# taz.de -- Themen vor der Bundestagswahl: Die Qual der Klimawahl
       
       > Obwohl das Thema Klima viel Aufmerksamkeit bekommt, wird es die Wahl wohl
       > nicht entscheiden. Was ist da schiefgegangen?
       
 (IMG) Bild: Wochen nach dem Hochwasser ist die Zerstörung im Ahrtal immer noch groß
       
       Aus Ahrweiler, Bad Saulgau, Berlin, Bremen und Köln
       
       Am Freitag in Berlin ist die Stimmung noch einmal so, wie sich das
       Klimaschützer:innen erhofft hatten. „Wenn ich das erste Mal wählen
       darf, ist unser CO2-Budget aufgebraucht“, ruft der zehnjährige Johann von
       der Bühne vor dem Reichstagsgebäude – und viele tausend Menschen jubeln.
       „1,5 Grad – Klima in den Bundestag!“, ruft die Menge.
       Fridays-for-Future-Initiatorin Greta Thunberg ist extra aus Stockholm nach
       Berlin gereist, um [1][beim globalen Klimastreik] die große Bedeutung
       dieser Wahl zu unterstreichen.
       
       Die Grünen können diese Unterstützung gut gebrauchen, sie stützt ihre
       zentrale Botschaft. „Die nächste Bundesregierung ist die letzte, die die
       Klimakrise noch aktiv beeinflussen kann“, das wiederholt ihre
       Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock bei praktisch jedem Auftritt.
       
       Lange sah es so aus, als ob diese Aussage verstanden und geteilt wird:
       Klimaschutz wird in vielen Umfragen als eines der wichtigsten Themen
       genannt, den Grünen die höchste Kompetenz dafür zugesprochen. Noch im Mai
       schlug sich das in den Umfragen nieder, die Grünen lagen ganz vorn.
       Mittlerweile sind sie auf Platz drei gefallen. Und in den Fernsehtriellen
       der Spitzenkandidat:innen wird vor allem diskutiert, wie hoch der
       Benzinpreis steigen darf. Der Anstieg des Meeresspiegels? Verdorrte Länder?
       Kein Thema.
       
       Warum hatte die Klimapolitik nicht den Stellenwert im Wahlkampf, der
       notwendig wäre? Wir haben uns auf eine Reise durch das Land begeben, um
       Antworten zu finden.
       
       Wir waren im Ahrtal, das im Sommer überflutet wurde, 133 Menschen kamen
       dort ums Leben. Die immer häufiger auftretenden Wetterextreme sind eine
       Folge des Klimawandels. Hat sich hier der Blick auf die Politik geändert?
       Wir waren bei Wiebke Winter in Bremen, die die Klima-Union gegründet hat
       und für die CDU in den Bundestag will. Macht ihr Einsatz für eine
       fortschrittliche Union den Wahlsieg wahrscheinlicher? Wir haben den
       Wahlkreis Sigmaringen in Schwaben besucht, den einer der größten
       Klimabremser der CDU seit 16 Jahren bei jeder Bundestagswahl gewinnt –
       jetzt könnte er ihn gegen einen Grünen verlieren. Und wir sind nach Köln zu
       den Psychologen des Rheingold-Instituts gereist, um zu fragen: Wenn den
       Menschen die Klimapolitik so wichtig ist, warum streiten sich dann Laschet
       und Scholz um den Einzug ins Kanzleramt?
       
       ## Ahrtal: Nach der Flut
       
       Am Bahnhof Ahrweiler sammeln Bagger verbeulte Schienenstränge ein, die von
       der Flutwelle herausgerissen wurden. In diesem Streckenabschnitt fährt
       statt der Ahrtalbahn bis auf Weiteres ein Bus. Am gegenüberliegenden
       Flussufer räumen Bauarbeiter mit schwerem Gerät die Reste der demolierten
       Uferstraße. Im Flussbett liegen auch elf Wochen später noch Trümmer und
       Treibholz. Am Ortseingang stehen einsam zwei Großplakate von CDU und FDP,
       hier und da sieht man kleinere Plakate anderer Parteien. Am Ort der
       Katastrophe gibt es nur wenige Hinweise, dass auch hier am Sonntag gewählt
       wird.
       
