# taz.de -- Rechte Angriffe auf linkes Café: „Weimar hat ein Naziproblem“
       
       > Wird in Weimar rechte Gewalt verharmlost? Die Besitzer:innen des
       > queerfeministischen Café Spunk werfen das dem Oberbürgermeister vor.
       
 (IMG) Bild: Eigentlich friedlich: das Café Spunk in Weimar
       
       WEIMAR taz | Wer „Weimar“ hört, denkt an Kopfsteinpflaster, an Bauhaus, an
       Goethe und Schiller, an den wunderschönen Ilmpark, die Renaissancegebäude
       auf dem Marktplatz oder den Rokokosaal in der
       Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek. Auf jeden Fall denkt man an etwas
       Ästhetisches. Was man hingegen nicht mit Weimar assoziiert, sind
       Hakenkreuzschmierereien, mit Farbe besprühte Stolpersteine und Neonazis,
       die Menschen rassistisch beleidigen, anspucken oder mit Glasflaschen
       bewerfen. Doch solche Angriffe sind in der viertgrößten Stadt Thüringens
       keine Seltenheit, im Gegenteil.
       
       „Wir haben in Weimar die ganze Zeit rechte Angriffe, nur die
       Stadtverwaltung tut so, als gäbe es sie nicht, es wird einfach nicht
       darüber geredet“, sagt Lara Lütke. Die 32-Jährige lebt seit zehn Jahren in
       Weimar. Zusammen mit ihrer 28-jährigen Freundin Alessa Dresel betreibt sie
       das Café Spunk nahe der Bauhaus-Universität. Die beiden Cafébesitzerinnen
       werfen Weimars parteilosem Oberbürgermeister Peter Kleine vor, nicht hart
       genug gegen den Rechtsextremismus in der Stadt durchzugreifen. Er wolle
       offenbar das Image Weimars nicht beschädigen, sind die beiden überzeugt.
       „Die Wahrheit aber ist: Das idyllische Weimar hat [1][ein ernst zu
       nehmendes Problem mit Rechtsextremismus]“, sagt Lütke.
       
       ## Der letzte Angriff war am 2. Juni
       
       Lütke und Dresel wissen, wovon sie sprechen. Viele Male schon haben
       unbekannte, mutmaßlich rechte Täter:innen ihr Café angegriffen, das
       offen als antifaschistisch, antirassistisch und queerfeministisch auftritt.
       Die Liste der Vorfälle ist lang: Noch vor der Eröffnung im März 2020 wurde
       das Schlüsselloch des Cafés mehrmals mit Sekundenkleber zugeschmiert,
       zweimal mussten Lütke und Dresel das Schloss ersetzen. Im Februar 2021
       wurde die Fensterscheibe des Cafés, an der von innen Gedenkplakate für die
       neun Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau angebracht waren, mit einem
       Ziegelstein eingeworfen. Im November 2021 wurde 35-mal mit einem spitzen
       Gegenstand auf die Fensterscheibe eingeschlagen – hinter der Stelle hing
       ein Plakat, das zu einer Demo gegen einen geplanten Aufmarsch der
       Neonazipartei III. Weg im oberfränkischen Wunsiedel aufrief. Im Frühjahr
       2022 wurde das Ladenfenster zweimal mit schwarz-rot-gelben Farbbomben
       beworfen, einmal davon an Hitlers Geburtstag.
       
       Der jüngste Angriff fand am 2. Juni statt – tagsüber, während der
       Öffnungszeiten. „Damit haben die Angriffe eine neue Eskalationsstufe
       erreicht“, sagt Lütke, die ein beiges Sommerkleid und eine Muschelkette
       trägt und ihr dunkelblondes Haar locker zusammengebunden hat.
       
       Sie hockt auf einem kleinen Stuhl im Café Spunk, der Raum ist nur wenige
       Quadratmeter groß. Auf der Fensterbank stehen Bücher wie „Das weibliche
       Prinzip“ oder „Sie hat Bock“, an der Decke hängt eine bunte Wimpelkette aus
       Stoff, an der Wand ein kleines Banner mit der Aufschrift „Rollenbilder
       aufschäumen und Patriarchat rösten“. Lütke gegenüber sitzen Dresel und
       Mitarbeiter Farouk El Habib. Der 21-Jährige stand während des Angriffs
       Anfang Juni hinter dem Tresen. Dresel trägt pinken Lippenstift und einen
       strengen Zopf, El Habib ein ockergelbes T-Shirt und Sneaker.
       
