# taz.de -- Georgiens Ex-Präsident festgenommen: Gerade angekommen, schon im Knast
       
       > Michael Saakaschwili wird in Georgien festgenommen. Er wurde dort per
       > Haftbefehl gesucht. Das dürfte die Lage kurz vor der Kommunalwahl
       > verschärfen.
       
 (IMG) Bild: Heimlich zurückgekehrt? Der georgische Ex-Präsident Saakaschwili, hier im ukrainischen TV 2020
       
       BERLIN taz | Es war ein Show down mit Ankündigung: Am Freitag abend ist der
       frühere Präsident Georgiens, Michail Saakaschwili, in der Kaukasusrepublik
       von Spezialkräften festgenommen worden. Das teilte Regierungschef Irakli
       Garibaschwili mit. Genauere Angaben zu den näheren Umständen und dem Ort
       der Festnahme machte er zunächst nicht.
       
       Seit Freitag morgen hatte es zahlreiche Spekulationen gegeben, ob
       Saakaschwili nach achtjähriger Abwesenheit tatsächlich erstmals wieder in
       seine frühere Heimat zurückgekehrt sei. Sein Kommen hatte er bereits vor
       einigen Tagen auf seiner Facebookseite angekündigt, nebst Screenshot eines
       Flugtickets von Kiew nach Tiflis für den 2. Oktober.
       
       Dazu hieß es: „Jetzt wird über das Schicksal Georgiens entschieden,
       Georgiens Überleben steht auf dem Spiel. Daher habe ich für den Abend des
       2. Oktober ein Ticket gekauft, damit ich bei Euch sein, Euren politischen
       Willen schützen und mich daran beteiligen kann, Georgien zu retten.“ Am
       Freitagmorgen tauchten dann in den sozialen Netzwerken zwei Videos von
       mäßiger Qualität auf, die angeblich Saakaschwili in der georgischen
       Hafenstadt Batumi zeigten. Dazu, wie er eingereist sei, sagte der
       Ex-Präsident nichts.
       
       Das georgische Innenministerium teilte mit, keine Informationen darüber zu
       haben, ob Saakaschwili die Grenze nach Georgien überquert habe. Sollte das
       der Fall sein, werde er umgehend festgenommen, hieß es in der Erklärung
       weiter. An diesem Informationsstand änderte sich den ganzen Tag über
       nichts.
       
       Der 53-jährige Saakaschwili gilt als Enfant terrible der Politik
       schlechthin. 2003 war er im Zuge der sogenannten Rosenrevolution in
       Georgien an die Macht gekommen. Bei der Parlamentswahl 2012 verlor seine
       Partei Vereinte Nationale Bewegung (ENM) gegen die Partei Georgischer
       Traum, die bis heute an der Macht ist.
       
       ## Gouverneur in der Ukraine
       
       Saakaschwili verließ Georgien und ging in die Ukraine. Dort wurde er nach
       Annahme der ukrainischen Staatsbürgerschaft 2015 Gouverneur von Odessa,
       überwarf sich in der Folge jedoch mit dem damaligen ukrainischen
       Präsidenten Petro Poroschenko, der ihm 2017 die ukrainische
       Staatsbürgerschaft wieder entziehen ließ. Zwei Jahre später machte
       Poroschenkos Nachfolger Wolodimir Selenski diese Entscheidung rückgängig.
       
       Bereits am 28. Juni 2018 hatte ein georgisches Gericht Saakaschwili in
       Abwesenheit zu sechs Jahren Haft verurteilt. Unter anderem wird er des
       Machtmissbrauchs, der Unterschlagung öffentlicher Gelder sowie der
       gewalttätigen Auflösung einer Demonstration im April 2007 beschuldigt.
       Zudem soll er für einen brutalen Überfall auf einen georgischen
       Abgeordneten im Jahr 2005 verantwortlich sein.
       
       Dass Saakaschwili, der trotz Exil nach wie vor in seiner Partei ENM kräftig
       mitmischt, ausgerechnet jetzt Georgien seine Aufwartung macht, ist alles
       andere als zufällig. An diesem Samstag finden dort Kommunalwahlen statt.
       Dabei geht es um wesentlich mehr als nur um die Besetzung von
       Bürgermeisterposten und Gemeindeverwaltungen.
       
       Vielmehr stilisieren die Oppositionsparteien die bevorstehende Abstimmung
       zu einem Referendum über die amtierende Regierung. Und Expert*innen
       warnen davor, dass die Wahl, je nach Ausgang, die Südkaukasusrepublik in
       noch tiefere Turbulenzen stürzen könnte.
       