       Ein paar Kilometer flussabwärts in Bad Bodendorf wohnen Ulrike und Anton
       Simons. Er ist Lokalreporter, beide sind Mitglieder der Grünen. In ihrem
       Haus war das Hochparterre und das Erdgeschoss überflutet, an der Fassade
       kann man sehen, wie hoch die Flut gestiegen ist. Ihre Hühner, Tauben und
       Kaninchen sind in der Flut ertrunken. Zehn Wochen später sind die
       Innenräume und die Fassade weitgehend gesäubert, die verdreckten Möbel
       entsorgt. Rundherum wird gehämmert und gearbeitet.
       
       Anton Simons nennt es „kollektive Verdrängung“, dass weder die politisch
       Verantwortlichen noch der Katastrophenschutz vorbereitet waren. In den
       letzten Jahrzehnten seien im Tal immer weitere Flächen versiegelt worden,
       die Bebauung verdichtet und näher an den Fluss herangerückt. „Wir müssen
       jetzt neu entscheiden, wie viel Platz wir der Ahr lassen“, sagt Ulrike
       Simons.
       
       Das Ehepaar sitzt auf der inzwischen wieder sauberen Terrasse. Zu Besuch
       ist an diesem Tag Grünen-Kreissprecherin Stefanie Jürries. Sie ist im
       Wahlkampf unterwegs. An den Wahlständen werde schon über das Klima
       gesprochen, sagt sie. Aber zentral sei das Thema für die meisten Menschen
       im Ahrtal nicht: „Die haben jetzt andere Sorgen.“ Es gebe noch immer
       regelmäßig Suizide, von Menschen, die nicht mehr weiter wissen.
       
       Die Region sei seit Jahrzehnten von der CDU dominiert. Doch der Stellenwert
       grüner Themen, der Klimaschutz vor allem, sei auch hier gestiegen, nicht
       erst seit der Flut. Bei der Landtagswahl im März hätten die Grünen ihren
       Stimmenanteil im Wahlkreis fast verdoppeln können, auf 9,5 Prozent der
       Zweitstimmen. Für den Wahlsonntag ist sie deshalb optimistisch.
       
       In allen Prognosen, die es zur Wahl im Ahrtal gibt, liegen nicht die Grünen
       vorn, sondern CDU und SPD. Das Portal [2][wahlkreisprognose.de] rechnet
       beim Zweitstimmenergebnis mit einem knappen Sieg der SPD. Das Direktmandat
       werde mit 69-prozentiger Wahrscheinlichkeit wieder die CDU-Abgeordnete
       Mechthild Heil gewinnen. Die Wahrscheinlichkeit eines Wahlsiegs der Grünen:
       null Prozent.
       
       Nun sind Prognosen für einzelne Wahlkreise mit Vorsicht zu genießen.
       Trotzdem stellt sich die Frage: Wie kann das sein? An dem Ort, an dem die
       Klimakrise in Deutschland sichtbar und tödlich wurde wie nirgendwo sonst,
       wählt die Mehrheit jene Parteien, die für die mangelhafte Klimapolitik der
       vergangenen Jahrzehnte verantwortlich sind.
       
       Auf ihrem Großplakat posiert die CDU-Bundestagsabgeordnete Mechthild Heil
       vor einem idyllischen Ausblick aufs Ahrtal. „Fassungslos, aber nicht
       tatenlos – Wir bauen unsere Heimat wieder auf!“, das ist ihre Botschaft.
       Vor vier Jahren hat Heil den Wahlkreis mit deutlichem Abstand gewonnen,
       gegen die damalige SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles.
       
       Dass ihre Wähler:innen ihr einen Denkzettel verpassen könnten für die
       Klimapolitik ihrer Partei, fürchtet Heil nicht. „Die Menschen haben hier im
       Moment andere Sorgen als das Klima“, sagt sie. Dass der Starkregen mit dem
       Klimawandel zusammenhänge, sei unstrittig, doch die tödliche Verkettung der
       Ereignisse in der Katastrophennacht habe andere Ursachen.
       
