# taz.de -- Konflikt mit der Türkei: Erdoğans Ablenkungsmanöver
       
       > Wirft Erdogan die BotschafterInnen wirklich raus, gräbt er sich selbst
       > eine Grube. Für die türkische Wirtschaft sieht es schon jetzt
       > katastrophal aus.
       
 (IMG) Bild: Selbst ein Teil seiner Anhänger*innen glaubt, er hat seinen politischen Kompass verloren
       
       Autokraten gehen nicht von alleine. Sie werden gestürzt oder graben sich
       selbst eine Grube. Die türkische Opposition hofft, dass der türkische
       Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit seinem Frontalangriff auf den Westen,
       falls er die Ausweisung von zehn BotschafterInnen tatsächlich durchzieht,
       gerade dabei ist, sich diese berühmte Grube zu graben.
       
       Für Erdoğan sieht es aus mehreren Gründen schlecht aus, hauptsächlich aber,
       weil es seit Beginn seiner Alleinherrschaft 2018 mit der türkischen
       Wirtschaft immer weiter abwärts geht. Die Ärmsten haben kaum noch etwas zu
       essen, und der Mittelstand bangt um seinen Lebensstandard.
       
       Entsprechend sinkt die [1][Popularität des Präsidenten] in den
       Meinungsumfragen immer weiter. Wären jetzt Wahlen, würde er wohl mit
       Sicherheit verlieren. In Situationen, in denen er in Bedrängnis ist, hat
       Erdoğan schon immer in den Angriffsmodus geschaltet. In früheren Jahren
       gegen die [2][innenpolitischen Gegner], und seit die weitgehend
       ausgeschaltet sind, sucht er den äußeren Feind.
       
       Das war bei seinen Militäroperationen in Syrien, Libyen und Aserbaidschan
       der Fall und ist auch das Grundmuster bei seinem jetzigen Generalangriff
       auf den Westen. Bislang war bei seinen politischen oder militärischen
       Angriffen aber immer noch so etwas wie eine Strategie erkennbar. Das ist
       jetzt nicht mehr der Fall. Zwar mag es ihm gelingen, mit dem Einprügeln auf
       den Westen seine treuesten Anhänger noch einmal zu mobilisieren, doch der
       Preis dafür wäre hoch. Viele in der Türkei fürchten (oder hoffen), zu hoch.
       
       ## Lange nicht mehr so spannend
       
       Ein ausgeprägter Konflikt mit westlichen Staaten, wechselseitiger
       Rausschmiss der Botschafter inklusive, würde der türkischen Wirtschaft wohl
       den Rest geben. Die [3][türkische Lira] ist gegenüber dem Euro und dem
       Dollar schon jetzt im freien Fall. Nach der Ausweisung der BotschafterInnen
       wäre es wohl ein Fall ins Bodenlose. Die Türkei könnte wichtige Importe von
       Lebensmitteln über Industrieprodukte bis zu Öl und Gas nicht mehr bezahlen.
       
       Der Konflikt würde Erdoğan letztlich mehr schaden als nutzen. Vollzieht er
       den Rauswurf in den nächsten Tagen tatsächlich, wäre es nicht nur für die
       Opposition, sondern wohl auch für einen Teil seiner AnhängerInnen ein
       Zeichen, dass er seinen politischen Kompass verloren hat.
       
       Kommt jetzt der Anfang vom Ende der Herrschaft Erdoğans über die Türkei?
       Bislang hat sich noch jeder Abgesang als verfrüht herausgestellt.
       Vielleicht bläst er die Attacke in den kommenden Tagen einfach wieder ab,
       vielleicht wird er einen anderen Weg finden, sich aus der Affäre
       herauszuwinden. Eines aber steht fest: Es war in der Türkei schon lange
       nicht mehr so spannend wie jetzt.
       
       24 Oct 2021
       
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 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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