# taz.de -- Ökonom Sebastian Dullien über Gaspreise: „Der Staat muss helfen“
       
       > Die Gaspreise steigen zu stark, sagt der Ökonom Sebastian Dullien. Er
       > spricht sich für einen Gaspreisdeckel aus.
       
 (IMG) Bild: Weil der Energiepreis steigt, wird auch selbst gebackenes Brot teuer
       
       taz: Herr Dullien, die Energiepreise schießen in die Höhe, Brot wird
       teurer. Die Inflationsrate ist im Euroraum auf den höchsten Stand seit
       Einführung des Euro 1999 gestiegen. Für wie gefährlich halten Sie derzeit
       die Inflation? 
       
       [1][Sebastian Dullien]: Was wir derzeit sehen, sind vor allem
       Energiepreissprünge, [2][die sich auch in Preisen von Gütern
       niederschlagen,] bei deren Produktion Energie verbraucht wird. Brot wird
       teurer, denn beim Backen wird Strom oder Gas verbraucht. Das schlägt jetzt
       durch.
       
       Die Europäische Zentralbank (EZB), aber auch Ökonomen wie Sie, haben noch
       vor kurzem vor Alarmismus gewarnt. Spätestens zum Jahreswechsel würden die
       Preissteigerungen wieder niedriger ausfallen. 
       
       Wir waren davon ausgegangen, dass die Inflation im Januar wieder deutlich
       fallen würde. [3][Das ist nicht passiert.] Der Grund: die massiv
       gestiegenen Energiepreise. Im Dezember lag der Gaspreis zur Lieferung im
       Frühjahr bei rund 40 Euro pro Megawattstunde. Jetzt liegt er bei über 70
       Euro, und der Ukraine-Konflikt treibt die Preise weiter in die Höhe. Wenn
       Gas so viel teurer wird, haben wir schlicht eine andere Situation. Diese
       geopolitischen Spannungen haben wir in dem Maße nicht vorhersehen können.
       Das ging den meisten Ökonomen so.
       
       Wie stark steigen die Preise in der nächsten Zeit weiter an? 
       
       Um das beurteilen zu können, unterscheiden wir Ökonomen zwischen
       Preisschock und Inflation. Bei einem Preisschock kommt es einmalig zu einem
       massiven Anstieg. Was wir momentan haben, ist so ein vorübergehender
       Preisanstieg. Einmalig bedeutet nicht, dass alles in einem Monat
       ausgestanden ist. Die Auswirkungen eines solchen Schocks können sich über
       Monate hinziehen. Unter einer richtigen Inflation hingegen verstehen wir
       einen Prozess, bei dem auch die Löhne stärker steigen als das mit dem
       angestrebten Ziel der Preisstabilität vereinbar wäre. Stabil und damit
       unproblematisch ist aus ökonomischer Sicht ein Anstieg der Lohnstückkosten
       von 2 Prozent – was dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank
       entspricht. Gesamtwirtschaftlich dürfen dafür die Löhne um 3 Prozent pro
       Jahr steigen, weil die Produktivität im Trend pro Jahr um 1 Prozent wächst.
       Wenn die Lohnstückkosten, also die Lohnkosten für die Unternehmen, um 2
       Prozent pro Jahr steigen, wäre von der Stabilitätsseite her alles im
       Butter.
       
       Wir werden in diesem Jahr aber eine Inflation von etwa 4 Prozent haben.
       Ihnen zufolge hieße das, die Beschäftigten sollen sich in Lohnzurückhaltung
       üben. 
       
       Ich will den Gewerkschaften keine Ratschläge geben. Rein analytisch ist es
       aber so: Wenn wir beispielsweise im Trend ein gesamtwirtschaftliches
       Lohnwachstum von 5 Prozent pro Jahr hätten, entsteht ein erheblicher
       Kostendruck auf die Unternehmen, die versuchen würden, das an Kunden und
       Konsumenten weiterzugeben. Sprich: Die Preise würden noch weiter steigen.
       Die EZB sähe sich wiederum gezwungen, die Zinsen zu erhöhen. Wir hätten
       steigende Arbeitslosigkeit, und damit wäre noch weniger Leuten geholfen.
       
       Die Beschäftigten sollen diese Reallohnverluste also hinnehmen? 
       
       Das ist natürlich nicht okay. Das Problem ist nur: In einer Situation wie
       derzeit, in der die Gaspreise durch die Decke gehen, belastet das nicht nur
       die Beschäftigten, sondern auch die Industrie. Der Kuchen ist kleiner
       geworden, weil die ausländischen Energielieferanten ein größeres Stück
       nehmen. Der massive Preisanstieg, den wir momentan haben, ist aus meiner
       Sicht zu groß, als dass man dieses Problem auf die Tarifparteien abwälzen
       darf. Darum sollte der Staat jetzt helfen, diesen Preisdruck abzumildern,
       damit wir gar nicht in eine Spirale geraten, sondern der Preisdruck
       einmalig bleibt.
       
       Um die Bürger:innen zu entlasten, schlagen Sie einen Gaspreisdeckel vor.
       Wie würde der funktionieren? 
       
       Der Staat würde vorübergehend eine Grundversorgung an Gas pro Haushalt
       subventionieren. Für jeden Haushalt würde ein Grundbedarf zu einem
       gedeckelten Preis abgegeben. Der Staat würde den Verlust für die Versorger
       ausgleichen. Man kann von den Versorgern nicht erwarten, dass sie im
       Großhandel Gas für 11 oder 12 Cent pro Kilowattstunde kaufen und es für
       7,50 Cent an Kunden weitergeben. Gleichzeitig ist der hohe Großhandelspreis
       wichtig. Nur wenn der hoch ist, bekommen wir zum Beispiel
       Flüssiggas-Lieferungen aus anderen Teilen der Welt. Dafür brauchen wir
       Anreize.
       
