# taz.de -- Homophobe Gewalt: Georgien im Schockzustand
       
       > Nach einem Angriff homophober Demonstranten auf Journalisten ist ein
       > Kameramann gestorben. Tausende demonstrierten am Sonntag in Tiflis.
       
 (IMG) Bild: Immer mehr Menschen demonstrieren in Georgien und fordern einen Rücktritt der Regierung
       
       [1][Am Sonntagabend sind erneut Tausende Menschen im Zentrum der Hauptstadt
       Tiflis] sowie sechs weiteren Städten auf die Straße gegangen und haben den
       Rücktritt von Regierungschef Irakli Gharibaschwili und von Innenminister
       Vachtang Gomelauri gefordert. „Die Zeit wird kommen, dass ihr euch für
       euren Hass schämen werdet!“, stand auf einem Plakat, das eine junge Frau
       vor dem Parlamentsgebäude in die Höhe hielt. Dort legten Menschen Blumen ab
       und zündeten Kerzen an. Der zentrale Rustaveli-Boulevard in Tiflis war
       komplett abgesperrt.
       
       Grund für den neuerlichen Aufruhr war die Nachricht vom Tod des Kameramanns
       Alexander Laschkarawa. Seine Mutter hatte den 37-Jährigen, der bei dem
       Fernsehsender TV Pirveli arbeitete, am Morgen leblos in der gemeinsamen
       Wohnung aufgefunden. Laschkarawa war einer von 53 Journalist*innen, die am
       Montag vergangener Woche im Zuge einer LBGTQ-Pride von rechten Schlägern
       angegriffen worden waren. Dabei erlitt er mehrere Knochenbrüche sowie eine
       schwere Gehirnerschütterung. [2][Die Polizei griff nicht ein.
       Regierungschef Gharibaschwili] hatte sich gegen die Pride, die schließlich
       abgesagt wurde, ausgesprochen und gesagt, der Marsch könnte Konflikte in
       der Gesellschaft weiter verschärfen.
       
       Zudem bezichtigte er revanchistische radikale Kräfte unter Führung des
       ehemaligen Präsidenten Michail Saakaschwili, mit der Kundgebung Unfrieden
       stiften zu wollen. Auch die Orthodoxe Kirche hatte, wie immer bei solchen
       Anlässen, reichlich Öl ins Feuer gegossen. Ein Priester war nachweislich an
       einem Angriff auf einen Journalisten beteiligt. Und ein Dekan hatte sich
       vor dem Parlament zu der Aussage verstiegen, man habe Gewalt anwenden
       müssen, um das Vaterland zu verteidigen.
       
       Kurz nach Bekanntwerden des Todes von Laschkarawa veröffentlichten 77
       Medien eine gemeinsame Erklärung. „Die Verletzung der Rechte von
       Medienvertreter*innen in Georgien hat eine kritische Stufe erreicht.
       In Dutzenden Fällen wird nicht ermittelt. Die Behörden versagen beim Schutz
       der Sicherheit von Journalist*innen und Verlautbarungen von
       Vertreter*innen der Regierungspartei befördern die Gewalt auch noch“,
       heißt es darin.
       
       ## Eine Bedrohung der Demokratie
       
       An die Vertreter*innen internationaler Organisationen in Georgien
       ergeht die Aufforderung, unverzüglich auf die zielgerichtete Verfolgung von
       Medienschaffenden zu antworten. Am Sonntag tagte die Regierungspartei
       „Georgischer Traum“ stundenlang hinter verschlossenen Türen. Bei zwei
       Pressekonferenzen teilte ein Sprecher des Innenministeriums mit, dass allen
       möglichen Szenarien in Zusammenhang mit dem Tod Laschkarawas nachgegangen
       werde. Gleichzeitig brachten Ermittler*innen eine Version in Umlauf,
       wonach Laschkarawa auf seinem Weg nach Hause unter dem Einfluss von Drogen
       gestanden haben soll.
       
       Die Orthodoxe Kirche hatte nichts Besseres zu tun, als den Tod von
       Laschkarawa herunterzuspielen. Als Reaktion auf die Frage nach einer
       möglichen Mitschuld der Kirche an den Gewaltausbrüchen am 5. Juli bedrohte
       der Metropolit der Diözese in der zweitgrößten georgischen Stadt Kutaissi,
       Ioane Gamrekeli, einen Journalisten. „Du hast schon einmal Schläge bekommen
       und das wird dir wieder passieren, sagte er Irakli Vachiberadze, einem
       Reporter des Fernsehsenders Mtavari.
       
       Gamrekelis Bruder im Geiste, der Diakon Ilia Karkadze aus Kutaissi, hatte
       erst im vergangenen Januar wegen mehrerer antisemitischer Äußerungen für
       Aufsehen gesorgt. Die Juden hätten immer das Bankensystem kontrolliert. Das
       sei bereits in der Sowjetunion so gewesen und dauere bis heute an, hatte er
       gesagt.
       
       Sandro Gvindadze, ein Tifliser Journalist, ist enttäuscht. Bei der
       Kundgebung am Sonntag sei es vor allem um Rücktrittsforderungen an die
       Adresse der Regierung gegangen. Doch man müsse die Dinge beim Namen nennen
       und dürfe daher die Orthodoxe Kirche nicht schonen. „Die traurige Wahrheit
       ist, dass weder die Opposition noch die Journalist*innen die Eier
       haben, Tacheles zu reden. Wenn sie laut sagen würden, dass die Kirche
       [3][zu einer schrecklichen Bedrohung für die Demokratie] geworden ist,
       würde die Mehrheit der Gesellschaft sie nicht unterstützten“, sagt er. Für
       den Montag haben mehrere Medienorganisationen sowie liberale Gruppen erneut
       zu Protesten aufgerufen.
       
       12 Jul 2021
       
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