# taz.de -- Die Wahrheit: Im afrikanischen Kolonialwarentraum
       
       > Wer als Deutscher nach Namibia reist, erlebt ein seltsam bekanntes und
       > zugleich fremdes Land. Ist es der Nachtmahr der AfD?
       
 (IMG) Bild: Gut gesichert: Nato-Draht bewahrt Bismarcks Nazikompatibilität vor Beeinträchtigungen
       
       Das deutsche Kolonialerbe in Namibia ist für einen deutschen Besucher wie
       mich mitunter verstörend. Die Orte hier heißen nicht nur Outjo, Okaukuejo
       oder Okomumbonde, wie sich das für Afrika gehört, sondern auch Grünau,
       Teufelsbach und Grunewald. In fast jedem Dorf gibt es Bismarck-,
       Kaiser-Wilhelm- oder Hindenburgstraßen.
       
       An den Fassaden prangen Aufschriften wie „Deutsche Handelsgesellschaft“
       „Deutscher Turnverein“ oder „Kegelvereinsheim Deutsch-Südwest“. In den
       Supermärkten liegen Produkte mit Namen wie „Delikatess-Leberwurst“ oder
       „Original-Fleischwurst“, und in den Restaurants gibt es Jägerschnitzel und
       Schweinshaxe unter so verlockenden Bezeichnungen wie „Jägerschnitzel“ oder
       „Schweinshaxe“. Und das mitten in Afrika.
       
       Vielleicht ist Namibia ein feuchter Traum der AfD. Oder die ultimative
       Schreckensvorstellung von Alexander Gauland und Beatrix von Storch, wenn
       sie nachts schweißgebadet hochfahren: Das ganze Land kruppstahlhart
       deutsch, frei von jedem Anflug von Veganem, Queerem oder Wokem – aber alles
       voller Menschen of Color.
       
       Im Flughafenshop von Windhoek gibt es landestypische Devotionalien zu
       kaufen. Handgeschnitzte Nilpferde, T-Shirts mit Warzenschweinwarnschildern,
       Kühlschrankmagneten in Form eines Pavianhinterns. Lauter schöne Dinge. Und
       Aufkleber mit deutscher Reichskriegsflagge und der in Fraktur gehaltenen
       Aufschrift „Deutsch Südwestafrika“ oder „I love Deutsches Schutzgebiet 1885
       bis 1915“.
       
       Staunend betrachte ich die kolonialistischen Fanartikel. Der freundliche
       schwarze Verkäufer bemerkt mein Interesse und fragt auf Deutsch: „Sind Sie
       aus Deutschland? Ich gebe Ihnen zwei zum Preis von einem!“ – „Nein danke“,
       antworte ich verwirrt. „Machen Sie eine Rundreise in Namibia? Dann müssen
       Sie nach Otjiwarongo. War lange Stützpunkt der Deutschen Schutztruppe.“ –
       „Ist das nicht am Waterberg?“ – „Genau. Da ist der Ehrenfriedhof der
       Deutschen Schutztruppe. Müssen Sie besuchen. Ist sehr schön gepflegt!“ –
       „Aber ist dort nicht auch der Völkermord an den Herero begangen worden?“ –
       „Genau“, sagt der Mann, „der Waterberg war der Rückzugsort der Herero beim
       Aufstand 1904. Haben sich auch erst ganz gut geschlagen, sehen Sie am
       Ehrenfriedhof, viele tote Deutsche. Aber dann waren die Deutschen doch
       stärker und haben die Herero in die Kalahari getrieben, wo sie dann
       verdurstet sind.“ – „Ja, furchtbar“, seufze ich.
       
       „Aber die Eisenbahnen!“, sagt der Verkäufer. „Hä?“ – „Na, die Deutschen
       haben auch die Eisenbahnlinien von Swakopmund nach Windhoek und von
       Lüderitz nach Aus gebaut. Mitten durch die Wüste. Großartige Leistung!
       Fahren immer pünktlich, bis heute!“ – „Ähm, ja …“ – „Also, nehmen Sie die
       Aufkleber? Ich gebe Ihnen sogar drei zum Preis von einem. Wegen der
       Eisenbahnen!“ Eisenbahnen, Wurstwaren und Völkermord – Deutschland ist und
       bleibt eben der überall auf der Welt beliebte Exportweltmeister.
       
       9 Sep 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heiko Werning
       
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