       „Auch in Zukunft, nach dem Wiederaufbau, wird es im Ahrtal Hochwasser
       geben. Wir müssen dafür sorgen, dass deshalb nicht Menschen sterben und die
       Schäden sich in Grenzen halten“, sagt Heil. Nicht alle Häuser werde man an
       gleicher Stelle wieder aufbauen können. Doch auf die Bergrücken könne man
       nicht ausweichen: „Da wächst unser Wein, das sind unsere wertvollsten
       Flächen.“
       
       Heil ist Architektin, und sie ist Vorsitzende des Bauausschusses im
       Bundestag. Deshalb hat sie gleich eine Reihe von Vorschlägen parat: Man
       könne Häuser vor Unterspülung schützen, es müsse einen zweiten Fluchtweg
       über das Dach geben. Der Stromkasten dürfe künftig nicht mehr im Keller
       hängen, damit bei der nächsten Flut nicht sofort der Strom ausfällt und die
       Kommunikation zusammenbricht. Klimapolitik? Darüber spricht Heil nicht.
       
       Es scheint, als könnte im Ahrtal eine Kandidatin mit dem Erfolgsrezept von
       Olaf Scholz gewinnen: Mechthild Heil ist den Wähler:innen vertraut. Und
       sie hat für die größte Herausforderung der Menschheit eine kleinteilige,
       technische Lösung parat: Die Erderhitzung wird nicht bekämpft, sondern das
       Ahrtal umgebaut, damit die nächste Flut nicht so tödlich wird wie die
       letzte.
       
       ## Schwaben: Campact gegen CDU
       
       „Klimabremser abwählen“ steht auf Plakaten, die etwa 20 Aktivist:innen
       auf dem Marktplatz von Bad Saulgau hochhalten. Der CDU-Abgeordnete Thomas
       Bareiß kämpft hier im schwäbischen Wahlkreis Sigmaringen-Zollernalb um
       den Wiedereinzug in den Bundestag. Von der Bühne ruft er seinen
       Anhänger:innen und den Protestierenden entgegen: „Ich bin stolz auf
       das, was wir in den letzten 16 Jahren bei diesem Thema gemacht haben.“ Das
       Publikum, das auf Bierbänken seiner Rede lauscht, klatscht begeistert, ein
       Storch, der oben auf dem Kirchturm hinter Bareiß in seinem Nest sitzt,
       stimmt klappernd ein.
       
       Wie auch im Ahrtal ist Sigmaringen tiefstes CDU-Land – seit 1949 hat die
       Partei die Mehrheit. Bareiß hat bei den letzten vier Bundestagswahlen den
       Wahlkreis direkt gewonnen. Doch dieses Mal wird es knapp. Das liegt, neben
       den sinkenden Zustimmungswerten für die Union, auch am Klimaschutz.
       
       „50 Prozent unseres Stroms stammt aus erneuerbaren Energien“, ruft Bareiß
       den Protestierenden zu. „Das hat kein anderes Land geschafft in der Welt.“
       Die erste Aussage stimmt, die zweite ist Unsinn. Doch Bareiß’ Behauptungen
       bleiben, von den Plakaten abgesehen, unwidersprochen.
       
       Thomas Bareiß gilt nicht nur bei Umweltverbänden als einer der
       einflussreichsten Blockierer beim Klimaschutz. Als energiepolitischer
       Sprecher seiner Fraktion hat er bis 2018 daran mitgewirkt, den Ausbau
       erneuerbarer Energien zu verlangsamen; parallel war er Mitglied im
       Lobbyverband „Zukunft Erdgas“ und reiste mehrmals ins autoritär regierte
       Aserbaidschan, das Gas exportiert. Seit 2018 ist er parlamentarischer
       Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, wo er daran beteiligt war, dass
       strengere Abstandsregeln für Windräder eingeführt wurden. Den CO2-Preis,
       den die Regierung beschloss, lehnte er lange ab; am Kohleausstiegsdatum
       2038 und am Verbrennungsmotor will er festhalten.
       
       Im seinem ländlich geprägten Wahlkreis nördlich des Bodensees hat Bareiß’
       Haltung zum Klimaschutz bisher kaum eine Rolle gespielt. Hier ist er als
       heimatverbundener Kümmerer bekannt. „Die Menschen wissen, was sie an mir
       haben“, sagt Bareiß im Gespräch mit der taz. Dass sich das bald ändern
       könnte, liegt vor allem an Campact. Die Organisation, die sonst eher
       thematische Protestkampagnen organisiert, mischt sich diesmal in mehreren
       Wahlkreisen in den Wahlkampf ein.
       