       „Ich war gerade dabei, zwei Kaffee zuzubereiten, als gegen 14 Uhr ein 16
       oder 17 Jahre alter Jugendlicher ins Café reingerannt kam“, erzählt El
       Habib. Dieser sei dann – offenbar überrascht von drei anwesenden Gästen –
       abrupt stehen geblieben und fluchtartig wieder rausgestürmt. Draußen habe
       er die am Eingang befestigte Regenbogenflagge samt Holzmast abgerissen.
       Dann sei er mit einer Gruppe Jugendlicher weggerannt, die während des
       Angriffs auf der anderen Straßenseite gestanden und die Tat gefilmt hätten,
       berichtet El Habib. „Mein Eindruck war, dass der Täter das Café verwüsten
       wollte und dann überrascht war, dass so viele Gäste anwesend waren.“
       
       Die Angriffe auf ihr kleines Café belasten Lütke und Dresel sehr – so sehr,
       dass sie es bald schließen werden. „Nach dem Überfall mit dem Ziegelstein
       letztes Jahr konnte ich nachts monatelang nicht alleine durch Weimar gehen,
       weil ich Angst hatte, überfallen zu werden“, sagt Lütke. Selbst zu einer
       WG-Party, die nur zehn Minuten von ihrem Zuhause entfernt stattfand, musste
       sie eine Freundin begleiten. Inzwischen geht Lütke abends wieder alleine
       raus. „Doch sobald jemand hinter mir läuft, drehe ich mich sofort um.“ An
       Demos kann sie bis heute nicht teilnehmen.
       
       ## Hakenkreuze an Fassaden
       
       Dresel hat vor allem beim Arbeiten Angst, besonders morgens, wenn sie
       alleine im Café ist und Kuchen backt. In den ersten Tagen nach den
       Angriffen mussten häufig Freund:innen ins Spunk kommen, weil sie alleine
       Panik bekommen hatte. Der jüngste Angriff hat Dresel so mitgenommen, dass
       sie danach drei Wochen gar nicht arbeiten konnte.
       
       [2][Rechte Angriffe] finden häufig in Weimar statt. Im vergangenen Jahr
       wurden mehrmals öffentlich zugängliche antirassistische Ausstellungen
       zerstört, Fassaden mit Hakenkreuzen und SS-Runen beschmiert sowie
       Stolpersteine beschmutzt und gestohlen. Außerdem haben Unbekannte die
       Fensterscheibe einer Bar nahe der Uni eingeworfen und ein
       Black-Lives-Matter-Plakat geklaut, das in dem Fenster hing.
       
       Hinzu kommen zahlreiche Angriffe gegen Personen. „Beinahe täglich werden
       Menschen beleidigt, bedroht, angespuckt oder mit Flaschen beworfen“, sagt
       El Habib, der auch Sprecher der Migrantifa Weimar ist. Vor allem am
       Bauhausmuseum, am Wielandplatz und im Ilmpark sei es gefährlich für
       migrantische Menschen und Linke. „Neulich haben Neonazis jugendliche
       Antifas im Ilmpark angegriffen, einer der Jugendlichen musste mit einer
       zweifachen Kieferfraktur ins Krankenhaus eingeliefert werden“, sagt El
       Habib. Lütke berichtet von indischen Austauschstudentinnen, die im Ilmpark
       mit Steinen beworfen wurden, Dresel von Neonazis, die dort ihren
       Mitbewohner „zusammengeschlagen“ haben.
       
       David Rolfs arbeitet bei der Thüringer Opferberatungsstelle ezra. Er sagt:
       „In den letzten fünf Jahren haben wir in Weimar 28 Angriffe mit 43
       betroffenen Menschen registriert, allein 2021 waren es elf Angriffe.“ Damit
       liege Weimar hinter Erfurt und Jena auf Platz drei der Städte mit den
       meisten rechten, rassistischen oder antisemitischen Angriffen gegen
       Personen in Thüringen. Die Tatbestände, sagt Rolfs, reichten von
       Körperverletzungen bis hin zu einer versuchten Tötung. Rassismus sei mit
       über 60 Prozent das häufigste Tatmotiv, betroffen seien aber auch
       politische Gegner:innen, Jüd:innen oder Journalist:innen. Insgesamt sei
       ein „wahrnehmbarer Anstieg“ von rechten Angriffen zu erkennen.
       
       ## Oberbürgermeister spricht von „Provokation“
       
       Nach Angaben von Rolfs gibt es in Weimar keine organisierte Neonaziszene.
       Es existiere aber ein „Nährboden“, der rechte Angriffe begünstige. „Der
       jüngste Angriff auf das Café Spunk vom 2. Juni zeigt, dass Täter:innen
       keine Scheu haben, am helllichten Tag politische Gegner:innen mitten in
       der Weimarer Innenstadt zu überfallen.“ Das lege die Vermutung nahe, dass
       Täter:innen glaubten, sie könnten machen, was sie wollen – ohne bestraft
       zu werden. Dieses Gefühl gebe ihnen nicht zuletzt die Stadt, die zu wenig
       gegen den Rechtsextremismus in Weimar tue und diesen kleinrede. Dass nach
       den vielen rechten Angriffen im Jahr 2021 eine „ernstliche Reaktion der
       Stadtspitze ausblieb“, kritisiert Rolfs.
       
