# taz.de -- Schriftstellerinnen und ihre Nebenjobs: „Call Center und Flyer verteilen“
       
       > Wie viel verdienen Schriftsteller:innen eigentlich? Können sie von
       > ihren Büchern leben? Drei Schriftsteller:innen über ihre Brotjobs.
       
 (IMG) Bild: „Über das prekäre Künstlerleben zu jammern empfinde ich oft als Luxusproblem“: Stefanie Sargnagel
       
       Stefanie Sargnagel: 
       
       „Alle Jobs, die ich hatte, fand ich spannend. Oft hab ich Promotion
       gemacht. Da musste ich zum Beispiel als Zahnpasta verkleidet Selfies mit
       Student:innen vor der Uni machen. Mir hat das Spaß gemacht. „Is’ dir das
       nicht peinlich?“, fragten einige. Ich dachte: Nein, du bist peinlich, wenn
       du solche Fragen stellst.
       
       Generell fand ich alle Tätigkeiten gut, bei denen man etwas kostenlos
       verteilen konnte, weil die Leute sich dann so gefreut haben. Unangenehm war
       alles, bei dem man ständig abgelehnt wird, zum Beispiel Callcenter im
       Outbound oder Flyer verteilen. Lange habe ich auch Bierdosen aus dem
       Rucksack verkauft, das hat damals fast niemand in Wien gemacht und war sehr
       lukrativ.
       
       Irgendwann kam aber die Konkurrenz und dann musste man um die Biertrinker
       buhlen, das wurde mir dann zu unangenehm. Medizinische Testungen habe ich
       auch mal durchführen lassen, das war sehr gut bezahlt. 200 Euro, um sich
       ein neues Medikament ins Auge tropfen zu lassen, dazu gab’s ein kostenloses
       Krankenhausmenü.
       
       Das waren alles interessante Erfahrungen und Begegnungen, inzwischen lebe
       ich zunehmend in einer Kulturblase, und das wird dann inhaltlich in seiner
       Selbstreferenz auch langweilig. Über das prekäre Künstlerleben zu jammern,
       empfinde ich in vielen Fällen als Luxusproblem. Niemand muss Künstler:in
       werden.
       
       Ich verdiene mehr als fast alle meine Freund:innen, obwohl ich sicher nicht
       der größte Player auf dem Literaturmarkt bin, ich werde ja nicht mal
       übersetzt. Jede:r Autor:in, die bekannter ist als ich und mehr Bücher
       verkauft, ist einfach reich, das braucht man gar nicht runterspielen.“
       
       Stefanie Sargnagel, 36, lebt als Schriftstellerin und Künstlerin in Wien.
       
       Mithu Sanyal:
       
       „Ich habe lange gedacht, ich würde nie vom Schreiben leben können. Da hat
       mich – wie so viele Schriftsteller*innen – der WDR gerettet, für den
       ich Radiosendungen gemacht habe. Zuerst habe ich daneben ausschließlich
       Sachbücher geschrieben. Denn die Literaturverlage haben mir zweieinhalb
       Jahrzehnte lang gesagt: Das interessiert doch niemanden, worüber Sie
       schreiben.
       
       Ich habe viele verschiedene Jobs gemacht, die meisten irgendwo im
       Kulturbereich. Während des Studiums habe ich Aktmodell gestanden. In den
       Zeichenkursen waren nur Frauen und es gab wenig Geld für lange still
       stehen. Die Fotokurse waren super bezahlt und nur von Männern mit riesigen
       Kameras frequentiert.
       
       Ansonsten habe ich als Statistin für Filmproduktionen gearbeitet und
       ein Jahr lang zusammen mit Freund*innen ein Kino in Düsseldorf
       geschmissen.
       
       Natürlich habe ich auch gekellnert. Da habe ich viel gelernt, auch fürs
       Schreiben. Viele Leute kommen rein und erzählen dir ihre Geschichte. Sie
       legen als Erstes das Trinkgeld hin, bevor du überhaupt irgendetwas gemacht
       hast, dann erzählen sie ihre Story. Da bist du dann gefangen. Aber ich fand
       das immer total spannend.“
       
       Mithu Sanyal, 50, lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Düsseldorf.
       
       Anke Stelling:
       
       „Die blödesten Brotjobs sind die, die so tun, als wären sie keine. Die zu
       nah an Kunstprojekten dran sind: von mir für solche gehalten, von andern
       als welche behauptet. Einmal hab ich für die DBmobill ein sogenanntes
       literarisches Fundstück schreiben sollen, das dann aber zu literarisch
       geriet und deshalb nicht gedruckt wurde.
       
       Das war doof für mich: Der Text war aus Versehen Teil meines Werks, gehörte
       aber jetzt der Bahn. Dann hab ich mal ein Drehbuch für einen Schweizer
       Millionär geschrieben, also ihm selbst auf den Leib, er wollte gerne eine
       Hauptrolle.
       
       Natürlich war das vollkommen crazy, reiner Brotjob, aber dann hat mein
       Umfeld die Geschichte dieses Brotjobs so geliebt (weshalb ich sie hier
       natürlich auch wieder erzähle), dass ich dachte, hey, wer weiß.
       
       Könnte vielleicht doch was werden, dass aus so einem Auftrag trotzdem Kunst
       wird, wenn doch alle die Vorstellung so schön finden. Das Königsporträt
       bildfüllend, aber eigentlich geht es um den kleinen verrückten Hund in der
       linken Ecke, und der König merkt das gar nicht, und das Ganze ist trotzdem
       mein Werk. Aber ich merkte, das klappt nicht. Kunst zu Geld zu machen, ja,
       manchmal. Aber Kunst für Geld zu machen? Eher nicht.“
       
       Anke Stelling, 50, lebt als Schriftstellerin in Berlin.
       
       12 Mar 2022
       
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