# taz.de -- Musikduos als demokratische Bastionen: Aller guten Dinge sind zwei
       
       > Das Duo ist die kleinste Gemeinschaft, um zusammen Musik zu machen. Vier
       > packende neue Duo-Alben, vier unterschiedliche Modelle der
       > Arbeitsteilung.
       
 (IMG) Bild: Spenden Kraft, um die Corona-Pandemie durchzustehen: Amy Douglas und Joe Goddard
       
       ## Magische Kombination: Hard Feelings
       
       „Uns wurde viel Honig um den Bart geschmiert, nach dem Motto, alles wird
       gut! Aber die Hartnäckigkeit der Pandemie zeigt, dass dem nicht so ist. Wir
       brauchen viel mehr Kraft, um sie durchzustehen“, erklärt US-Sängerin Amy
       Douglas in einem Splitscreen-Video.
       
       Die andere Bildhälfte füllt ihr Partner-in-Crime Joe Goddard aus, der in
       London auf einem Bett sitzend in die Kamera blickt. Später hört man die
       beiden nur noch auf der Tonspur und sieht Douglas bei Dreharbeiten des
       Videoclips zum Song „Dangerous“: Douglas, als Sängerin in der New Yorker
       [1][Dancefloorszene] meist im Umfeld des Labels DFA aktiv, und Goddard,
       Mitglied der britischen Band Hot Chip, haben sich für ihr Projekt Hard
       Feelings virtuell zusammengetan.
       
       Corona verhinderte, dass sie in einem Raum an Songs feilen oder live
       auftreten. Wie aus Trotz ist dem Duo in der Distanz ein fabelhaftes
       Powerhouse-Album gelungen, dessen upliftende Dringlichkeit Gefühle
       schwungvoll boostert. Hard-Feelings-Songs sind für die Peak-Time auf dem
       Dancefloor gedacht. Da diese Nähe momentan nicht ohne Weiteres möglich ist,
       behauptet dies die Musik so würdevoll wie möglich.
       
       Die Hälfte der Songs stammt aus der Feder von Douglas, ein Teil beruht auf
       Ideen von Goddard, der nach einer passenden Stimme gesucht hat. Erst
       gemeinsam kam die magische Kombination aus Affinität und Differenz zum
       Tragen, im Tandem konnten sich die beiden aus kreativen Sackgassen
       hinausmanövrieren und Konturen schärfen.
       
       Laut Duden spricht man vom [2][Duo] als „Gemeinschaft zweier Personen, die
       häufig gemeinsam in Erscheinung treten oder gemeinsam eine (strafbare)
       Handlung durchführen“. Entlehnt ist das Wort vom italienischen due (zwei).
       Auf musikalischer Ebene spricht man vom Duo einmal als Stück für zwei
       Instrumente und dann von einem aus zwei gemeinsam solistisch musizierenden
       Instrumentalisten bestehendem Ensemble. Das Duo ist kleinste mögliche
       Einheit, um gemeinsam Musik zu machen.
       
       ## Analoge Arbeitsweise: Bremer/McCoy
       
       „Am schwierigsten ist die Arbeit an unausgegorenen Songideen, denen noch
       das i-Tüpfelchen fehlt“, gesteht Jonathan Bremer, eine Hälfte des
       Kopenhagener Duos Bremer/McCoy. Bass, Piano, Synthesizer und ein Tape
       Delay: Die beiden Künstler benutzen ein überschaubares Instrumentarium und
       kreieren damit ein klares Soundbild: Hardcore-Wattebausch-Sound, weder Jazz
       noch Ambient, man kann sich in den Songs ihres Albums „Natten“ (Nacht)
       verlieren und geht trotzdem nie verloren.
       
       „Morten hat Reggae gespielt, mein Background ist Jazz, es gibt
       Schnittmengen. Sie ergeben bei uns etwas anderes, als wenn wir beide solo
       spielen würden“, erklärt Jonathan Bremer der taz. Verspult dringen Echos
       von scheinbar [3][weit weg] an die Klangoberfläche, gemächlich im Tempo.
       Die beiden kennen sich seit der Kindheit, „aber wenn sich eine
       Kompositionsidee zu kompliziert anfühlt, hilft auch keine Intuition. Es
       muss organisch klingen, andernfalls wird es Murks.“
       
       Merkmal ihrer Musik ist der Verzicht auf jegliche Drums, Akkorde von Bass
       und Piano bilden sich und verschwinden wie Wolkenformationen am Himmel.
       „Dadurch entsteht Intimität. Der Klangraum, der sonst mit Drums und Beats
       gefüllt wäre, bleibt leer. Darin steckt Schönheit, Beats gibt es zwar auch,
       nur klingen die anders.“ Etwa das Rhodes-E-Piano in dem Song „Hjertebarn“,
       dessen angeschlagene Tasten den subtilen Rhythmus bilden. Oder das dubbige
       Echo in „Nova“, das durch einige Filter gejagt wird, bis es im Akustikbass
       von Bremer aufgeht.
       
       Gelingt die Arbeitsteilung zweier Personen leichter, weil die
       Aufgabenverteilung klar ist? Ist es Zufall, dass Musik von Duos oftmals
       durch ihre Funktionalität beflügelt? Der Soziologe Émile Durkheim machte
       sich grundlegende Gedanken zur Arbeitsteilung. Er nahm an, dass ihr in
       komplexen Gesellschaften integrative Funktion zukomme. Sie entstehe erst
       durch „organische Solidarität“: soziale Konfiguration und Arbeitsteilung
       gleichartiger Einheiten.
       