       „Thomas Bareiß ist mitverantwortlich dafür, dass Deutschland seine
       Klimaziele deutlich verfehlen wird und dass in den letzten Jahren mehr als
       100.000 Arbeitsplätze in der Solar- und Windindustrie weggefallen sind“,
       sagt Campact-Mitarbeiter Damian Ludwig. „Eine solch unverantwortliche
       Politik muss abgewählt werden.“ Die Organisation steckt nicht nur hinter
       den „Klimabremser“-Plakaten bei der Kundgebung in Bad Saulgau. In E-Mails
       und per SMS mobilisiert sie ihre Anhänger:innen aus dem Wahlkreis, auf
       Tausenden von Haustürhängern ruft sie dazu auf, statt Bareiß den
       Grünen-Kandidaten Johannes Kretschmann zu wählen. In einer Wahlkreisumfrage
       von Mitte August liegt der gleichauf mit Bareiß, was in diesem Wahlkreis
       eine echte Überraschung ist.
       
       Im schwäbischen Sigmaringen könnte den Grünen gelingen, woran sie
       bundesweit scheitern dürften: die CDU überholen. Das allerdings dürfte auch
       lokale Gründe haben, für die auch der Name Kretschmann steht: Die
       baden-württembergische Variante der Grünen ist es, die hier erfolgreich
       ist, kombiniert mit außerparlamentarischer Hilfe von Campact.
       
       Johannes Kretschmann, 40, ist Sprachwissenschaftler und Sohn des
       Ministerpräsidenten. Mit der CDU hat er ebenso wenig Probleme wie sein
       Vater, sein Auftreten ist trotz längerer schwarzer Haare ebenfalls sehr
       bürgerlich: Im schwarzen Jackett mit Hohenzollernwappen am Revers
       beschreibt er nach einem Wahlkampfspaziergang durch das Städtchen Albstadt
       sein Unbehagen bei der Campact-Kampagne.
       
       „Das ist nicht unser Stil“, sagt Kretschmann. Schließlich habe er zu Bareiß
       „ein freundliches, höfliches Verhältnis“. Und vielleicht müsse man nach der
       Wahl zusammenarbeiten. Einen Anti-Bareiß-Wahlkampf will er nicht führen. Im
       Mittelpunkt seines Wahlkampfs steht dann auch weniger die große
       Klimapolitik als lokale Themen wie die Elektrifizierung von Bahnstrecken.
       
       Das mag eine taktische Anpassung an die Bedürfnisse im konservativen
       Wahlkreis sein. Es passt aber auch zur Strategie der Grünen: Bloß niemanden
       mit zu radikalen Positionen abschrecken. Die Kritik der Klimabewegung, dass
       auch das grüne Wahlprogramm nicht reicht, um Deutschland auf 1,5-Grad-Kurs
       zu bringen, fürchtet man weniger als Verbotsdebatten vom politischen Gegner
       und dem Springer-Verlag. Ob sich diese Strategie am Sonntag auszahlt, ist
       offen. Für Kretschmann Junior könnte sie funktionieren.
       
       Im schwäbischen Sigmaringen haben Thomas Bareiß und die CDU gemerkt, dass
       ein Wahlkampf ohne Bekenntnis zum Klimaschutz in diesem Jahr nicht
       funktioniert. Die Union versucht, bei dem Thema aus der Defensive zu
       kommen. Aber wäre die CDU tatsächlich erfolgreicher, wenn sie sich
       glaubwürdiger für Klimaschutz einsetzen würde?
       
       ## Bremen: Die Klima-Union
       
       Ein Samstagvormittag Anfang September, die Bremer CDU hat vor der Volksbank
       in der Einkaufsstraße in Vegesack im Norden der Stadt einen Wahlkampfstand
       aufgebaut. Für die Union sieht es laut Umfragen gerade düster aus. Das
       „Politikbarometer“ des ZDFs sieht die Konservativen nur noch bei 22
       Prozent, die SPD liegt erstmals vorn. Wiebke Winter, 25, Direktkandidatin
       vor Ort, steht vor dem Stand und bietet den Vorbeilaufenden Flyer und Kulis
       an. Winter sitzt seit Dezember im Bundesvorstand ihrer Partei, im März hat
       sie die KlimaUnion gegründet, weil ihr die Politik ihrer Partei „nicht
       ehrgeizig genug“ war. Armin Laschet, der Kanzlerkandidat, hat sie gerade in
       ein Expertenteam berufen. Was wie eine sinnvolle Maßnahme klingt, wirkt
       verzweifelt, weil Laschet erst spät auf die Idee kam.
       
