# taz.de -- Opern-Film „Der Wald“ in Hamburg: Wo die wilden Prepper wohnen
       
       > Wovor fürchten sich die Deutschen hinter ihren Gartenzäunen? Das
       > Lichthof-Theater modernisiert Ethel Smyths Oper „Der Wald“.
       
 (IMG) Bild: Setzt auf Einsicht durch Tarot: Lisa Florentine Schmalz als Iolanthe
       
       HAMBURG taz | Die Deutschen und [1][ihr Wald]. Wer nur ein wenig weiß über
       diese spät zur eigenen Nation gelangten Mitteleuropäer_innen zwischen Rhein
       und Oder, den Alpen und der See: Den_die kann es kaum verwundern, dass,
       wenn eine britische Komponistin eine Oper mit deutschem Text schreibt, sie
       diese dann wovon handeln lässt? Eben.
       
       So geschehen um die vorletzte Jahrhundertwende herum: Ethel Smyths Oper
       „Der Wald“, die nun in einer bemerkenswerten Bearbeitung am Hamburger
       Lichthof produziert worden ist, kam 1902 in Berlin zur Uraufführung. Die im
       Mittelalter angesiedelte Handlung der – musikalisch der Romantik
       verpflichteten – Oper ist eine Art um Übersinnliches angereicherte
       Dreiecksgeschichte: Eine „Herrin des Waldes“, Iolanthe, begehrt einen
       jungen Holzfäller, Friedrich, und treibt ihn ins Unglück, wie so etwas
       gerne genannt wird. Aber es geht da auch um Standesunterschiede und
       -hierarchien, ums Eigene und das Fremde.
       
       ## Erfolg vor allem anderswo
       
       Das Stück, nicht Smyths heute bekanntestes, war in Berlin nur mäßig
       erfolgreich. Vielleicht bezeichnend: Wohlwollendere Reaktionen als bei den
       Deutschen mit ihrem Waldfimmel ernteten dann die Londoner und insbesondere
       die New Yorker Premiere im März 1903: Getobt habe das Publikum im
       Metropolitan Opera House, die Komponistin möge sich zeigen, und den Atem
       angehalten, als sie’s tat: „eine zerbrechliche Kreatur, feminin bis in die
       Fingerspitzen im altmodischen Abendkleid aus schwarzer Seide, rote Rosen im
       dunklen Haar und von einer Höflichkeit wie einst bei Großmutter“.
       
       Wären für eine männliche Debütantin die selben Worte gewählt worden? Manche
       Fragen stellen sich heute bemerkenswert analog zum ganz frühen 20.
       Jahrhundert. (Trotz besserer Kritiken war Smyth übrigens davon überzeugt:
       Ihre Wald-Oper und Amerika, das passe nicht zusammen.)
       
       Die da doch eher anhand von Äußerlichkeiten Beschriebene jedenfalls gäbe
       selbst allerbesten Opernstoff her: Geboren 1858 im englischen Kent als
       Tochter eines Generals, in einem den Künsten nicht sonderlich zugewandten
       Elternhaus, hat Smyth geschrieben und komponiert. Etwas später hat sie für
       Frauenrechte gekämpft – das zu Wählen, zum Beispiel, aber auch jenes, als
       Frau andere Frauen lieben zu dürfen. Schon dass sie ein Kompositionsstudium
       aufnehmen durfte – in Leipzig –, hatte am Ende innerfamiliären Ringens
       gestanden: Nur mit der Androhung eines Hungerstreiks erwirkte die junge
       Ethel das Ja des Vaters.
       
       Aber damit war sie die straffen Erwartungen an ihr Geschlecht noch längst
       nicht los: Als „vom Stamm der Pioniere“ hat Virginia Woolf sie 1931 in
       einer Rede bezeichnet. Smyth sei „vorausgegangen und hat Bäume gefällt und
       Felsen gesprengt und Brücken gebaut und so den Weg bereitet für die, die
       nach ihr kommen“. Das mit dem Sprengen war – beinahe – nicht bloße
       Metapher: In der „Women’s Social and Political Union“ (WSPU) war Smyth ab
       1910 aktiv, einer militanten Organisation, gegründet 1903 unter dem Motto
       „Taten, nicht Worte“.
       
