# taz.de -- Abtreibungsrecht in den USA: „Roe v. Wade“ vor dem Aus
       
       > Laut einem Medienbericht haben sich fünf der neun Obersten
       > Richter*innen entschieden, das seit 1973 bestehende Recht auf
       > Abtreibung zu kippen.
       
 (IMG) Bild: „Lasst Abtreibung legal“: Spontaner Protest vor dem Obersten Gericht nach Bekanntwerden des Entwurfs
       
       NEW YORK taz | Es dauerte nur kurze Zeit, bis die Barrikaden vor dem
       Supreme Court in Washington, D. C. standen und sich die ersten
       Demonstrierenden am Montagabend vor den Absperrungen sammelten. Mit dem
       geleakten Entwurf eines Urteilstextes hatte das Nachrichtenportal Politico
       kurz zuvor schlimmste Befürchtungen vieler bestätigt: Demnach würde der
       Oberste Gerichtshof der USA demnächst die Abtreibungsfreiheit kippen, die
       das Grundsatzurteil „Roe v. Wade“ sichert.
       
       „Roe war von Anfang an ungeheuerlich falsch“, schreibt der Richter Samuel
       Alito in dem [1][durchgestochenen Text], der auf 98 Seiten die
       Mehrheitsmeinung der Richter*innen darstellen soll. Alito erklärt darin,
       ein Schwangerschaftsabbruch stelle „eine tiefgreifende moralische Frage
       dar“, und führt aus: „Die Verfassung verbietet es den Bürgern der
       jeweiligen Bundesstaaten nicht, die Abtreibung zu regeln oder zu
       verbieten.“
       
       Das Grundsatzurteil „Roe v. Wade“ von 1973 sowie ein weiteres Urteil von
       1992 sichern Schwangeren das verfassungsmäßige Recht auf einen
       Schwangerschaftsabbruch – und zwar bis zu dem Zeitpunkt, ab dem der Fötus
       außerhalb des Körpers lebensfähig wäre. Das ist in etwa ab der 24. Woche
       der Fall. Nach dem Urteil von 1992 dürfen die einzelnen Bundesstaaten
       Abtreibungen nicht unangemessen erschweren.
       
       Datiert ist der geleakte Entwurf auf den 10. Februar – eine tatsächliche
       Entscheidung wird für den Juni dieses Jahres erwartet. Der Supreme Court
       äußerte sich zunächst nicht zu dem Dokument. Ein Leak eines solchen
       Schriftstücks ist höchst außergewöhnlich. Expert*innen wie der ehemalige
       kommissarische Generalstaatsanwalt der USA, Neal Katyal, hielten die
       Echtheit der geleakten Mehrheitsmeinung aber für plausibel. „Diese Meinung
       besagt, dass Bundesstaaten Abtreibung kriminalisieren können, ohne
       Ausnahmen für Vergewaltigung oder Inzest. Das ist genau die
       Hardliner-Position, von der ich in den vergangenen drei Jahren gesagt habe,
       dass das Gericht sie durchsetzen würde“, [2][erklärte er auf Twitter]. Der
       Kongress müsse so schnell wie möglich handeln.
       
       ## Zurechtgelegte „trigger laws“
       
       Selbst wenn das Dokument echt ist, bleibt unklar, wie die endgültige
       Fassung des Gerichtstextes aussehen wird. Aber sollte der Supreme Court
       tatsächlich wie beschrieben abstimmen, hätte das augenblicklich heftige
       Konsequenzen für ungewollt Schwangere: Die Bundesstaaten hätten dann die
       Handhabe, selbst zu entscheiden – und für diesen Fall haben sich viele
       republikanisch regierte Bundesstaaten wie etwa [3][Missouri oder North
       Dakota bereits sogenannte „trigger laws“ zurechtgelegt], die in Kraft
       treten, sobald „Roe v. Wade“ gekippt wird. An anderen Orten steht immer
       noch oder zusätzlich die Gesetzgebung aus Zeiten vor dem Grundsatzurteil
       parat, etwa in Arizona oder dem Südstaat Mississippi.
       
       Mississippi ist der Staat, der den jetzigen Status quo mit einem Vorstoß
       angefochten hatte. Auch in der Vergangenheit hatten Bundesstaaten so etwas
       immer wieder versucht. Doch dieses Mal konnte der Versuch auf fruchtbaren
       Boden fallen: Der Supreme Court ist mehrheitlich mit konservativen
       Richter*innen besetzt. Der frühere republikanische US-Präsident Donald
       Trump hatte allein drei von ihnen nominieren können. Die Ernannten haben
       über Jahrzehnte großen Einfluss auf die US-amerikanische Gesellschaft.
       
       Expert*innen sehen in den Argumenten des Entwurfs den Einfluss der
       Arbeit von Abtreibungsgegner*innen: Der Entwurf spiegele die Argumente
       wider, die sich die Anwält*innen der selbsternannten
       „Lebensrechtler*innen“ seit Jahrzehnten zurechtfeilten, [4][schrieb die
       Historikerin Mary Ziegler] in einem Tweet.
       
       ## Wahlen im November
       
       In den USA stehen im November die Halbzeitwahlen an, bei denen ein Drittel
       des Senats und das gesamte Repräsentantenhaus neu gewählt werden. In beiden
       Kammern des Kongresses hat die Demokratische Partei von US-Präsident Joe
       Biden nur eine dünne Mehrheit. „Machen wir uns nichts vor: Reproduktive
       Rechte werden auf dem Stimmzettel stehen, und diese Halbzeitwahlen sind nun
       wichtiger als je zuvor“, hieß es von Seiten des [5][Democratic National
       Committee].
       
       Im vergangenen Jahr hatte das Repräsentantenhaus ein Gesetz verabschiedet,
       mit dem das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch auf Bundesebene
       festgeschrieben werden sollte. Allerdings verfügen die
       Republikaner*innen wiederum im Senat über genügend Stimmen, um das
       Gesetz zu blockieren.
       
       Bei den montäglichen Protesten in Washington, D. C. wird es sicher nicht
       bleiben. Für den Dienstag wurden Demos in vielen Orten der USA erwartet.
       
       3 May 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.politico.com/news/2022/05/02/read-justice-alito-initial-abortion-opinion-overturn-roe-v-wade-pdf-00029504
 (DIR) [2] https://twitter.com/neal_katyal/status/1521292108975513601
 (DIR) [3] https://www.guttmacher.org/article/2021/10/26-states-are-certain-or-likely-ban-abortion-without-roe-heres-which-ones-and-why
 (DIR) [4] https://twitter.com/maryrziegler/status/1521313343432105985
 (DIR) [5] https://democrats.org/news/dnc-on-reporting-that-scotus-plans-to-overturn-roe-v-wade/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eva Oer
       
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