# taz.de -- Koalitionsvertrag im Faktencheck: Wie sozial ist Schwarz-Grün? > Die Pläne für Soziales von Schwarz-Grün in Schleswig-Holstein werden > scharf kritisiert. Nicht alle Vorwürfe treffen zu – Luft nach oben gäbe > es aber. (IMG) Bild: Noch kein Konzept zur Armutsbekämpfung: Ministerpräsident Daniel Günther 2021 bei der Tafelausgabe BREMEN taz | Die Kritik war harsch: Im Bereich Sozialpolitik sei der Koalitionsvertrag „einfach blank“, sagte der Spitzenkandidat der schleswig-holsteinischen SPD, Thomas Losse-Müller in einem Pressegespräch. „Da ist nix. Das Soziale spielt bei Schwarz-Grün keine Rolle.“ Die Sozialverbände äußerten sich differenzierter, die Kritik bleibt trotzdem: Das, was Schwarz-Grün anzubieten habe, sei zu wenig, und [1][vor allem: Zu unkonkret]. „Es werden eine Menge wichtige Themen angeschnitten“, so Michael Saitner, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der Sozialverbände in Schleswig-Holstein. „Aber uns fehlt oft, wie man diese Ziele verwirklichen will.“ Angesprochen fühlen muss sich von dieser Kritik vor allem Aminata Touré, [2][Spitzenkandidatin der Grünen im Landtagswahlkampf,] Verhandlerin für die Grünen im Team Soziales und, davon kann man ausgehen, designierte Sozialministerin. Touré widerspricht deutlich: „Sehr zufrieden“ sei sie mit dem Verhandlungsergebnis. Routiniert zählt sie einige soziale Erfolge des Koalitionsvertrags auf: mehr Frauenhausplätze, mehr frühkindliche Bildung, mehr Gleichstellung, gerechtere Gesundheitsversorgung. Da lohnt ein Faktencheck des Koalitionsvertrags. Auf den ersten Blick ist das Thema tatsächlich dünn besetzt: die Unterpunkte „Soziales“ und „Familie, Kinder, Jugend und Senioren“ füllen nur vier Seiten – von insgesamt 244. In dem kurzen Textstück steht nur wenig Konkretes: Die soziale Balance wolle man herstellen und ausgeglichene Lebensverhältnisse in Stadt und Land schaffen. Nur wer weiterliest, sieht: Sozialpolitik findet sich als Querschnittsthema immer wieder in anderen Kapiteln des Vertrags wieder. ## Die Vorwürfe sind teils falsch Die SPD hat für den Koalitionsvertrag die Bezeichnung „Wohlfühlpopulismus“ gewählt. Populistisch ist jedoch auch die Kritik von SPD-Frakionsvorsitzendem Thomas Losse-Müller: Es gebe mehr Seiten zu „Bienen“, als zu „Behinderten“, zitiert er ungenannte Sozialverbände. Das ist schlicht falsch: Tatsächlich kommt das Wort „Behinderung“ 32 mal vor, dazu 23 mal „Inklusion“, das Wort „Bienen“ gibt es viermal. Konkret sind etwa ein Förderprogramm für barrierefreien Wohnraum geplant, mehr Heilpädagog*innen in den Kitas und eine aktive Arbeitsmarktpolitik für Menschen mit Behinderung; neben Werkstattarbeit sollen neue Arbeitsmodelle erprobt werden. Saitner fehlen im Koalitionsvertrag Lösungsvorschläge zum Fachkräftemangel im Sozialbereich. Doch der Vorwurf trifft nicht: Es tauchen mehrere konkrete Maßnahmen auf. Die Zahl der Ausbildungsplätze an den Fachschulen für Sozialpädagogik soll erhöht werden; für Erzieher*innen in der Ausbildung ist eine Ausbildungsvergütung geplant; und ein Personalergänzungsfonds soll Kitas helfen, bei akutem Fachkräftemangel schnell entlastendes Personal etwa für Verwaltungsaufgaben einzustellen. Außerdem, das hebt Touré als besonderen Erfolg hervor, sollen ausländische Berufsabschlüsse leichter anerkannt werden – die