# taz.de -- Kinotipps für Berlin: Zustände und Landschaften
       
       > Das Kino Krokodil zeigt Ute Adamczewskis Chronologie des alltäglichen
       > Nazi-Terrors und das Cinema Paris private Filme von Charles Aznavour.
       
 (IMG) Bild: Still aus „Zustand und Gelände“ von Ute Adamczewski
       
       Nun geht es also wieder los in den Indoor-Kinos – mit dem Starttermin 1.
       Juli, auf den man sich inoffiziell für die Region Berlin-Brandenburg
       geeinigt hatte. Die Lust des Publikums auf Kino scheint trotz
       Zugangsbeschränkungen ungebrochen, und die Auswahl ist angesichts vieler
       sich drängender Filmstarts sehr groß und gut. „Nomadland“ ist im Bereich
       Arthouse ganz zurecht jener Film, [1][auf den momentan alle die größten
       Hoffnungen setzen], doch auch jenseits von Oscar-Gewinn gibt es viel
       Sehenswertes.
       
       Wie etwa „Zustand und Gelände“, ein [2][Dokumentarfilm der Berliner
       Filmemacherin und Videokünstlerin Ute Adamczewski], der sich mit den
       sogenannten „Schutzhaft“-Lagern beschäftigt, die von den
       Nationalsozialisten direkt nach der Machtübernahme im Jahr 1933
       insbesondere zur Inhaftierung politischer Gegner in Turnhallen oder
       Fabrikgebäuden eingerichtet wurden.
       
       Der Film verbindet heutige Aufnahmen dieser Orte mit betont sachlich
       gehaltenen Informationen, die Zitate aus Behördenschriftverkehr ebenso
       umfassen wie Erinnerungen ehemaliger Häftlinge.
       
       Mit vergleichsweise einfachen Mitteln ergibt sich so ein hochkomplexer Film
       über den Umgang mit Gebäuden, Räumen und Landschaften: einerseits eine
       erschreckende Chronologie des gewalttätigen nationalsozialistischen
       Alltagsterrors, aber andererseits auch ein Blick auf 80 Jahre alltäglicher
       Umwidmung und Überformung dieser Orte sowie auf Erinnerungskultur (je nach
       Ideologie und Gesellschaftssystem) und den Umgang mit neonazistischen
       Umtrieben ([3][2. 7. & 3. 7., 17.30 Uhr; 4. 7., 18.30 Uhr; 6. 7., 21 Uhr,
       Kino Krokodil]).
       
       Nicht entgehen lassen sollte man sich auch „Le regard de Charles“, ein sehr
       schönes (Selbst-)Porträt des 2018 verstorbenen französisch-armenischen
       Chansonniers und Schauspielers Charles Aznavour. Ein Jahr vor seinem Tod
       hatte der hochbetagte Star dem Regisseur Marc di Domenico eine ganze Kammer
       voller 8mm- und 16mm-Filme gezeigt, die er im Lauf seines Erwachsenenlebens
       gedreht hatte.
       
       Straßenszenen, Erinnerungen an berufliche oder private Reisen, Szenen bei
       Dreharbeiten, Aufnahmen geliebter Frauen. Manche der letzteren, wie seine
       schwedische Frau Ulla, filmten auch gern einmal „zurück“: So ist auch
       Aznavour selbst gelegentlich zu sehen.
       
       Di Domenico hat dieses Material organisiert, behutsam durch einige wenige
       Konzert- und Filmausschnitte ergänzt und mit einem Off-Kommentar versehen,
       der ausschließlich Interviews oder persönlichen Aufzeichnungen Aznavours
       entstammt. Dazu gibt es jeweils thematisch passende Chansons des Meisters
       zu hören.
       
       Herausgekommen ist ein durchaus ungewöhnliches Porträt, das sich nicht an
       Meilensteinen einer Karriere orientiert, sondern – wie es der Titel schon
       sagt – am Blick des Künstlers auf die Welt: neugierig, den Menschen sehr
       zugewandt, mit ausgeprägt humanistischer Gesinnung. Aznavour, der
       Flüchtling aus kleinen Verhältnissen sah sein eigenes Leben stets in dem
       der anderen Menschen gespiegelt (1. 7. & 2. 7., 5.–7. 7., 15.15 Uhr, 4. 7.,
       12.45 Uhr, Cinema Paris).
       
