# taz.de -- Schwarzbuch über Pushbacks: Gewalt statt Menschenrecht
       
       > An EU-Außengrenzen weisen Behörden illegal Menschen ab, zeigen Berichte.
       > Das Ausmaß sogenannter Pushbacks stellt ein neues Schwarzbuch dar.
       
 (IMG) Bild: Immer wieder in illegale Pushbacks verwickelt: Griechischer Grenzer im Auftrag von Frontex
       
       BERLIN taz | Während die EU-Innenminister am Donnerstag in Brüssel über die
       Erweiterung der Schengen-Zone und Verschärfungen des Asylrechts berieten,
       legten NGOs, Journalist:innen und die Linken-Fraktion im EU-Parlament
       neue Belege für die massenhaften Pushbacks an den EU-Außengrenzen vor.
       
       Die Fraktion präsentierte gemeinsam mit dem Border Violence Monitoring
       Network eine neue Ausgabe des „[1][Schwarzbuchs Pushbacks]“. Darin sind
       1.635 Zeugenaussagen zu Pushbacks gesammelt, die insgesamt fast 25.000
       Menschen in 15 Ländern betreffen. Es ist die umfassendste Dokumentation
       einer Praxis, die vor allem in den vergangenen fünf Jahren immer öfter
       nackte Gewalt an die Stelle des Rechts treten ließ.
       
       Die verschiedenen Formen der im Schwarzbuch beschriebenen Misshandlungen
       sind kaum überschaubar. Menschen berichten, wie sie geschlagen, getreten,
       beleidigt, gedemütigt und willkürlich festgehalten wurden.
       
       Zu lesen ist von unterschiedlichen Foltermethoden, von Vergewaltigungen,
       sexuellem Missbrauch, exzessiven Schlägen, Tasern. Ankommende wurden in
       Flüsse geworfen, manchmal mit zusammengebundenen Händen, oder es wurde von
       Grenzbehörden auf sie geschossen.
       
       ## Zunehmend härterer Grenzschutz
       
       „Die neue Ausgabe des Schwarzbuchs zeigt wieder einmal deutlich die
       strukturelle Gewalt, der Kinder, Frauen und Männer an den Außen- und
       Binnengrenzen der EU noch immer tagtäglich ausgesetzt sind“, sagte die
       Linken-MEP Cornelia Ernst. Die Untätigkeit der EU und die Straflosigkeit
       der Verantwortlichen seien „beschämend und ein Schlag ins Gesicht der
       unzähligen Betroffenen“.
       
       Cornelia Ernst glaubt, das Recht auf Asyl sei „zum Abschuss freigegeben“.
       Die EU finanziere immer mehr Grenzschutz und Kooperationen mit
       Drittstaaten. Mitgliedstaaten wie Polen, Litauen und Lettland
       verabschiedeten Gesetze, die darauf abzielten, Pushbacks zu legalisieren.
       
       Ebenfalls am Donnerstag präsentierte ein Verbund aus dem ARD-Magazin
       „Monitor“, der Recherche-NGO Lighthouse Reports, dem Spiegel und anderen
       Medien [2][eine Recherche dazu, wie in Bulgarien], Ungarn und Kroatien
       „gefängnisartige Verschläge“ genutzt würden, um Flüchtlinge
       gefangenzuhalten. „Oft werden die Schutzsuchenden dabei misshandelt, bevor
       sie über die Grenze zurückgezwungen werden“, steht im Bericht.
       
       Auf Aufnahmen ist unter anderem zu sehen, wie mehrere Menschen von Abfall
       umgeben auf dem Boden ausharren, bis sie dann in Autos gebracht und
       weggefahren werden. Aussagen von Flüchtlingen zufolge würden Asylsuchende
       hier teilweise mehrere Tage lang ohne Wasser und Essen eingesperrt. Im
       Anschluss bringe die Polizei die Menschen wieder zurück an die Grenze und
       zwinge sie, in die Türkei zurückzukehren.
       
       Besonders brisant: Laut Recherche finden diese illegalen Inhaftierungen
       offenbar direkt unter den Augen der EU-Agentur Frontex statt. Interne
       Dokumente zeigten etwa, dass an einem Standort der bulgarischen
       Grenzpolizei, die in die Pushbacks verwickelt sei, auch zehn Frontex-Beamte
       stationiert sind. Wegen anhaltender Berichte über die Verstrickung von
       Frontex in illegale Pushbacks musste der [3][Frontex-Direktor Fabrice
       Leggeri im April zurücktreten].
       
       ## Mehr Pushbacks seit den Taliban
       
       Erst vor Kurzem hatte die NGO Human Rights Watch (HRW) einen Bericht über
       [4][Pushbacks aus der Türkei] veröffentlicht. Alle der dabei befragten
       Männer und Jungen, die ohne weibliche Familienangehörige reisten, erlebten
       demnach selbst oder beobachteten, wie türkische Behörden sie oder andere
       Flüchtlinge misshandelten.
       
       Viele berichteten, dass die türkischen Grenzbeamten in ihre Richtung
       schossen – manchmal sogar gezielt auf sie, wenn sie sich der Grenze
       näherten oder versuchten, diese zu überqueren.
       
       Der Bericht „[5][No One Asked Me Why I Left Afghanistan]“ zeigt zudem, dass
       die Flucht nicht erst an der EU-Außengrenze schwer wird. Ihm zufolge dränge
       die Türkei vor allem seit der Machtübernahme durch die Taliban im August
       2021 „routinemäßig Zehntausende Afghanen an ihrer Landgrenze zu Iran zurück
       oder schiebt sie direkt nach Afghanistan ab, ohne ihre Ansprüche auf
       internationalen Schutz zu prüfen“.
       
       Für 2022 meldeten die türkischen Behörden bisher 238.448 „irreguläre
       Migranten, deren Einreise in unser Land verhindert wurde“. Die meisten von
       ihnen kamen aus Afghanistan. Das Land habe von Januar bis August 44.768
       Menschen aus Afghanistan auf dem Luftweg nach Kabul abgeschoben – 150
       Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum, vor der Talibanregierung.
       
       9 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://left.eu/issues/publications/black-book-of-pushbacks-2022/
 (DIR) [2] https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/verbotene-orte-europas-duestere-fluechtlingspolitik-100.html
 (DIR) [3] /Frontex-Chef-tritt-ab/!5849366
 (DIR) [4] /Tote-an-tuerkisch-griechischer-Grenze/!5829794
 (DIR) [5] https://www.hrw.org/report/2022/11/18/no-one-asked-me-why-i-left-afghanistan/pushbacks-and-deportations-afghans-turkey
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Jakob
       
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