# taz.de -- Klimapolitik der Bundesregierung: Lindner und sein Sekundenkleber
       
       > Der Finanzminister hat sich an der fossilen Gegenwart festgeklebt.
       > Hoffnung machen jetzt nur ein paar Blockierer und Demonstranten.
       
 (IMG) Bild: Die Hoffnung ruht auf wenigen Schultern: Aktivist:innen blockieren ein LNG-Terminal
       
       Es gibt eine Goldene Regel für Kolumnen: Jede darf sich einmal in ihrem
       Leben an Christian Lindner abarbeiten, danach ist das wegen Erwartbarkeit
       verboten und wird mit Haft nicht unter einem Dreikönigstreffen bestraft.
       Also los!
       
       Lindner hat in dieser Woche, Sie haben es vielleicht mitbekommen, die
       Fortsetzung des 9-Euro-Tickets abgelehnt und eine „[1][Gratismentalität]“
       kritisiert. Er will lieber die Pendlerpauschale erhöhen und Gutverdiener
       entlasten.
       
       Nun könnte man den Mann ignorieren, seine Partei steht in Umfragen bei
       gerade mal 6 Prozent. Aber Lindner ist nun mal Finanzminister. Und seine
       Haltung zur Gegenwart, das trotzige Festhalten am fossilen Lebensstil, wird
       nicht nur von 6 Prozent der Deutschen geteilt. Sondern möglicherweise von
       einer Mehrheit, oder aber von einer so großen Minderheit, dass es gegen sie
       keine parlamentarischen Mehrheiten gibt – für eine Politik, die der
       Dringlichkeit der Klimakrise entspricht.
       
       Mit anderen Worten: Die Welt verbrennt schneller, als es dauert, den
       Lebensstil der vielen Millionen Lindners so behutsam zu verändern, dass es
       ihnen nicht wehtut. Die Lindners haben sich mit Sekundenkleber an die
       fossile Gegenwart geklebt.
       
       ## Bauen, bauen, bauen
       
       Damals, als Deutschland von einer Großen Koalition regiert wurde, hieß es
       auch an dieser Stelle in der Zeitung häufig: Wir brauchen
       liberaldemokratische Mehrheiten für gute Klimapolitik. Jetzt gibt es eine
       neue Koalition, aber die hält an ihren Mantras fest: dem
       sozialdemokratischen Bauen, bauen, bauen, dem pseudoliberalen Fahren,
       fahren, fahren. Und selbst im von den Grünen regierten Ländle werden zu
       wenige Windräder gebaut. So viel zur „Fortschrittskoalition“.
       
       Nach diesem heißen und trockenen Sommer gäbe es naheliegende politische
       Reaktionen: dauerhaft kostenloser Nahverkehr, ein vorgezogener
       Kohleausstieg, ein Ende des Diesel- und Dienstwagenprivilegs. Das wäre
       nicht mal radikal: Ein brennender Wald sperrt die Autobahn, ein
       ausgetrockneter Rhein stört die Wirtschaft länger als jede Sitzblockade.
       Die Diskrepanz zwischen der physikalisch notwendigen und der faktischen
       Klimapolitik wird immer frappierender. Wir haben keine Zeit, bis zur
       nächsten Bundestagswahl zu warten.
       
       Was folgt daraus?
       
       Es müssen außerparlamentarische Minderheiten richten. Die haben kein
       Problem damit, jemandem wehzutun. [2][An diesem Wochenende blockiert die
       Bewegung Ende Gelände LNG-Terminals in Hamburg]. Sie spricht aus, was die
       Bundesregierung den Millionen Lindners im Land nicht zu sagen wagt: LNG
       wird uns nicht retten, nur massives Herunterfahren der Emissionen und eine
       Umverteilung der verbleibenden Energie.
       
       Es mag hilflos klingen, dass die Hoffnung auf gute Klimapolitik auf den
       Schultern von ein paar Autobahnblockierern und ein paar tausend
       Demonstrantinnen ruhen soll. Und doch ist meine Hoffnung in eine Tube
       Sekundenkleber gerade höher als in die Bundesregierung.
       
       Zum ersten Mal hat Ende Gelände auch Sachbeschädigung angekündigt, also
       nicht nur mit dem Körper zu blockieren. Ich sehe schon die nächste
       Gewaltdebatte durch die Zeitungen rollen. Aber Fridays for Future hat es
       auch nicht geholfen, von allen gemocht zu werden. Und dass man nicht von
       allen geliebt werden muss, um erfolgreich zu sein, weiß niemand so gut wie
       Christian Lindner.
       
       12 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kersten Augustin
       
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