       Die Sonne kämpft sich durch die Wolken, Winter zieht ihr Jackett aus. Zwei
       ältere Männer wollen mit ihr sprechen – nicht übers Klima, über den
       Kandidaten. „Söder wäre gut gewesen“, sagt einer. Sie sei ja auch für Söder
       gewesen, sagt Winter. Aber jetzt, wo sie Laschet näher kennengelernt habe,
       schätze sie seine offene Art. „Er kann zuhören“, entgegnet sie. Aber im
       entscheidenden Moment habe er nicht zugehört, fällt der andere Mann ein,
       und meint jene Szene im Flutgebiet, als Bundespräsident Steinmeier zu
       Betroffenen sprach, und Laschet im Hintergrund lachte.
       
       Eine Frau tritt an den Stand und will wissen, was denn nun mit den 500
       Millionen sei, die CSU-Verkehrsminister Scheuer mit der Maut in den Sand
       gesetzt habe, ein alter Mann kommt und beklagt sich über die Schließung von
       Sparkassenfilialen, ein anderer über die Maskenaffäre. Und immer wieder
       geht es um Laschet. Die Klimapolitik aber, sie ist hier kein Thema. Obwohl
       es die Priorität der Kandidatin ist. Das Hauptgesprächsthema sei die
       schlechte Performance des Kanzlerkandidaten, sagt auch eine der Helferinnen
       am Wahlkampfstand.
       
       Winter glaubt trotzdem, dass die Klimapolitik für den Wahlkampf immens
       wichtig ist. Immerhin hätten die Grünen ihre Werte laut Umfragen fast
       verdoppelt. Und Laschet habe das Expertenteam zum Klima als Erstes von fünf
       präsentiert. „Wenn die CDU dieses Thema für so wichtig erachtet, obwohl es
       kein traditionelles CDU-Thema ist, sagt das etwas.“ Sie werde oft
       angesprochen, von jungen Leuten sowieso. „Viele sagen: Sie sind doch die
       mit der Umwelt, Sie sind doch die mit dem Klima. Die Leute kennen mich
       darüber.“
       
       In der Tat dürfte Wiebke Winter, die es mit ihrem Engagement für
       Klimapolitik bis in die Talkshow von Markus Lanz geschafft hat, bekannter
       sein als die meisten anderen Kandidat:innen, die zum ersten Mal antreten.
       Ihre Chance, aus Bremen in den Bundestag einzuziehen, ist allerdings
       schlecht. Sie steht auf dem dritten Platz der Landesliste, aus dem kleinen
       Bremen wird voraussichtlich nur ein Christdemokrat nach Berlin gehen. In
       der CDU könnte Winter trotzdem Karriere machen.
       
       ## Köln: Auf der Couch
       
       Warum schlägt sich die Klimapolitik im Wahlkampf nicht deutlicher nieder?
       Das weiß Stephan Grünewald vom Rheingold-Institut. Rheingold ist ein
       kleines Marketinginstitut, das für seine tiefenpsychologischen Interviews
       bekannt ist. Seit 2002 führt es vor jeder Bundestagswahl zweistündige
       Interviews und Gruppendiskussionen mit etwa 50 Wähler:innen durch. „Wir
       legen die Wähler:innen sinnbildlich auf die Couch“, so nennt Grünewald
       das.
       
       Rheingold versucht, die Interviewpartner:innen so auszusuchen, dass
       die Gruppe nach Parteipräferenzen, aber auch nach Merkmalen wie Alter,
       Geschlecht oder Bildung ausgewogen ist. Repräsentativ im klassischen Sinne
       aber ist die Studie nicht.
       
       In einem Sitzungsraum in Köln zieht Grünewald, 60, Psychologe und
       Mitbegründer des Instituts, eine ernüchternde Bilanz. „Es gibt keine
       Aufbruchstimmung“, sagt er. Nach anderthalb Jahren Pandemie seien die
       Wähler:innen damit beschäftigt, ihren Alltag in den Griff zu kriegen.
       „Die Leute denken nicht mehr so global oder europäisch.“ Es überwiege der
       Rückzug ins „eigene Schneckenhaus“.
       
