# taz.de -- 200. Geburtstag von Heinrich Schliemann: Er war populär, er hatte Flair
       
       > Am Donnerstag wäre der Selfmademan Schliemann 200 Jahre alt geworden.
       > Viele seiner archäologischen Funde hat er gestohlen und nach Berlin
       > gebracht.
       
 (IMG) Bild: Autodidakt Heinrich Schliemann
       
       BERLIN taz | Er erinnert an Howard Hughes, der sein Erbe mit der
       Aufstellung von Flugrekorden und dem damals teuersten Film der Welt
       verprasste. Oder besser noch: an [1][Elon Musk], der nicht nur der Erfinder
       von Tesla ist, sondern auch den Fernverkehr auf Luftkissen verlegen und die
       Menschheit zu einer „multiplanetaren Gesellschaft“ entwickeln will.
       
       Deutschlands bekanntester Archäologe Heinrich Schliemann, der am Donnerstag
       200 Jahre alt wird, war ein Sozialaufsteiger vom Armeleutekind zum
       neureichen Selfmademan, ein Hochstapler, Betrüger, Lügner und Dieb – aber
       auch ein Sprachgenie, Abenteurer und Goldgräber. Er hatte unsagbares Glück
       und einen Riecher für Trends, war ein akademischer Quereinsteiger, dem die
       Archäologie wie Geschichtswissenschaft viel zu verdanken haben, und der
       Berlins Museumswelt geprägt hat.
       
       1881 gab Schliemann seinen berühmten „Schatz des Priamos“ zusammen mit etwa
       10.000 anderen Fundstücken aus Troja nach Berlin. Als er zum ersten Mal im
       heutigen [2][Gropius Bau] zu sehen war, standen die Berliner*innen
       Schlange.
       
       Kein Wunder also, dass das Museum für Vor- und Frühgeschichte Schliemann
       eine große Sonderausstellung mit rund 700 Objekten widmet, die ab Mai 2022
       in der James-Simon-Galerie und im Neuen Museum zu sehen sein wird.
       
       Die Ironie: Zwar möchte die Ausstellung Schliemann aus der „Ecke des
       Schatzgräbers“ herausholen und mit der „Einsamkeit des Goldes brechen“, so
       der Leiter des Museums für Vor- und Frühgeschichte Matthias Wemhoff zur
       taz. Dennoch bleibt der Schatz der Kern – ohne dass er in Berlin zu sehen
       sein wird.
       
       ## Abenteuerliche Wege
       
       Heinrich Schliemann wurde 1822 als Sohn eines alkoholkranken Pfarrers in
       Mecklenburg-Vorpommern geboren und machte nach dem Realschulabschluss eine
       Kaufmannslehre bei einem Krämer in Brandenburg.
       
       Auf abenteuerlichen Wegen kam er als Neunzehnjähriger nach Holland und
       legte den Grundstein für eine erfolgreiche Kaufmannskarriere im Amerika der
       Goldgräber und im zaristischen Russland.
       
       Erst als er die Hälfte seines Lebens hinter sich hatte, erfand sich
       Schliemann so neu, wie das nicht einmal Männern wie den eingangs erwähnten
       Hughes und Musk geglückt ist.
       
       Er begann, die Welt zu umreisen, kaufte sich ein Haus in Paris, schrieb ein
       Buch über Japan und China und ließ es auf eigene Kosten drucken. Doch das
       Buch kam nicht an.
       
       ## Wie ein Besessener
       
       Ein spannender Film über Schliemann mit dem Titel „Der Schatz des Priamos:
       Wem gehört das Gold von Troja?“, der am Samstagabend auf 3Sat zu sehen ist,
       legt nahe, dass er auch aufgrund der Lektüre eines damaligen Bestsellers
       über Troja nach Griechenland und in die Türkei reiste und begann, mithilfe
       seines beträchtlichen Vermögens wie ein Besessener nach den historischen
       Orten zu suchen, die Homer in seinen Sagen beschrieben hat. Schliemann war
       überzeugt von etwas, das bis heute nicht als gesichert gilt: dass er das
       historische Troja und im Jahr 1873 den „Schatz des trojanischen Königs
       Priamos“ gefunden hat. Wahrscheinlich stammt er aber aus einer Zeit vor
       der, in der Priamos wahrscheinlich lebte.
       
       So oder so befindet sich der Schatz bis heute auf einer Art Odyssee.
       Zunächst wurde er von Schliemann selbst in Gemüsekisten aus der Türkei
       geschmuggelt, woraufhin einer der ersten Beutekunstprozesse begann: Das
       Osmanische Reich machte Schliemann, der damals in Griechenland lebte, das
       Leben schwer, indem es sein Haus durchsuchen ließ und seine Konten einfror.
       Doch schließlich ließ es sich mit einer Zahlung ans Kaiserliche Museum in
       Konstantinopel abspeisen.
       
       Doch dann, am Ende des Zweitens Weltkriegs, verschwand der Schatz für 50
       Jahre. Erst 1993 gab der erste Präsident Russlands Boris Jelzin zu, dass er
       damals nicht nur von der Roten Armee gestohlen worden war, sondern noch
       immer in Moskau weilte. Trotz guter Zusammenarbeit mit Moskau, so Wemhoff,
       wäre eine Leihgabe aus dem Schatz für die Berliner Ausstellung viel zu
       kompliziert gewesen.
       
       Vor dem Hintergrund der [3][aktuellen Restitutionsdebatte] und dessen, was
       man über den Selfmademan, Schatzgräber und unermüdlichen Forscher Heinrich
       Schliemann in der Berliner Ausstellung ab Mai erfährt, erscheint es
       allerdings fraglich, ob der Schatz des Priamos je nach Berlin zurück kehren
       wird.
       
       ## In Berlin war Wissen
       
       Aber wird er [4][in die Türkei zurück kehren]? Dazu sagt Matthias Wemhoff,
       das müsse einvernehmlich geregelt werden. „Auf keinen Fall aber darf man
       das Osmanische Reich mit afrikanischen Staaten der Gegenwart vergleichen“,
       fügt er an. Das Osmanische Reich sei ein mächtiger Player gewesen – und
       ließ sich auf die Ablasszahlung Schliemanns ein.
       
       Und Schliemann habe seine Funde auch deshalb nach Berlin gegeben, gibt
       Wemhoff zu bedenken, weil hier damals am meisten Wissen vorhanden war, um
       sie zu erforschen und zu vergleichen.
       
       6 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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