu [2][den
       gefährlichsten Flecken in ganz Afghanistan]. Regelmäßig gibt es
       Bombenattentate, Raubmorde oder brutale Massaker. Vor wenigen Wochen
       [3][griffen IS-Terroristen eine Mädchenschule an] und ermordeten mindestens
       85 Schülerinnen.
       
       ## Ermordet für ein Smartphone
       
       Hinzu kommen für Abgeschobene andere Gefahren, etwa Räuberbanden, die nach
       den jungen Männern aus Europa Ausschau halten. Sie wissen, dass diese meist
       ein teures Smartphone und etwas Bargeld bei sich tragen. Nicht selten enden
       derartige Hinterhalte mit dem Tod. „Jeder weiß mittlerweile, dass man hier
       für ein Handy und ein wenig Kleingeld ermordet werden kann“, sagt auch
       Azami.
       
       Dass er an solch einen Ort zurückgeschickt wurde, ist für ihn eine
       Katastrophe. Für die Bundesregierung, [4][die derartige Abschiebeflüge in
       Zeiten von Krieg und Corona weiterhin durchführt], findet er kritische
       Worte. „Diese Politik ist absolut unmenschlich. Wie kann man so etwas
       machen und weiterhin so tun, als ob man sich für Menschenrechte
       interessiert? Afghanistan ist ein Kriegsland. Es gibt hier keine
       Sicherheit“, sagt er. Außerdem hinterfragt Azami das Narrativ, dass es sich
       bei den meisten Abgeschobenen um Straftäter handele: „Ich bin nicht der
       einzige Unbescholtene. Viele von uns haben nichts verbrochen.“
       
       ## Wie ein Schwerverbrecher behandelt
       
       Die Behörden kriminalisierten allerdings auch Azamis Flucht vor seiner
       Abschiebung. Zwei Wochen saß er nach seiner Festnahme an der
       deutsch-französischen Grenze in Abschiebehaft in Ingelheim am Rhein, gut
       vier Pkw-Stunden von Kempten entfernt. Dabei wurde er, so sagt er, wie ein
       Schwerverbrecher behandelt, bekam Handschellen angelegt und wurde von der
       Außenwelt isoliert. Auch andere Abschiebekandidaten seien von Polizisten
       drangsaliert und verprügelt worden.
       
       Laut den Vereinten Nationen wurden in Afghanistan zwischen Januar und März
       2021 bei Anschlägen und Angriffen mindestens 1.783 Zivilisten verletzt oder
       getötet – ein Anstieg um 29 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die
       meisten Opfer gingen auf das Konto der Taliban, während diese zugleich in
       Friedensgesprächen involviert sind. Im Februar 2020 unterzeichneten die
       Extremisten einen Abzugsdeal mit den USA. Während die US- und andere
       Nato-Truppen derzeit mit ihrem Abzug beschäftigt sind, ist ein Ende der
       Gewalt nicht in Sicht.
       
       „Die Politik spielt mit uns, und wir [Geflüchtete; d. Red.] wurden schon
       längst verkauft“, meint Azami. Er spielt auf das Joint-Way-Forward-Abkommen
       der Europäischen Union und der afghanischen Regierung von 2016 an. Seitdem
       gehören Sammelabschiebungen aus EU-Ländern zum Alltag. Der Deal wurde
       gerade am 26. April 2021 als „Gemeinsame Erklärung zur
       Migrationskooperation mit Afghanistan“ erneuert.
       
       6 Jun 2021
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Emran Feroz
       
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