       In anderen Stücken Smyths findet ihre politische Haltung deutlicheren
       Ausdruck als in „Der Wald“ – wobei natürlich ein derart mit dem
       Düsterdeutschnaturromantischen spielendes Stück Kunst seit Mitte des 20.
       Jahrhunderts, nach Zweitem Weltkrieg und „Drittem Reich“, nochmal ganz
       anders zu lesen ist als in der Entstehungszeit. So wie auch Smyths einst
       formulierter Anspruch, ein „weiblicher Wagner“ werden zu wollen, heute,
       nach der deutschen Erfindung eines quasiindustriellen Antisemitismus,
       anders nachhallen muss.
       
       In einen „Chat-Opernfilm“ hat die Hamburger Regisseurin Kerstin Steeb den
       Stoff nun übersetzt. Die Form Film war dem Wunsch geschuldet, sich nicht
       einzulassen auf die coronabedingt so schrecklich normal gewordenen
       Hängepartien – wer hätte vor Monaten vorhersagen mögen, ob die Hamburger
       Behörden Mitte Juni eine „richtige“ Aufführung wieder gestatten würden?
       
       So kam es am Wochenende nun zur Premiere in durchaus kuriosem Setting: Zu
       sehen war diese Bearbeitung eines Stücks ausdrücklich über den Wald als
       Projektionsfläche und Sehnsuchtsort und, ja: als Anderes der Zivilisation
       auf einem Parkplatz in Gewerbegebietsambiente, draußen vor dem Lichthof.
       Immerhin: Wer richtig saß, der konnte vereinzelt einen schönen Effekt
       wahrnehmen. Dann setzte sich das Geschehen auf der Leinwand fort in dem
       sich wiegenden Grün hinter der Leinwand; kein Wald, sicher, aber ein paar
       Bäume und Büsche.
       
       Was genau heißt nun aber Chat-Opernfilm? Mitgewirkt an diesem „Wald“ haben
       ein Percussionist, vier Sänger_innen, sechs klassische
       Instrumentalistinnen, ein Kameramann und Filmemacher, eine Illustratorin,
       eine Ausstatterin, eine Dramaturgin, eine Autorin und ein Videokünstler.
       Die Handlung der Smyth’schen Oper – Libretto: Henry Brewster – wird in die
       Gegenwart verlegt. Schauplätze sind außer dem Wald eine Villa, aber auch
       die umgebende Vorort-Einzelhaushölle. Wenig übrig geblieben scheint von der
       romantischen Originalmusik: Sie klingt an, wird aber auch übersetzt in
       Elektronisches, mitunter Kirmestaugliches, dann wieder fast Rockiges.
       
       Zusätzliches Textmaterial stiften Originalzitate aus drei authentischen
       Chatgruppen: Darin tauschen sich Hauseigentümer_innen aus über zweifelhafte
       Gestalten in ihrer Straße, Menschen etwa, die dreisterweise aufs Grundstück
       gekommen seien, vorgeblich, um nach Wasser zu fragen – die hier miteinander
       Chattenden indes wissen: Alles vorgeschoben! Vorsicht!
       
       Diese sehr zeitgenössische German Angst steigert sich: Das –
       vergleichsweise – normale Besitzstandswahrungsgeschwätz ([2][recherchiert
       auch von der taz!]) handelt plötzlich auch von versteckten Waffenlagern und
       der Frage, was tun, wenn man Leute wegschicken müsse, die man kennt – als
       stünde [3][irgendeine wirklich katastrophale Umwälzung] ins umzäunte Haus.
       
       Dagegen also wird die Dorfgemeinschaft „zum absoluten Ideal, alles Fremde
       zum Feindbild. Die Figuren der Oper ziehen sich in ihre eigenen vier Wände
       zurück und werden von der Angst infiziert“, schreiben die Macher_innen
       dieser bemerkenswerten Bearbeitung. „Vielleicht ist ja die Angst selbst das
       größte Monster in unserem reichen, geordneten Risikogebiet?“
       
       15 Jun 2021
       
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