Ausländerbehörden werden außerdem explizit aufgefordert, ihren Klient*innen keine Arbeitsverbote aufzuerlegen. ## Strukturelle Pläne gegen Armut muss man suchen Etwas dünn bleibt der Vertrag bei der Armutsbekämpfung: Unfreiwillig hatte der CDU-Abgeordnete Werner Kalinka ein Licht darauf geworfen, als er in einem Pressestatement nur ein einziges Argument nannte, um die Sozialpolitik des Vertrags zu verteidigen: Die neue Landesregierung wolle die Tafeln unterstützen. „Es kann doch nicht die Lösung sein, einfach die Almosen-Institutionen zu verbessern“, sagt Saitner dazu. Doch strukturelle Maßnahmen gegen Armut fehlen weitgehend. Ein großer Teil der Sozialpolitik findet auf Bundesebene statt, die Möglichkeiten sind daher beschränkt – aber auch die vorhandenen Spielräume werden nicht genutzt: 2018 hat Schleswig-Holstein seinen Landesmindestlohn abgeschafft, der Bundesmindestlohn sei hoch genug. Das rot-grün-rot regierte Bremen im Vergleich hat anders reagiert: Mittlerweile ist der dortige Mindestlohn für Beschäftigte des Landes und assoziierter Unternehmen auf 12,29 Euro angehoben worden. Auch bei der Sozialhilfe führt der direkte Vergleich weiter: Bremen begrenzt die Sanktionen durch Jobcenter; in Schleswig-Holstein schweigt sich der Koalitionsvertrag dazu aus. ## In der Wohnungspolitik fehlt ein Wahlversprechen Und in der Wohnungspolitik? Dort fehlt die Mietpreisbremse – obwohl sich die Grünen im Wahlkampf [3][für deren Wiedereinführung ausgesprochen] hatten. „Wir haben vier von fünf möglichen wohnungspolitischen Maßnahmen aufgenommen“, verteidigt Touré den Koalitionsvertrag und zählt unter anderem die Kappungsgrenzenverordnung auf. Das Problem: Laut einer Stellungnahme des Paritätischen funktionieren die Instrumente [4][nur in Kombination] – ohne Kappungsgrenzenverordnung, die Bestandsmieten begrenzt, wirkt eine Mietpreisbremse, die vor allem auf Neuvermietungen abzielt, nicht – und umgekehrt. Einen echten Angriffspunkt hat sich die neue Landesregierung mit dem neuen Ministerienzuschnitt eingehandelt: Die Gesundheitspolitik spielt in Zukunft nicht mehr im Sozialressort, wo der Bereich Pflege angesiedelt ist – sondern wird mit dem Justizministerium zusammengepackt. „Da geht es offenbar mehr um Posten und Pöstchen“, kritisiert Losse-Müller. 27 Jun 2022 ## LINKS (DIR) [1] /Schwarz-gruene-Koalitionen/!5860728 (DIR) [2] /Gruenen-Politikerin-Aminata-Toure/!5800597 (DIR) [3] https://sh-gruene.de/programm/daseinsvorsorge/ (DIR) [4] https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Schwerpunkte/Wohnen/doc/190927-RefE-Stellungnahme_Paritaetischer_Gesamtverband.pdf ## AUTOREN (DIR) Lotta Drügemöller ## TAGS (DIR) Grüne Schleswig-Holstein (DIR) Schleswig-Holstein (DIR) Sozialpolitik (DIR) Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2022 (DIR) Aminata Touré (DIR) CDU Schleswig-Holstein (DIR) Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2022 (DIR) Landwirtschaft (DIR) Nordrhein-Westfalen (DIR) Daniel Günther (DIR) Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2022 ## ARTIKEL ZUM THEMA (DIR) Aminata Touré über ihren neuen Job: „Regierung ist für alle zuständig“ Aminata Touré die nicht nur neue Sozialministerin in Schleswig-Holstein, sondern die erste deutsche Schwarze Landesministerin überhaupt. 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