# taz.de -- Statistiken zu Vermögen: Superreiche sind nicht zu fassen
       
       > Die Zahl der Dollarmillionäre ist während der Coronapandemie noch weiter
       > gestiegen. Das Problem sind aber andere.
       
 (IMG) Bild: Von dem Vermögen der Superreichen hat eigentlich niemand Ahnung
       
       Ausgerechnet im Pandemiejahr ist die Zahl der „Dollarmillionär:innen“
       gewachsen. Während ein Großteil der Menschen nicht zuletzt auch finanziell
       weiter unter der Pandemie leidet, wird eine kleine, wenn auch wachsende
       Minderheit dank steigender Immobilienpreise und Aktienkurse zu
       Millionär:innen. Wie ungerecht!
       
       Rund 1,5 Millionen Millionär:innen gibt es in Deutschland dem [1][World
       Wealth Report] der Beratungsgesellschaft Capgemini zufolge – ein Plus von
       4,7 Prozent im Vergleich zum vergangenen Jahr. Weltweit ist die Zahl der
       Menschen, die über ein anlagefähiges Vermögen von mindestens 1 Million
       US-Dollar verfügen, sogar um 6,3 Prozent gestiegen. [2][Alle 27 Sekunden
       kommt ein:e neue:r Millionär:in hinzu, hat die konservative Zeitung Die
       Welt ausgerechnet.] Corona hat die Ungleichheit also noch mehr gesteigert.
       
       Der Befund ist auch ohne Corona richtig: In den vergangenen Jahrzehnten hat
       [3][die Ungleichheit ständig zugenommen.] Die Verbindung zur Pandemie ist
       da fast irreführend, weil die Ursachen für den Trend nicht in der Seuche
       und ihrer Bekämpfung liegen, sondern in politischen Weichenstellungen der
       1990er Jahre. Daher führt der Report durch seine Rechenweise auch etwas in
       die Irre.
       
       Klar, Millionäre sind durchaus als reich zu betrachten und haben
       unvergleichlich viel mehr Komfort im Leben als die kapitalschwachen
       Schichten. Das zeigt sich gerade jetzt, wo Wohnen so teuer wird. Der Fokus
       auf die Dollarmillionäre, die mit ihrem Vermögen gerade so die Schwelle
       überschritten haben, verwischt jedoch die Aufmerksamkeit für die größten
       Nutznießer der Umverteilung von unten nach oben. Das sind die Superreichen.
       
       Studien zur weltweiten Vermögensentwicklung haben zwar Hochkonjunktur – es
       gibt sie allein unter dem Titel „Global Wealth Report“ von vier
       verschiedenen Beratungs- und Finanzfirmen. Alle diese Reichenstudien haben
       jedoch gemein, dass sie die Vermögen der Superreichen nur schätzen, ihre
       Anzahl also nur unzureichend bis gar nicht erfassen. Denn Superreiche sind,
       gelinde gesagt, nur wenig auskunftsfreudig. In den meisten Ländern auch gar
       nicht verpflichtet, den Wert ihres Vermögens offenzulegen. Über die wahren
       Vermögensverhältnisse der Reichsten ist also wenig bekannt.
       
       Doch gerade sie sind es, auf denen sich enormer Wohlstand konzentriert, der
       bei der hart arbeitenden Bevölkerung von der Mittelklasse abwärts zum guten
       Leben fehlt. In dem jüngst erschienenen lesenswerten Buch [4][„Working
       Class“] zitiert Autorin Julia Friedrichs Ökonom Markus Grabka vom Deutschen
       Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), einem der hierzulande
       renommiertesten Armuts- und Reichtumsforscher, der mit folgendem Vergleich
       das Missverhältnis darstellt.
       
       „Stellen wir uns vor, ein Zentimeter auf dem Blatt entspräche 5.000 Euro
       Vermögen. Dann können wir problemlos 95 Prozent der Bevölkerung auf diesem
       Blatt abtragen. Wo aber, fragt er, stehen dann die Reichsten? Seine
       Antwort: Sie stehen gar nicht, sie schweben, zum Beispiel in einem
       Heißluftballon mehr als sechs Kilometer über dem Rest.“
       
       ## Der „wahre“ Reichtum
       
       Die Grenze von Reichtum bei der Millionengrenze zu ziehen, ist hingegen
       zumindest auf die meisten Industrieländer bezogen heute nicht mehr
       zeitgemäß. Klar: Wer, wie etwa ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland,
       gar kein Vermögen hat und gerade einmal so viel verdient, um über die
       Runden zu kommen, für die- oder denjenigen sind 1 Million Dollar eine Menge
       Geld.
       
       Gerade in den USA kommt eine siebenstellige Zahl jedoch oft zustande. Es
       gibt dort keine staatliche Rentenversicherung, die Leute müssen auf eigene
       Faust Geld fürs Alter zurücklegen. Wer in einer der teuren Küstenstädte
       lebt, sollte wegen der dortigen kapitalmarktgestützten Altersversorgung mit
       Ende 50 schon ein Vermögen aufgebaut haben, das nicht mehr weit von der
       Millionengrenze entfernt ist, um im Rentenalter den gewohnten
       Lebensstandard halten zu können. Nicht viel anders sieht es für Haushalte
       in so teuren Städten wie München aus.
       
       Doch wann ist die Schwelle des „wahren“ Reichtums dann erreicht? Während
       sich die Wissenschaft über die Kriterien für Armut weitgehend einig ist,
       ist Reichtum nicht klar definiert. Umfragen hierzulande zeigen, dass in
       der subjektiven Wahrnehmung der Bevölkerung Reichtum bei etwa 750.000 Euro
       beginnt. DIW-Ökonom Grabka setzt die Schwelle eher bei 1,3 Millionen Euro
       an, also bei 1,5 Millionen Dollar. Ab dieser Summe lässt sich ein
       durchschnittlicher Lebensunterhalt bestreiten, ohne arbeiten zu müssen.
       
       Irgendwo darüber markiert den Beginn einer doppelten Ungerechtigkeit. Denn
       wer etwa mit Mitte 40 allein von Kapitaleinnahmen leben kann, zahlt in der
       Regel nicht mehr in die gesetzliche Rentenversicherung ein, die wie auch
       die gesetzliche Krankenversicherung auf dem Solidaritätsprinzip basiert.
       Wer nicht mehr arbeiten muss, zahlt auch keine Einkommenssteuer, sondern
       nur noch [5][Steuern auf Kapitalerträge, die aber sehr viel niedriger
       sind.] Diese Gruppe lebt also von Kapitalerträgen und gibt dem System
       nichts mehr zurück.
       
       29 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://worldwealthreport.com/
 (DIR) [2] https://www.welt.de/finanzen/plus232129987/Reichtumsbericht-Alle-27-Sekunden-ein-neuer-Millionaer.html
 (DIR) [3] /Soziale-Gerechtigkeit-in-der-Pandemie/!5779076
 (DIR) [4] https://www.piper.de/buecher/working-class-isbn-978-3-8270-1426-9
 (DIR) [5] /Umverteilung-der-Steuerlast/!5764229
       
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 (DIR) Felix Lee
       
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