       ## Im Krisenmodus
       
       Denn Georgien befindet sich bereits seit dem Oktober vergangenen Jahres im
       Krisenmodus. Bei der Parlamentswahl am 31. Oktober 2020 ging der Georgische
       Traum ungeachtet einer Wahlrechtsreform zugunsten kleinerer Parteien erneut
       als Sieger vom Platz. Die Opposition witterte massiven Wahlbetrug,
       boykottierte die Parlamentsarbeit und flankierte ihren Protest mit
       Demonstrationen. Die Forderung lautete: Neuwahlen.
       
       Erst unter maßgeblicher Mitwirkung der internationalen Gemeinschaft, allen
       voran der des Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michel, kam eine
       Art Burgfrieden in Form eines Dokuments zustande. Dieses sah unter anderem
       Neuwahlen vor, sollte der Georgische Traum bei der Kommunalwahl weniger als
       43 Prozent der Stimmen erhalten.
       
       Kurz darauf stieg der Georgische Traum wieder aus der Vereinbarung aus und
       düpierte damit auch die westeuropäischen Verhandlungspartner. Jetzt lautet
       die Ansage der Regierungspartei: Egal, wie das Ergebnis ausfällt –
       vorgezogene Neuwahlen werden nicht stattfinden. Die Opposition vertritt
       hingegen die Ansicht, dass ein Ergebnis unter 43 Prozent die Legitimität
       der Parlamentsmehrheit des Georgischen Traums infrage stelle.
       
       Der muss sich in der Tat Sorgen machen. Eine Umfrage des Instituts Edison
       Research vom September sieht die Regierungspartei bei 36 und die ENM bei 27
       Prozent der Stimmen. Auf den dritten Platz kommt die neue Partei Für
       Georgien des ehemaligen Regierungschefs Giorgi Gacharia. Er zeichnet als
       ehemaliger Innenminister im Jahre 2019 für ein brutales Vorgehen von
       Polizeikräften gegen Demonstrierende mit mehren, teils schwer, Verletzten
       verantwortlich.
       
       ## Jagd auf LGBTQ-Menschen
       
       Für zusätzliche Spannungen sorgten im vergangenen Juli auch mehrere
       Ereignisse rund um die Organisation einer LGBTQ-Pride in Tiflis. Sekundiert
       von der Orthodoxen Kirche machte ein rechter Mob Jagd auf LGBTQ-Menschen
       und auch vor Journalist*innen nicht halt. Über 50
       Medienvertreter*innen wurden angegriffen. [1][Ein Kameramann erlag
       einige Tage später seinen schweren Verletzungen]. Die Regierung entblödete
       sich nicht, der LGBTQ-Community indirekt die Schuld an der Eskalation zu
       geben.
       
       Zu der weit verbreiteten Unzufriedenheit der Bevölkerung tragen auch
       desolate Zahlen in Sachen Corona bei. Mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von
       275 und einer Quote von gerade einmal 20 Prozent vollständig Geimpfter
       (Stand 1. Oktober) hat Georgien bereits mit der vierten Welle zu kämpfen.
       
       Wie vergiftet das politische Klima derzeit ist, zeigt auch die
       Wahlkampagne, bei der vor allem der Georgische Traum mit übelsten
       Verunglimpfungen seiner Konkurrent*innen arbeitet. So sind
       beispielsweise in Tiflis flächendeckend führende Köpfe der Opposition –
       darunter auch Michail Saakaschwili – umgeben von Blutspuren plakatiert. Der
       Text darunter lautet: Nein zu Faschisten! Nein zu dem Bösen! Nein zu
       Verrat!“
       
       Mit besonders harten Bandagen wird auch um das Amt des Bürgermeisters in
       Tiflis gekämpft, den die Bürger*innen direkt wählen. Laut jüngsten
       Umfragen liegt der Vertreter des Georgischen Traums, Kakha Kaladze, mit 43
       Prozent vor [2][dem ENM-Kandidaten Nika Melia (30 Prozent)]. Als Dritter
       wird Giorgi Gacharia (12 Prozent) gehandelt. Bliebe es dabei, würde eine
       Stichwahl zwischen den beiden Bestplazierten fällig.
       
       Für die passende Begleitmusik zu der Abstimmung sorgte auch Michail
       Saakaschwili in seinen Videos. Ein Votum für den Georgischen Traum käme
       einer Todesstrafe für Georgien gleich. Daher sollten alle wählen gehen. Er
       selber werden am 2. Oktober in einem Wahllokal für die ENM seine Stimme
       abgeben. Und bereits etwas voraus chauend für den Tag nach der Wahl: „Wir
       müssen den Rustaveli-Boulevard (Hauptstraße in Tiflis, Anm. d. Red.) und
       den Freiheitsplatz füllen. Wenn wir mehr als 100.000 Menschen sein werden,
       wird niemand uns besiegen können. Bis bald in Tiflis.“
       
       1 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Oertel
       
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