       Was würde ein solcher Gaspreisdeckel kosten? 
       
       Subventioniert der Staat die Differenz zwischen den jetzigen Preisen und
       denen vor der Erhöhung, ist das günstiger oder teurer – je nachdem, was das
       Gas kostet. Es gibt etwa 20 Millionen Haushalte mit Gasanschluss in
       Deutschland. Wenn jeder Haushalt 8.000 Kilowattstunden bekommen würde, und
       der Staat müsste jede Kilowattstunde mit 5 Cent subventionieren, wären wir
       bei etwa 8 Milliarden Euro. Diese Rechnung basiert auf den jetzigen
       Preisen.
       
       Was ist mit denen, die eine Ölheizung haben? 
       
       Ein Heizkostenzuschuss, wie er diskutiert wird, kann sinnvoll sein. Aber:
       Der Gaspreis ist anders als die anderen Preise. Wenn der Großhandel den
       Gaspreis durchreichen würde, würden die Heizkosten um 100 Prozent steigen,
       sich also verdoppeln. Beim Öl liegt dieses Plus bei etwa 20 Prozent
       gegenüber dem Vorkrisenniveau von 2019. Der Preisdeckel beim Gas würde
       dafür sorgen, dass die Belastung, die über diese 20 Prozent hinausgeht,
       abgefedert wird. Eine gewisse Schwankung der Energiepreise ist zumutbar und
       ist auch wegen des Klimawandels angesagt. Aber eine Verdopplung der
       Heizkosten ist brutal. Für einen Haushalt mit einem Einkommen von 2.500
       Euro netto, mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern – das ist über der Grenze
       für Wohngeld – ist es eine enorme Belastung, wenn monatlich 100 Euro an
       Ausgaben hinzukommen, weil der Gaspreis steigt.
       
       Lebensmittel werden ebenfalls teurer. Brauchen wir wir auch dort einen
       Preisdeckel? 
       
       Hätten wir eine Verdopplung bei Lebensmittelpreisen, würde das vielleicht
       auch jemand fordern. Das haben wir aber nicht. In einer Marktwirtschaft
       sind gewisse Preisschwankungen normal. Nur wenn sie extrem werden, greifen
       wir ein. Angesichts der höheren Preise für Lebensmittel ist es besser,
       bedürftigen Haushalten zu helfen, etwa indem die Hartz-IV-Sätze erhöht
       werden oder ein Kinderbonus ausgezahlt wird. Das ist sinnvoller als ein
       Deckel, auch weil die Lebensmittelmärkte sehr heterogen sind. Wenn die
       Preise eingefroren würden, würden die Hersteller wahrscheinlich versuchen,
       auf andere Weise ihre Gewinnmarge hoch zu halten. Sie könnten schlechtere
       Zutaten verwenden, etwa gute Fette durch billiges Öl ersetzen. Das sind
       Ausweichreaktionen, die wir nicht möchten.
       
       Die Pandemie neigt sich wohl dem Ende zu. Kommt jetzt ein Wirtschaftsboom? 
       
       Kommt es nicht zu einer weiteren Zuspitzung in der Ukraine, rechne ich
       damit, dass die deutsche Wirtschaft ab dem zweiten Quartal wieder
       deutlicher wachsen wird. Die Industrie hat volle Auftragsbücher. Das
       Aufheben der Kontaktbeschränkungen dürfte einen Konsumschub bringen, die
       Deutschen haben relativ viele Corona-Ersparnisse. Eigentlich wäre mit einem
       kräftigen Aufschwung zu rechnen. Aber die hohen Energiepreise belasten die
       Kaufkraft der Haushalte und die Unternehmen. Die Unsicherheit durch die
       Ukraine bremst die Investitionstätigkeit. Es ist also mit einem Aufschwung
       zu rechnen, aber nicht mit einem Super-Aufschwung.
       
       Gerade ein Aufschwung hat in der Vergangenheit immer dafür gesorgt, dass
       die Preise noch mehr stiegen. 
       
       Im Moment sind in Deutschland die Kapazitäten gesamtwirtschaftlich nicht
       voll ausgelastet. Es kann durchaus noch mehr produziert werden, ohne dass
       wir einen stärkeren Inflationsdruck bekommen. Natürlich, ab einem Punkt
       kann eine Wirtschaft überhitzen und man kann sich fragen, ob das in den USA
       schon der Fall ist. In Europa sieht man das nicht. Die Zahl der
       Arbeitsstunden, die geleistet werden, ist noch ein ganzes Stück vom
       Vorkrisenniveau entfernt. Da sehe ich noch keine Gefahr. Die jahrelange
       Situation, dass die Inflation sehr, sehr niedrig war, ist vorbei. Aber es
       gibt jetzt diese Sonderfaktoren. Wenn die wegfallen, haben wir auch wieder
       ein Abschwächen des Inflationsdrucks. Dieses Zusammenspiel muss man sehen.
       
       Wenn der Ukraine-Konflikt eskaliert, kippt die deutsche Wirtschaft dann in
       eine Krise? 
       
       Es gibt ja verschiedene Szenarien. Eines ist, dass Russland nicht weiter in
       die Ukraine vormarschiert. Dann gibt es Sanktionen, aber ohne Unterbrechung
       der Gaslieferungen. Das kann die deutsche Wirtschaft ganz gut verkraften.
       Aber wenn russischen Truppen auf Kiew marschieren, Russland aus dem
       internationalen Zahlungssystem geworfen wird und kein Gas mehr liefert –
       das kann die deutsche Wirtschaft in die Rezession treiben.
       
       Und die Preise? 
       
       Sie würden noch mehr steigen.
       
       23 Feb 2022
       
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