# taz.de -- Kontextualisierung des Bismarck-Denkmals: Eiserner Kanzler unantastbar
       
       > Der Wettbewerb für einen zeitgemäßen Umgang mit Hamburgs
       > Riesen-Bismarck-Denkmal ist gescheitert. Der Senat hatte unerfüllbare
       > Bedingungen gestellt.
       
 (IMG) Bild: Gut gesichert: Nato-Draht bewahrt Bismarcks Nazikompatibilität vor Beeinträchtigungen
       
       Hamburg ist stets um höchste Plätze in allen denkbaren Rankings bemüht. Das
       klappt nicht immer. So spielen seine zwei Fußballvereine nur in der 2.Liga.
       In einem aber ist Hamburg unbestreitbar weltweit Nummer eins, und das seit
       117 Jahren: Zwischen Millerntor und Landungsbrücken erhebt sich mit 34
       Metern Höhe das weltgrößte Bismarck-Denkmal.
       
       Initiiert und finanziert wurde es vor allem von den Hamburger
       Kolonialherren und -Profiteuren, die allen Grund für ihre Verehrung hatten:
       Bismarcktürme überall im deutschen Land, -straßen in allen Städten, -feiern
       und -Karten – das musste einfach überboten werden. Gewerkschaften und
       Sozialdemokratie protestierten damals noch, aber es nützte wenig.
       
       Für die politische Rechte in all ihren Auswüchsen, die Antidemokraten in
       der Weimarer Republik und dann bald für die NSDAP wurde der Bismarck-Koloss
       zu einem Kultort mit prachtvollen Aufmärschen, einfach glanzvolle Zeiten.
       
       Die Hamburger Politik hat versäumt, sich mit der Befreiung 1945 auch von
       ihrer Bismarck-Verehrung zu lösen. Die britische Militärverwaltung wollten
       den Klotz noch sprengen, beugte sich aber dem Einspruch der Fans. Der
       nächste Versuch kam immerhin aus der Stadt selbst, als man das Denkmal
       zugunsten der Internationalen Gartenbauausstellung 1963 beseitigen wollte.
       
       ## Kohl-Maske aufgesetzt
       
       Erst gut drei Jahrzehnte später wurde Bismarck durch eine ebenso kluge wie
       witzige Aktion für einige Tage ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Am
       3. Oktober 1990, dem Tag der Wiedervereinigung, wurde des Reichskanzlers
       Haupt mit einer Maske des Bundeskanzler Kohl-Kopfes aktualisiert. Die eher
       harmlose Platzierung eines Steinbocks auf dem Haupt des Reichsgründers 2015
       wurde dagegen behördlich genehmigt und finanziert. Im Sockel des
       Reichskanzlers blieb es muffig, wozu bis heute vor allem völkische Runen
       beitragen.
       
       Indes war der Riese über all die Jahre grau geworden und bekam nur durch
       einige Graffitis etwas Farbe. Wirklich keine Freude für die Freunde der
       Tradition. Das empfanden auch zwei in Finanzfragen gewiefte [1][Hamburger
       Bundestagsabgeordnete (SPD und CDU) ganz ähnlich: Sie beschafften in einer
       Überraschungsaktion knapp zehn Millionen Euro für die Sanierung und
       Aufhübschung des Monuments.] Auch wenn es in der rot-grünen
       Regierungskoalition Bauchschmerzen gab, wollte man auf so viel Geld nicht
       verzichten.
       
       2020 wurde das Denkmal verhüllt und das große Kärchern begann. Doch 2020
       war auch das Jahr der weltweiten Black-Lives-Matter-Bewegung mit ihren
       Aktivitäten gegen die Denkmäler von Kolonialisten und Rassisten. In
       Hamburg gab es gleich mit dem Beginn der Renovierungsarbeiten zahlreiche
       Proteste mit der Forderung, die Sanierungsarbeiten zu stoppen und [2][über
       eine notwendige Umgestaltung oder den Abriss eine gesellschaftliche Debatte
       zu führen.]
       
       Inhaltlich ging es dabei zuerst um die [3][Rolle des Reichskanzlers
       Bismarck, der vor allem mit der Kongo-Konferenz 1884/85] die Grundlagen für
       die deutsche Kolonialpolitik mit brutalen und rassistischen Handlungen bis
       hin zum Völkermord an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika schuf.
       Aber auch Bismarcks gegen die SPD gerichteten Anti-Sozialisten-Gesetze,
       seine antipolnisch-katholischen Aktivitäten, seine Verachtung
       demokratischer Bewegungen wurden debattiert.
       
       Dabei wurde schnell klar, dass das heroische Bismarck-Denkmal [4][einer
       starken und seine Ausstrahlung störenden Umgestaltung bedarf.] Das sah
       damals auch Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) so und kündigte
       einen künstlerischen Prozess an. Ziel sei es, diesen parallel zu den
       Sanierungsmaßnahmen zu verfolgen und nicht nacheinander nach dem Muster:
       „Erst machen wir ihn ein bisschen hübsch und wenn er dann wieder steht,
       fangen wir an, darüber nachzudenken.“
       
       Nun, nachgedacht hat man, und diskutiert und Vorträge angehört, am Ende
       aber hat der Kultursenator fast zwei Jahre bis zur Ausschreibung eines
       internationalen Wettbewerbs zur Umgestaltung des Denkmals verstreichen
       lassen. Diese Verzögerung reichte, um den grauen Koloss nicht nur
       aufzuhübschen, sondern wie einen Weißen Riesen strahlen zu lassen, stärker
       noch als bei seiner Einweihung.
       