       Im Zeitalter des Fordismus wurde Arbeitsteilung durch
       Rationalisierungsmaßnahmen an Fließbändern zunehmend entfremdet
       wahrgenommen. In modernen postfordistischen Jobprofilen, in denen
       Tätigkeiten zu Mikroeinheiten am Computer zerlegt werden, muss
       Arbeitsteilung neu verhandelt werden. Vielleicht ist die analoge
       Arbeitsweise von Bremer/McCoy eine bewusste Abkehr von dieser Arbeitswelt.
       
       ## Schlachtfest der Genauigkeit: MMM
       
       „Wir sitzen immer zusammen im Studio und entscheiden gemeinsam“, erklärt
       der Berliner Elektronikproduzent [4][Michael „Fiedel“ Fiedler] zur
       Arbeitsweise von MMM, dem Duo, das er mit seinem Partner Erik „Errorsmith“
       Wiegand betreibt. „Zu zweit hört man die Musik schon beim Machen anders:
       immer mit dem Ohr des anderen. Es hat was Symbiotisches, wozu man wenig
       Worte verlieren muss, da ich Erik und seinen Geschmack kenne.“
       
       Beim Elektronik-Duo MMM (benannt nach der DDR-Variante der
       Bundesjugendspiele „Messe der Meister von Morgen“) treffen zwei
       musikalische Sphären aufeinander: Errorsmith, Soundtüftler und
       Softwareprogrammierer, und Fiedel, der als DJ vor allem durch seine
       Residency im Berliner Berghain bekannt wurde, ergänzen sich. „Wir schätzen
       jeweils die Arbeit des anderen und haben dadurch eine Basis gefunden.“
       
       Ihr Debütalbum als MMM ist ein schlagzeuggetriebenes Schlachtfest der
       Genauigkeit. Wenn der Bogen schroff über ein Cello streicht, eine Bassdrum
       zu klopfen beginnt, Reifen eines Pkws quietschen und eine Polizeisirene
       heult, beginnen die Berliner Künstler zu arrangieren, tauchen Samples in
       ein Säurebad aus Hall und gruppieren furztrockene Drumbeats in eleganten
       Schraffuren konzentrisch drumherum.
       
       Selten ist eine menschliche Stimme zu hören, so wie beim Track „The
       Interview“ berichtet eine Frau von Strapazen, die man als
       Bühnenmusiker:in auf Tour erfährt: körperliche und seelische
       Anstrengungen, Zusammenbrüche, Bedürfnisse. „Diese Auszüge beschreiben das
       Wesentliche jener Situation. Man könnte sie aber auch auf unser
       Alltagsleben projizieren, das von Stress und Überarbeitung bestimmt ist.
       Unsere Musik unterstreicht das Gesagte.“
       
       Jeder Klangpartikel scheint hier einer TÜV-Prüfung unterzogen, erst dann
       wird er im Gerüst der Tracks arrangiert und entwickelt eigenwillige Strenge
       jenseits von Genrezuschreibungen. „Es dauert lange, bis alles sitzt. Wir
       haben fast jedes Stück mit einem Akkord-Sound angefangen, den wir per
       Verzerrung angeraut haben. Dieser Sound bestimmt die Atmosphäre des Stücks
       und gibt uns eine Idee zum Ablauf. Wir haben anfangs keine klare
       Vorstellung davon, wohin die Reise geht. Komponieren ist ein organischer
       Prozess.“ Alles an seinem Platz, „Everything Falls into Place“ heißt einer
       der Tracks von MMM, die mit einer Sparflamme wahre Feuerwerke erzeugen und
       die Augen und Ohren damit zum Leuchten bringen.
       
       ## Gelebte Solidarität: LeRon Carson und Theo Parrish
       
       Das Duoprinzip bei LeRon Carson und Theo Parrish ist Ausdruck einer
       gelebten Solidarität. Letzterer veröffentlicht auf seinem Label Sound
       Signature die Werke seines Jugendfreundes LeRon Carson. Parrish wuchs in
       Chicago auf, wurde aber in Detroit als DJ, Produzent und Labelbetreiber
       berühmt. Er ist nun in der Rolle des Mentors, seit einigen Jahren
       veröffentlicht er die Musik von Carson, gibt seinem einstigen Helden etwas,
       zu dem dieser durch seine prekäre ökonomische Lage nicht im Stande ist.
       
       Nun hat Sound Signature mit „Under the Conditions“ ein Doppelalbum von
       Carson veröffentlicht. Auf der Rückseite des Albums ist ein Foto der beiden
       Freunde abgedruckt, in den Linernotes schreibt Parrish: „In der Southside
       von Chicago gab es Ende der 1980er drei Felder, in denen man als Schwarzer
       wirken konnte: Basketball, Gangs oder Musik. LeRon ist ganz und gar Musik.
       Sie ist Ausdruck der Kämpfe, Triumphe, Fehler, Erinnerungen und Erfahrungen
       der Gemeinschaft, die wir geteilt haben.“
       
       Die acht Tracks klingen noch immer, wie sie damals, Ende der 1980er, aus
       der Zeit gefallen waren: [5][basale Rhythmen], kurze, verzerrte
       Stimmsamples, verwaschene Keyboards erinnern daran, dass Housesound den
       Community-Gedanken von Disco in eine elektronische Zukunft geschickt hat,
       die auch heute nicht nach Vergangenheit klingt, sondern nach Hunger auf
       Leben.
       
       Möglich gemacht von zwei Personen, deren Musik, wie die auf allen hier
       erwähnten Duo-Alben, an die Gemeinschaft appelliert.
       
       23 Nov 2021
       
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