       Nach dem jüngsten Angriff auf das Café Spunk, bei dem der Täter eine
       Regenbogenflagge abgerissen hatte, hat sich Oberbürgermeister Kleine in
       einer Pressemitteilung geäußert. „Diese Provokationen sind inakzeptabel und
       dürfen nicht zum Normalzustand werden“, ließ er sich zitieren. Die
       Cafébetreiberinnen Lütke und Dresel sind empört über dieses Statement.
       „Dass er von ‚Provokationen‘ spricht, zeigt, wie sehr er die rechte Gewalt
       in Weimar verharmlost“, sagt Dresel aufgebracht. „Es handelt sich nicht um
       Provokationen, sondern um rechte Angriffe – und die sind schon seit zwei
       Jahren unser Normalzustand.“
       
       Fragt man den Oberbürgermeister, warum er den Angriff nur als Provokation
       bezeichnet hat, sagt er, dass es sich bei dem Schaden um eine abgebrochene
       Pride-Flagge handele. „Gesicherte polizeiliche Ermittlungsergebnisse, die
       weitergehende Gewalt oder gar Terror belegen, wie etwa Café-Sympathisanten
       den Vorfall später ebenfalls bezeichneten, lagen zu diesem Zeitpunkt nicht
       vor.“
       
       Auch den Vorwurf, die Stadtverwaltung gehe nicht konsequent genug gegen
       rechte Gewalt in Weimar vor, weist Kleine zurück. „Die Stadt hilft nach
       Kräften mit, Weimar offen, tolerant und lebendig zu gestalten – auch wenn
       wir, wie im Falle des Cafés Spunks, leider nicht alle Vorfälle gänzlich
       verhindern können.“ So veranstalte die Stadt unter anderem ein
       interkulturelles Neujahrsfest, fördere das Bürgerbündnis gegen
       Rechtsextremismus und den Lokalen Aktionsplan Weimar, der auch
       Antirassismusprojekte unterstütze, kooperiere mit der Gedenkstätte
       Buchenwald, dem Festival Yiddish Summer Weimar und dem Verein Lernort
       Weimar, habe mehrere Buchenwald-Überlebende zu Ehrenbürgern ernannt und in
       diesem Jahr die Weimarer Erklärung für ein solidarisches Miteinander
       unterzeichnet.
       
       Weimar, sagt Oberbürgermeister Kleine, habe „kein spezifisches“
       Rassismusproblem. „Tausende Künstlerinnen und Künstler und gut vier
       Millionen Touristinnen und Touristen aus aller Welt kommen jedes Jahr in
       Weimar zusammen und leben friedlich miteinander. Sollte es rassistische
       Vorfälle geben, ahndet die Polizei nach unserer Kenntnis zügig, wenn diese
       zur Anzeige gebracht werden.“
       
       ## Weimar hinter sich lassen
       
       Lütke und Dresel haben die Angriffe auf ihr Café immer bei der Polizei
       angezeigt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Erfurt wurden vier Verfahren
       „mangels Täterermittlung“ eingestellt, bei drei Verfahren dauerten die
       Ermittlungen noch an.
       
       Hoffnungen, dass die Polizei die Täter:innen finden wird, machen sich
       die Cafébesitzerinnen aber keine. Sie werfen der Polizei Weimar vor, nicht
       ordentlich zu ermitteln. „Mit Blick auf die Skandale der Weimarer Polizei,
       wobei auch rechte Strukturen innerhalb der Sicherheitsbehörde öffentlich
       wurden, sollten wir uns keine Illusionen machen, dass sie kein wirkliches
       Interesse hat, die faschistischen und rassistischen Angriffe konsequent zu
       verfolgen“, sagt Dresel.
       
       Die Landespolizeiinspektion Jena teilte auf Anfrage mit, die Polizei Weimar
       habe das Café Spunk nach jedem Angriff untersucht und vorhandene Spuren
       gesichert. „Überdies erfolgten zahlreiche Befragungen eventueller Zeugen“,
       sagte ein Sprecher. Die Spuren und Hinweise jedoch seien manchmal nicht
       ausreichend, um eine:n Tatverdächtige:n zu ermitteln. Zu einem
       mutmaßlich rechten Motiv der Täter:innen wollte sich die Polizei nicht
       äußern. „Ohne einen oder auch mehrere Tatverdächtige ermittelt zu haben,
       wären Aussagen zur Tatmotivation reine Spekulation.“
       
       Was Lütke und Dresel machen werden, sobald sie eine:n passende:n
       Nachfolger:in für ihr Café gefunden haben, wissen sie noch nicht. „Wir
       werden auf jeden Fall weiter gegen Nazis kämpfen“, sagt Lütke. Aber nicht
       in Weimar. Diese Stadt wollen beide fürs Erste „auf jeden Fall“ verlassen.
       
       11 Jul 2022
       
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