# taz.de -- Nationalversammlung in Frankreich: Unberechenbare Parlamentswahlen
       
       > Aus welchem politischen Lager der französische Premierminister kommt,
       > entscheidet sich im Juni. Die Wahl bleibt unberechenbar für die
       > Staatsführung.
       
 (IMG) Bild: Im Juni werden die Abgeordneten der Nationalversammlung neu gewählt
       
       PARIS taz | Am 12. und 19. Juni finden in Frankreich die beiden Durchgänge
       zur Wahl der Abgeordneten der Nationalversammlung statt. Nach dem
       Mehrheitswahlrecht gibt es in jedem der 577 Wahlkreise einen Sitz zu
       erobern. Wenn diesen niemand mit mehr als 50 Prozent auf Anhieb erringt,
       kommt es zur Stichwahl, bei der grundsätzlich alle teilnehmen können, die
       in der ersten Runde mindestens 10 Prozent der Stimmen bekommen haben. Sie
       können sich aber auch mit anderen Kandidaten zusammenschließen oder
       zugunsten eines Besserplatzierten verzichten.
       
       Das kompliziert anmutende System lädt zum Feilschen unter den Parteien
       zwischen den beiden Wahlgängen ein. Die großen Lager, traditionell die
       bürgerliche Mitte und die gemäßigte Linke, schnappten sich so dank
       Allianzen meistens den Großteil der Sitze. Die politisch eher isolierten
       Extremisten dagegen hatten jeweils wenig Chancen.
       
       So hatten der Front National und dessen Nachfolgepartei Rassemblement
       National um [1][Marine Le Pen] bisher wegen des Wahlsystems größte Mühe,
       auch nur ein paar wenige Abgeordnetensitze zu erringen. Emmanuel Macron
       hatte eine Reform des Wahlsystems versprochen, um dafür zu sorgen, dass
       auch politische Kräfte, die trotz beachtlicher Stimmenzahlen mit dem
       bisherigen Wahlrecht leer ausgehen, ein paar Mandate erhalten und so ihre
       Wähler*innen in der „Volkskammer“ repräsentieren können. Die dafür
       erforderliche Verfassungsänderung wurde aber von der konservativen
       Opposition blockiert.
       
       ## Die Ergebnisse sind völlig offen
       
       Vielleicht könnte sich das Wahlsystem dieses Mal auch ganz anders auswirken
       – eben weil das Rassemblement National in den Regionen massiv Mandate
       gewinnt, wo Le Pen besonders stark abgeschnitten hat. Oder weil die Linke
       in den Wahlkreisen zugewinnt, wo Jean-Luc Mélenchon im ersten Wahlgang an
       erster Stelle lag.
       
       Die Ergebnisse lassen sich erfahrungsgemäß nicht einfach übertragen. Die
       Neubestellung der Nationalversammlung ist die Summe einer Vielzahl von
       lokalen Wahlen unter speziellen Umständen. Obwohl in der Vergangenheit der
       neu gewählte Präsident meistens eine loyale Mehrheit erhalten hat, bleibt
       die Parlamentswahl wegen der Möglichkeit örtlicher Absprachen zwischen
       Parteien, aber auch wegen interner Rivalitäten innerhalb derselben
       politischen Familie und anderer Unsicherheitsfaktoren unberechenbar für die
       Staatsführung.
       
       Laut Verfassung wird [2][Präsident Macron] Ende Juni einen Premierminister
       aus den Reihen der Sieger ernennen und mit der Bildung einer Regierung
       beauftragen. Dass er im Falle eines durchschlagenden Erfolgs der Linken
       ausgerechnet Mélenchon dazu nimmt, der eine Totalrevision der Republik
       fordert, erscheint höchst unwahrscheinlich.
       
       Denn im Fall einer „Kohabitation“, einer politischen Zwangsehe, mit einer
       von politischen Gegnern dominierten Regierung braucht der Präsident einen
       kompromissfähigen Premierminister. Diesem kann er umgekehrt das Leben
       schwer machen, denn er kann die Gesetzgebung der Regierung behindern, indem
       er beispielsweise die verabschiedeten Vorlagen nicht in Kraft setzt. Das
       letzte Wort hat in Frankreich immer der Präsident.
       
       26 Apr 2022
       
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