       Gleichzeitig wurden die Forderungen der Basis-Initiativen, an der
       Formulierung des Ausschreibungstextes beteiligt zu werden, kalt ignoriert.
       So konnte der Kultursenator ohne erkennbaren Widerspruch den
       Bismarck-Koloss selbst für unantastbar erklären, weil er unter
       Denkmalschutz steht. Viel beachtete Ideen, wie zum Beispiel die Figur
       schräg zu legen oder durch die Abnahme des Kopfes zu dekonstruieren – wie
       vom Autor vorgeschlagen –, waren damit vom Tisch.
       
       Dabei gibt es in Hamburg etliche Beispiele dafür, dass der Denkmalschutz
       für schönere Gebäude als das Bismarck-Denkmal außer Kraft gesetzt wurde. Es
       bedarf dafür noch nicht einmal eines Parlamentsbeschlusses, sondern nur
       eines Federstrichs des jeweils amtierenden Kultursenators.
       
       ## Plötzlich die Topographie entdeckt
       
       Für den Wettbewerb wurden 76 Entwürfe eingereicht. Am Ende aber wurde
       keiner ausgewählt, weil, so die Jury, „durch eine einzelne künstlerische
       Intervention die Aufgabe in ihrer Komplexität und mit all ihren Facetten
       nicht erfüllt wurde“. Diese Begründung erinnert an Schulaufgaben, die so
       komplex formuliert sind, dass auch die beste Schülerin daran scheitern
       muss. Das hätte man vorher nicht wissen können?
       
       Skurril ist zudem die Begründung, erst „der Wettbewerbsprozess“ habe
       „deutlich gemacht, dass auch die topographischen Gegebenheiten besonders
       schwierige Herausforderungen darstellen würden.“ Haben die ehrenwerten und
       klugen Mitglieder der Jury vergessen, dass sich das Denkmal auf einer
       Anhöhe befindet? Ist das der „wichtige weiterführende Erkenntnisgewinn“,
       für den Christina Weiss, Hamburger Kultursenatorin a.D., der von ihr
       geleiteten Jury dankt?
       
       Kultursenator Brosda, dem die Jury mit ihrer Entscheidung eine heftige
       Klatsche verpasst hat, reagiert ganz gegen seine Art wortkarg. Er halte das
       Ergebnis für „bedauerlich“. Verständlich, denn mit Unterstützung der
       Regierungs-Fraktionen hatte er 250.000 Euro für den Wettbewerb locker
       gemacht. Außer Spesen also nichts gewesen?
       
       Auffällig still ist die Reaktion der Hamburger Parteien auf dieses
       peinliche Ergebnis. Von den Regierungsparteien SPD und Grünen war erst mal
       gar nichts zu hören. Sie mögen den Bismarck zwar nicht, aber noch weniger
       mögen sie es, die teure Aufhübschung des Denkmals als Fehlentscheidung
       einzugestehen. Die CDU macht ein bisschen in Opposition, indem sie mit
       einem gewissen Recht die Geldverschwendung anprangert. Sie unterlässt es
       aber tunlichst, einen eigenen Vorschlag für die Umgestaltung zu machen.
       
       Der AfD dürfte das gefallen. Ihr kulturpolitischer Sprecher Alexander Wolf
       der aus seiner Sympathie für den deutschen Kolonialismus keinen Hehl macht
       und die „These vom Völkermord in Deutsch-Südwest“ für absurd und für
       „Quatsch“ hält, kann sein Glück kaum fassen: Sein Bismarck-Heros bleibt
       tatsächlich, wie er schon vor zwei Jahren gefordert hatte. So können auch
       die Burschenschaften als aktivistischer Arm der AfD ihre kleinen
       Kundgebungen mit Fackeln, nationalem Getöse und einigen Flaschen Schnaps zu
       Bismarcks Füßen abhalten.
       
       War es das also mit der Umgestaltung des Bismarckdenkmals? Rien ne va plus?
       So ganz ohne Perspektive will die Jury sich dann doch nicht verabschieden.
       Sie „empfiehlt, in einem aufbauenden nächsten Verfahrensschritt, den
       Schwerpunkt auf Vermittlung und gesellschaftlichen Diskurs zu verlagern“:
       Das ist allerdings eine zynische Empfehlung. Sie brüskiert all jene
       Menschen und Initiativen wie den „AK Hamburg Postkolonial“, die seit
       Jahrzehnten diesen gesellschaftlichen Diskurs betreiben.
       
       Was also verbirgt sich hinter dem Fazit der Jury? Hamburgs
       Postkolonial-Professor Jürgen Zimmerer, selbst Mitglied der Jury, [5][redet
       Klartext] „Es waren die Regeln des Wettbewerbs, die den Wettbewerb zum
       Scheitern brachten.“ Es sei „absurd, dass der Denkmalschutz die Grenzen der
       Dekolonisierung eines Denkmals festlegt“.
       
       Es wäre für den Kultursenator ein leichtes, den Denkmalschutz aufzuheben
       und einen neuen Wettbewerb ohne Einschränkungen auszuschreiben.
       Gleichzeitig müsste der Nato-Draht bewehrte Bauzaun um den Denkmalsockel
       erhalten bleiben, als Symbol dafür, dass Hamburgs Erinnerungskultur noch
       eine Riesen-Baustelle hat.
       
       Ulrich Hentschel, Theologe und Aktivist, hatte 2020 eine Dekonstruktion des
       Denkmals [6][angeregt] und selbst einen Entwurf für den Wettbewerb
       eingereicht.
       
       4 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [5] https://www.euronews.com/culture/2023/07/13/hamburg-wanted-to-decolonise-its-bismarck-statue-finding-a-solution-wasnt-so-easy
 (DIR) [6] https://youtu.be/_JwRNyChpq0
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Hentschel
       
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