# taz.de -- Bilderatlas-Ausstellung in Hamburg: Eine Mammutaufgabe
       
       > Die Deichtorhallen zeigen eine Rekonstruktion von Aby Warburgs
       > „Bilderatlas Mnemosyne“. Dieser versucht ein neues Verständnis von
       > Kunstgeschichte.
       
 (IMG) Bild: Eine Mitarbeiterin der Deichtorhallen Hamburg betrachtet in der Ausstellung „Aby Warburg: Bilderatlas Mnemosyne. Das Original“ in der Sammlung Falckenberg in Harburg die Rekonstruktion der Tafeln 36-39 mit den originalen Abbildungen aus 1929
       
       Was, wenn sich Kunst nicht nach Genres oder nach Epochen ordnen ließe,
       sondern nach Motiven und stilistischen Elementen? Motiven, die immer wieder
       auftauchen, eine bestimmte Körperhaltung etwa; oder Techniken, mit denen
       sich Bewegung im statischen Bild darstellen lässt? Antike, Moderne,
       Renaissance: Alles wäre dann ein Fluss, in dem sich die Kunst bewegt, mal
       schneller, mal langsamer.
       
       Aby Warburg begründete mit dieser Herangehensweise ein komparatistisches
       Verständnis der Kunstgeschichte. Sein 1924 in Hamburg begonnener
       „Bilderatlas Mnemosyne“ versuchte, solche Verbindungslinien zwischen Antike
       und Gegenwart nachzuzeichnen. Das Projekt blieb nach Warburgs Tod 1929
       unvollendet, 1933 wurden die entstandenen Bildtafeln nach London ins
       Warburg Institute gebracht und archiviert, allerdings nicht in der
       ursprünglich angedachten Zusammenstellung. Die 971 Abbildungen auf 63
       Tafeln verschwanden in der rund 450.000 Objekte umfassenden „Photographic
       Collection“ des Instituts.
       
       Seit Jahren arbeiten Axel Heil und Roberto Ohrt an einer Rekonstruktion von
       Warburgs Bilderatlas. 2016 realisierten sie eine Präsentation im Karlsruher
       ZKM, die aber primär auf Reproduktionen setzte. Erst vor kurzem gab es die
       Möglichkeit, [1][„Mnemosyme“ mit den originalen Bildern aus London
       nachzustellen], zunächst im Berliner Haus der Kulturen der Welt, dann in
       der Bonner Bundeskunsthalle.
       
       Und jetzt endlich am Entstehungsort, in Hamburg, in der Sammlung
       Falckenberg – deren Räume im Stadtteil Harburg dafür gleichzeitig
       ungewöhnlich wie einleuchtend sind. Einerseits, weil Warburg dem
       diskursiven Kunstverständnis entgegen kommt, den auch das Haus beansprucht:
       Die Deichtorhallen – zu denen der Harburger Standort gehört – „sind schon
       immer ein Ort für komplexes, anschauliches Denken“, sagt Intendant Dirk
       Luckow und stellt sich so in die Tradition Warburgs.
       
       Zum anderen, weil der „Bilderatlas Mnemosyne“ an diesem Ort weitergedacht
       wird: als Sammlung eines kulturellen Gedächtnisses, das den Fortbestand
       antiker Bildwelten nicht nur wie bei Warburg bis zur Moderne verortet,
       sondern auch in einer Kunst, die zutiefst heutig ist. Warburgs überbordende
       Bildtafeln jedenfalls stehen hier im Dialog mit Exponaten von Hanne
       Darboven und Ed Ruscha etwa.
       
       Dies bildet freilich nicht den Mittelpunkt der Präsentation. Das übernehmen
       die einzelnen Tafeln, die klug, wenn auch sehr auf eine Warburg fremde
       Eindeutigkeit setzend, erläutert werden. Dass man es hier mit einer
       kuratorischen Mammutaufgabe zu tun hat, wird mehr als einmal dargestellt;
       auch dass es sich beim Ausgestellten um unbezahlbare Schätze handele, ist
       mehr Marketing als tatsächliche Aussage: In Ausnahmefällen mussten Heil und
       Ohrt doch wieder auf Reproduktionen zurückgreifen, die zwar in der
       begleitenden Publikation kenntlich gemacht sind, auf den Tafeln für das
       ungeübte Auge aber nicht zu identifizieren.
       
       ## Die Echtheit war Nebensache
       
       Der Begriff „Original“ ist dabei ohnehin brüchig: Es ging Warburg nicht um
       die Aura des Kunstwerks, sondern um exemplarische Ausprägungen eines
       kollektiven Bildergedächtnisses, entsprechend war ihm auch nicht wichtig,
       ob er in seinem Bilderatlas Originale präsentierte oder Nachbildungen von
       teils diskutabler Qualität – solange nur das Exemplarische am Gezeigten
       deutlich wurde. Dass die Harburger Ausstellung nun ein wenig
       marktschreierisch „Bilderatlas Mnemosyne – Das Original“ titelt, ist also
       einerseits korrekt, solange die überwiegende Mehrzahl der gezeigten
       Exponate tatsächlich aus den Londoner Archiven stammt. Es ist nur nicht das
       Thema.
       
       Allein: Würde man den Fokus stärker auf das Erinnerungsrepertoire legen,
       aus dem Warburg schöpfte, als auf den Originalcharakter der einzelnen
       Beispiele, dann wäre auch die für sich genommen beeindruckende
       Archivrecherche von Heil und Ohrt nicht mehr als eine Fleißarbeit. Und
       einen gewissen Reiz hat es natürlich, genau die Tafeln zu bestaunen, an
       denen schon Warburg seine Theorie erläuterte.
       
       1 Sep 2021
       
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