       „Und wenn sie aus diesem Schneckenhaus mal ihre Fühler ausstrecken“, sagt
       Grünewald, „dann realisieren die Menschen, dass die Deltavariante im
       Anmarsch ist, dass die Taliban Afghanistan erobern, die Flutwelle anrollt
       und Waldbrände unsere Urlaubsregionen zerstören. Da türmen sich
       Problemberge auf – und man hat keinen Plan, wie man sie lösen kann.“
       
       Daraus entsteht, was Grünewald ein Machbarkeitsdilemma nennt: „Zwar
       erkennen die Menschen den Handlungsbedarf, sie sind aber zu angstvoll oder
       bequem, um das in Handlungsbereitschaft zu überführen.“ Dieses Dilemma
       präge auch den Blick auf die Kanzlerkandidat:innen: Einerseits wünschten
       sich viele Befragte starke Personen, die die Probleme angehen. Andererseits
       seien sie fast erleichtert, dass es diese nicht gibt. „Das ist ein
       Projektionsmechanismus. Wenn die Kandidat:innen stark sind, muss ich
       auch stark sein.“
       
       In den Tiefeninterviews stellten die Rheingold-Mitarbeiter:innen eine
       „Kleinredelogik“ fest. Die Grünen, so Grünewald, würden am stärksten
       Wandlungsanspruch repräsentieren. Da seien die Menschen fast erleichtert
       über die Fehltritte der Spitzenkandidatin – denn damit seien sie selbst aus
       der Pflicht.
       
       Die CDU, das ergeben die Interviews, gelte zwar weiter als starke und
       verlässliche Partei, Armin Laschet aber als zu weich. Sein Lachen im
       Flutgebiet habe ihn diskreditiert. „Ich habe selten erlebt, dass ein
       einzelner Fehler einen Kandidaten so geschwächt hat“, sagt Grünewald. Wenn
       Laschet nicht Kanzler werde, dann auch wegen dieses einen Bildes.
       
       Scholz werde als jemand erlebt, der vor allem von den Fehlern der anderen
       profitiere. „Die Wähler:innen konstatieren mit einer Mischung aus
       Enttäuschung und Erleichterung, dass scheinbar keiner der
       Kandidat:innen diese Herkulesaufgabe stemmen kann.“
       
       Die Aktivistin Luisa Neubauer hatte in dieser Woche noch einmal dafür
       plädiert, ein paar bittere Wahrheiten in den Wahlkampf einzuführen. Sie
       wirkte dabei etwas resigniert: „Wir haben“, sagte sie in einer Talkshow am
       Dienstag, „nicht mehr die Wahl zwischen mehr oder weniger Klimaschutz, mehr
       oder weniger Pendlerpauschale. Wir haben nur die Wahl zwischen richtig
       gutem, radikalen Klimaschutz und einer Klimakrise, wie wir sie uns nicht
       vorstellen wollen.“
       
       Am Sonntag werden die Menschen überall im Land in Grundschulen spazieren,
       um abzustimmen. Im Ahrtal nicht, sie sind zu beschädigt. Stattdessen sind
       schon seit Wochen Busse unterwegs, um Briefwahlunterlagen auszuteilen und
       die Stimmzettel gleich wieder mitzunehmen.
       
       Deutlich mehr Menschen als je zuvor werden bei ihrer Stimmabgabe auch an
       die Erderwärmung denken, an den steigenden Meeresspiegel, an Brände und
       Flut. Das ist eine neue Entwicklung. Doch ob im zerstörten Ahrtal, im
       konservativen Sigmaringen, ob in Bremen, Köln oder Berlin: Dies wird
       voraussichtlich die Wahl nicht entscheiden. Statt konsequentem Klimaschutz
       will die Mehrheit der Politiker:innen das Gefühl vermitteln: Fürchtet
       euch nicht. Dabei gab es selten so gute Gründe sich zu fürchten wie heute.
       
       24 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Globaler-Klimastreik-am-Freitag/!5803459
 (DIR) [2] https://www.wahlkreisprognose.de/
       
       ## AUTOREN
       
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       kritisiert Deutschland deutlich.
       
 (DIR) Klimastreik in Berlin: Erde retten, dann wählen
       
       Tausende Aktivist*innen versammeln sich auf der Reichstagswiese zum
       globalen Klimastreik. Nebenan wird immer noch für das Klima gehungert.