# taz.de -- US-Latinband Dos Santos: Grenzüberschreitungen im Falsett
       
       > Die US-Latinband Dos Santos könnte mit ihrem dritten Album „City of
       > Mirrors“ endlich ein größeres Publikum erreichen.
       
 (IMG) Bild: Die Chicagoer Band Dos Santos: Musikmix aus Mexiko, Panama und Puerto Rico
       
       Dass die geburtenschwachen Kartoffel-Almans sich irgendwann in naher
       Zukunft selbst abschaffen, frohlockte die taz ([1][„Raum ohne Volk“])
       bereits vor zehn Jahren. Die USA sind da schon weiter, und einen
       erheblichen Anteil daran haben die überall im Land lebenden Latinos.
       Zahlenmäßig sind sie inzwischen zur größten US‑Minderheit geworden, wobei
       Minderheit ein zunehmend unscharfer Begriff ist. Denn zusammen mit anderen
       Minderheiten werden die Hispanics bald schon die Mehrheit gegenüber den
       weißen US‑Amerikaner:innen bilden.
       
       Kulturell angemessen spiegelt sich der Einfluss spanischsprachiger Menschen
       in den USA aber nur bedingt wider. Doch die Zeiten ändern sich allmählich.
       Dafür steht auch die Band Dos Santos aus Chicago: Mit ihrem dritten Album
       [2][„City of Mirrors“] könnte die fünfköpfige Fusionband endlich ein
       größeres Publikum erreichen.
       
       Anfang der Nullerjahre hatten es Chicano-Bands in der „Windy City“ am
       Michigansee noch schwerer – Bookerin Sandra Treviño erinnert sich im
       Stadtmagazin Chicago Reader an typische Reaktionen: „Latinrock? Was soll
       das sein? Spielen die etwa mit Maracas?“ – also mit Rumba-Rasseln.
       
       Dabei leben auch in Chicago, dessen Großraum mehr als neun Millionen
       Menschen umfasst, viele Hispanics. Die nach New York und Los Angeles
       drittgrößte US-Stadt hat sogar die zweitgrößte mexikanische Community
       (nach East Los Angeles).
       
       Doch waren unter ihnen laut Dos-Santos-Leadsänger Alex E. Chávez lange nur
       bestimmte traditionelle Latinx-Stile wie Salsa und Mariachi populär und
       weniger jene, denen sich das Dos-Santos-Kollektiv vornehmlich verschrieben
       hat: Cumbia aus Kolumbien und Mexiko und Chicha, die psychedelischere,
       gitarrenlastige Cumbia-Schwester aus Peru. Dazu mischen Dos Santos stets
       noch mexikanische Folklore und gut abgehangene Einflüsse von Pop, Jazz und
       Rock – fertig ist die eigenwillige Klangmischung der Band.
       
       Eröffnet wird „City of Mirrors“, das neue, von Elliot Bergman, auch bekannt
       als Hälfte des Popduos Wild Belle, produzierte Dos-Santos-Album mit [3][„A
       Shot in the Dark“]. Es ist ein Lied, das von einer unerwiderten Liebe
       handelt. Sänger Chávez trägt es – wie im mexikanischen Huapango-Stil üblich
       – im Falsett vor; zu traditionellen Einflüssen kommen hier für Dos Santos
       aber bisher ungewohnte elektronische Sounds hinzu und damit macht die Band
       sofort klar: Es geht also mitnichten um „authentische Klänge“.
       
       Auch der titelgebende Song [4][„City of Mirrors“] ist ein gebrochenes
       Liebeslied – in diesem Fall ist die Angebetete eine durch Hurricans und
       andere Katastrophen leidgeprüfte Insel: Puerto Rico, auf der
       Dos-Santos-Perkussionist Pete „Maestro“ Vale seine Wurzeln hat; einen „Ort
       der Schönheit und des Traumas“, nennt Chávez die Insel.
       
       [5][„Soledad“] ist währenddessen Cumbia-getrieben, „Cages and Palaces“
       Merengue-artig und [6][„A tu Lado“] („An deiner Seite“) erinnert mit seinem
       eingängigen Refrain an die baskisch-französischen Barden Manu Chao.
       
       ## Abwechslungsreich und vielseitig
       
       Insgesamt klingt die Musik auf „City of Mirros“ ausgesprochen ruhig, mit
       seinen 13, fast nur auf Spanisch gesungenen Songs ist das Album so
       abwechslungsreich und vielseitig wie die Einflüsse, die die fünf Musiker
       jeweils mit in die Band einbringen.
       
       Während Schlagzeuger Daniel Villarreal-Carrillo aus Panama stammt, wo er
       beim Drummer der Reggaeton-Pioniere El General sein Handwerk lernte, ist
       Chávez aufgewachsen in Texas nahe der Grenze zu Mexiko, woher seine Familie
       kommt. Daher rührt sein Interesse an der rhythmisch komplexen
       Huapango-Musik, der sich Chávez auch als Anthropologe und Autor
       („[7][Sounds of Crossing]. Music, Migration, and the Aural Poetics of
       Huapango Arribeño“) nähert.
       
       Die bereits vor der Coronapandemie begonnenen Kompositionen seien
       nachdenklich geworden, erklärt Chávez, die emotionale Bandbreite schwanke
       „zwischen Liebe und Einsamkeit, Hoffnung und Absurdität, Euphorie und
       Trauer“. Die Band setze sich in ihren Songs mit diesen Gegensätzen
       auseinander und überschreite sie, weil alle Bandmitglieder und ihre
       Familien selbst „Grenzen überschritten haben“.
       
       ## Isolation und Entfremdung
       
       Grenzen sind für Dos Santos darum „keine Metaphern“, sagt Chávez. „Wir
       selbst verkörpern die Grenzen.“ Diese Erfahrung macht auch die Musik des
       Albums aus. „Soledad“, „Cages and Palaces“ und „Lejos de ti“ („Weit weg von
       dir“) handeln von den Konflikten und Strapazen, die Migrant:Innen auf
       dem Weg in die USA durchleben, und dem Gefühl von Isolation und Entfremdung
       fernab der Heimat.
       
       In „Soledad“ („Einsamkeit“) greift Villarreal-Carrillo in
       Spoken-Word-Manier das Gedicht „Yo estoy enfermo de soledad“ des
       panamaischen Schriftstellers Ricardo Miró auf: „Ich bin krank vor
       Einsamkeit / Liebe die stillen, verlorenen Orte / Wo sie schlummernd
       ankommen / All die Geräusche der Stadt.“
       
       4 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Kolumne-Geburtenschwund/!5114887
 (DIR) [2] https://intlanthem.bandcamp.com/album/city-of-mirrors
 (DIR) [3] https://www.youtube.com/watch?v=ovh0-2bX8mI
 (DIR) [4] https://www.youtube.com/watch?v=9hJvhVbsQO4
 (DIR) [5] https://www.youtube.com/watch?v=TGXlbkVSaFw
 (DIR) [6] https://www.youtube.com/watch?v=LEsVD5D7r6Q
 (DIR) [7] https://www.dukeupress.edu/sounds-of-crossing
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ole Schulz
       
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