       Im Rückblick wird Ernst Lubitsch ja vor allem aufgrund seiner brillanten,
       überaus intelligent inszenierten Komödien geliebt. Doch in Hollywood, wohin
       man den Berliner Regisseur Mitte der 1920er Jahre lockte, schätzte man ein
       anderes Talent des Meisters: seine Befähigung, Filme mit opulenten
       Massenszenen zu drehen.
       
       Einer der Filme, die ihm in dieser Hinsicht den Weg nach Amerika ebneten,
       war das Historiendrama „Madame Dubarry“ mit Pola Negri als Mätresse von
       Ludwig XV., die schließlich im Zuge der französischen Revolution ihr Leben
       auf dem Schafott endigte.
       
       Im Babylon Mitte ist der Film [4][im Rahmen der Reihe „Stummfilm um
       Mitternacht“] zu sehen mit musikalischer Begleitung durch Anna Vavilkina an
       der Kinoorgel. Ergänzend gibt es einen Auftritt der Tänzerin Laura Tiffany
       Schmid mit zwei Ballett-Miniaturen zu Musik von Pachelbel und Mozart (3.
       7., 23.59 Uhr, Babylon Mitte).
       
       1 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Kinostart-von-Chloe-Zhaos-Nomadland/!5777994
 (DIR) [2] https://grandfilm.de/zustand-und-gelaende/
 (DIR) [3] https://kino-krokodil.de/programm
 (DIR) [4] https://babylonberlin.eu/programm/filmreihen/stummfilm/stummfilm-um-mitternacht
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lars Penning
       
       ## TAGS
       
 (DIR) taz Plan
 (DIR) Kolumne Frisch gesichtet
 (DIR) Filmrezension
 (DIR) Schwerpunkt Nationalsozialismus
 (DIR) taz Plan
 (DIR) taz Plan
 (DIR) taz Plan
 (DIR) taz Plan
 (DIR) taz Plan
 (DIR) taz Plan
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kinotipps der Woche: Vertreibung, Tod und Jazz
       
       „Sehsüchte“ feiert 50-jähriges Jubiläum, das B-ware! zeigt einen
       Konzertfilmklassiker und Avi Mograbi erzählt von den Zuständen in der
       Westbank.
       
 (DIR) Kinotipps der Woche: Große Filme, auch für Kleine
       
       Das Freiluftkino Charlottenburg zeigt Französisches Best-Aging-Kino.
       Absolut alterslos hingegen: Olle Hellboms „Ferien auf Saltkrokan“.
       
 (DIR) Kinotipps für Berlin: Letzte Chance auf beste Filme
       
       Das Freiluftkino Kreuzberg zeigt „200 Meters“, die „Dokfilmwoche“ ist im
       fsk zu Gast und im Delphi Lux läuft noch „Frühling in Paris“.
       
 (DIR) Filmperlen in Berliner Open Air-Kinos: Weltraum Reloaded
       
       Frisch aus dem Archiv: Klassiker wie „2001: A Space Odyssey“. Die „alien
       tv#1 – reloaded“-Abende zeigen Kurzfilme von Lucian Busse und Sofie Hein.
       
 (DIR) Kinotipps für Berlin: Hinfallen, wieder aufrappeln
       
       Hermine Huntgeburths „Lindenberg! Mach dein Ding“ erzählt vom Werdegang
       eines Rockstars. Der Film „Cold War“ berichtet von einer Liebe im Kalten
       Krieg.
       
 (DIR) Kinotipps der Woche: Obligatorisch begrenzt
       
       Indoor öffnen die Kinos nur zaghaft. Und auch für die Filmverleihe waren
       die Zusagen zu unsicher. Die wenigen Programme laufen vor allem Open Air.