# taz.de -- Internationaler Tag des Kaktus: Finger weg!
       
       > Jeder kennt ihn, nicht alle mögen ihn: den Kaktus. Leider lassen wir
       > Menschen ihn nicht in Ruhe, sondern nutzen ihn gnadenlos als Wertstoff.
       
 (IMG) Bild: Die Karriere von Kakteen geht seit Jahren steil nach oben, hier auf Fuerteventura
       
       Der Kaktus mit den vier kleinen Ablegern auf dem Foto scheint ein
       südamerikanischer Notocactus zu sein, er wächst langsam und blüht sehr
       schön. Je langsamer eine Kakteenart wächst, desto älter wird sie – bis zu
       200 Jahre, wobei der Anteil der weiblichen Pflanzen durchschnittlich 45
       Prozent beträgt und der der männlichen 25 Prozent, ein Drittel sind
       Zwitter. Es gibt etwa 1.900 Arten, alle sind Sukkulenten (saftreich), aber
       nicht alle sukkulenten Pflanzen sind Kakteen.
       
       Den 10. Mai hat man zum Internationalen Kaktustag erklärt, nicht weil der
       Kaktus derzeit eine „Modepflanze“ ist, sondern weil die wild wachsenden
       Kakteen, die oftmals nur in kleinen Habitaten vorkommen, immer häufiger von
       Pflanzenwilderern ausgegraben und verkauft werden, vor allem nach Asien, wo
       man für seltene Exemplare Tausende von Dollar zahlt.
       
       „Züchter und Gärtnereien können beim Boom kaum noch mithalten, schließlich
       brauchen manche Arten Jahre oder Jahrzehnte, um nur die Größe eines
       Tischtennisballs zu erreichen“, schreibt die Süddeutsche Zeitung 2019 unter
       der Überschrift „Die fatale Kaktus-Liebe der Hipster“. Allein in den USA
       sei der Verkauf zwischen 2012 und 2017 um 64 Prozent gestiegen, in Korea
       spräche man von einer „Sukkulenten-Sucht“. Es gibt dazu jede Menge Kakteen
       aus Keramik, sogar Kondome in Kaktusform – und unter Naturschützern bloß
       noch die Hoffnung, dass der Trend schnell wieder vorbeigeht.
       
       Der Berliner Botanische Garten hat ein großes Kakteen-Gewächshaus. Die
       älteste Pflanze ist dort ein Goldkugelkaktus. Die Art wurde 1885 in Mexiko
       entdeckt, vom Berliner Kakteenhändler Hildmann eingeführt und als neue Art
       beschrieben. Alle zwei Jahre finden dort auch die Berliner Kakteentage
       statt, ausgerichtet von der Deutschen Kakteen-Gesellschaft und einigen
       Kakteengärtnereien.
       
       ## Veganes Leder
       
       In thematischen Schaubeeten werden amerikanische Säulen-, Glieder- und
       Kugelkakteen sowie vielfältige Agaven gezeigt, daneben afrikanische
       Sukkulenten wie Aloe, Wolfsmilchgewächse, Mittagsblumen und Lebende Steine.
       Mich hat dort vor allem das Wissen und die Auskunftsfreude der Züchter
       begeistert.
       
       Einen Kaktus kann man unter dem Blickwinkel seiner genetischen Struktur
       analysieren, unter den ökologischen Bedingungen seiner Entwicklung oder
       unter dem Aspekt seines Nutzens. So werden in Kalifornien zum Beispiel
       riesige [1][Feigenkaktus-Plantagen] angelegt, um trotz der Wasserknappheit
       noch Profite aus dem Boden zu ziehen.
       
       In der Namib-Wüste [2][erforschen Bioniker an Kakteenstacheln], wie
       Wasser sich effektiv kondensieren lässt. In Südamerika sind
       [3][Ayahuasca-Rituale] für Touristen große Mode, wozu die Veranstalter
       Mengen von Peyote-Kakteen vernutzen, um daraus die Psychodroge Meskalin zu
       gewinnen. [4][Teltower Materialforscher] lassen sich von Kakteen „zu
       selbstständig bewegenden und wachsenden Polymer-Materialien“ inspirieren.
       
       Zwei Mexikaner stellen in ihrem [5][Start-up Desserto] aus Kakteen „veganes
       Leder“ her. Stuttgarter Kakteenliebhaber tauften eine Neuzüchtung [6][auf
       den Namen ihres Ministerpräsidenten Kretschmann]. Die Karlsruher
       Phytopharmakafirma Schwabe entwickelte eine [7][kaktusfeigenhaltige
       Medizin] gegen diverse Gebrechen (aus dieser global invasiven Art wurde
       einst auch ein roter Farbstoff gewonnen).
       
       Die American Chemical Society erforschte Extrakte aus Sukkulenten [8][zur
       Entfernung von Mikroplastik] aus Abwasser. Die Hamburger
       Sukkulentenforscherin Heidrun Hartmann wurde in Monaco mit dem Goldenen
       Kaktus geehrt. Der Geisenheimer „Kakteenpapst“ Werner Hoffmann, der sich
       ein Leben lang mit dem Anbau von Kakteen als Nutzpflanzen beschäftigte,
       wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
       
       Es ist traurig, dass Kakteen mehr und mehr als menschlicher Wertstoff
       dienen müssen. Haben sie doch gerade die vielen Stacheln, damit wir sie in
       Ruhe lassen.
       
       10 May 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/energie/kaktus-plantage-helfer-kaliforniens-duerre/
 (DIR) [2] https://www.tagesanzeiger.ch/wissen/technik/kaefer-und-kaktus-als-inspiration/story/26230868
 (DIR) [3] /Selbsterfahrungstrip-mit-Ayahuasca/!5281234
 (DIR) [4] https://campus-teltow.hereon.de/kaktus/index.php.de
 (DIR) [5] https://utopia.de/ratgeber/desserto-veganes-leder-aus-kaktus/
 (DIR) [6] https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.horb-am-neckar-dieser-kaktus-heisst-jetzt-winfried-kretschmann.4ad279b9-4cae-45b5-ad7f-3da18b9c0524.html
 (DIR) [7] https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2021/10/25/feigenkaktus-bei-diabetes-gastritis-oder-wundheilungsstoerungen
 (DIR) [8] https://www.infobae.com/de/2022/03/22/extrakte-aus-sukkulenten-wie-okra-konnen-mikroplastik-aus-dem-abwasser-entfernen/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helmut Höge
       
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