# taz.de -- Diskriminierung und Macht: Sind die nett?
       
       > Freundlichkeit als politische Praxis wird oft unterschätzt. Es hilft
       > manchmal, sich zu fragen: Ist mein Frust in dieser Runde angebracht?
       
 (IMG) Bild: „Seid alle mal netter“, ist keine politische Forderung
       
       Dem Bewusstsein für die [1][Taktik des Tone Policing] haben wir es zu
       verdanken, dass „beruhig dich erstmal“ oder „komm mal runter“ nicht mehr
       als seriöse Reaktionen auf Diskussionsbeiträge durchgehen, sondern als das
       enttarnt werden, was sie sind: Eine rhetorische Strategie, andere Menschen
       mundtot zu machen und ihre Belange nicht ernst nehmen zu müssen.
       
       „Mit deinem Argument“, spricht die Tonpolizei, „muss ich mich nicht
       auseinandersetzen. Es ist ungültig. Disqualifiziert dadurch, wie es
       vorgetragen wurde“. Zu laut, zu emotional, zu harsch, zu wütend – so lautet
       oft der Vorwurf, wenn von Diskriminierung betroffene Personen für sich
       einstehen und ja: Auch mal emotionaler in eine Diskussion involviert sind,
       weil das Thema sie verdammt nochmal persönlich betrifft.
       
       Doch wie bei vielen guten machtkritischen Konzepten lohnt es sich auch beim
       Vorwurf des Tone Policing, immer mal wieder genauer hinzuschauen, ob er
       nicht auch zum Machterhalt oder gar Machtmissbrauch eingesetzt werden kann.
       Nicht jede Bitte danach, nicht angeschrien zu werden, ist gleich Tone
       Policing. Ich beobachte immer wieder, dass eigene Ruppigkeit und
       Unfreundlichkeit damit abgetan wird, dass das eben die Art sei, wie man
       sich ausdrückt. Ich war Teil eines Gesprächs, in dem jemand ausfallend und
       beleidigend wurde und, damit konfrontiert, nur meinte, man solle hier nicht
       die Tonpolizei spielen.
       
       Mich strengt das besonders an, wenn Gleichgesinnte zusammenkommen: In
       politischen Räumen oder Safer Spaces. Zumindest an solchen Orten sollten
       wir uns mit mehr Wohlwollen begegnen und auch mal den Blick von unseren
       eigenen Emotionen weg auf die unseres Gegenübers lenken. Unfreundlichkeit
       kann auch eine Barriere sein. Als Person mit einem gewissen Grad von
       Sozialangst ist meine erste Frage nach einer Einladung: „Sind die nett?“ 
       
       ## Frust auf die Straße tragen
       
       Wir können uns nicht immer entscheiden, ob wir auf etwas wütend oder
       verständnisvoll reagieren. Wenn es in einer bestimmten [2][Situation die
       Wut sein muss, dann raus damit!] Aber ich denke, viele von uns kennen diese
       Momente, in denen es auf der Kippe steht. Wenn es tatsächlich eine
       Entscheidung ist, ob wir ausgerechnet in dieser Runde unseren Frust über
       jahrzehntelange Unterdrückung herauslassen oder ob wir ein bisschen Druck
       und Unbehagen aushalten, um Gespräche zu ermöglichen. Vielleicht kann
       daraus etwas entstehen. Vielleicht tragen wir den Frust später dann
       gemeinsam auf die Straße.
       
       Tone Policing ist scheiße, aber Freund*innen, Genoss*innen und
       Verbündete ungefiltert mit der eigenen Wut und Übellaunigkeit zu
       konfrontieren leider auch. Mein Leben wurde schon oft besser, weil jemand
       unerwartet nett war. Freundlichkeit wird als politische Praxis
       unterschätzt. Klar: Seid alle mal netter, ist keine politische Forderung.
       Also lasst uns entspannte Strukturen schaffen, in denen wir uns freundlich
       und mit Wohlwollen begegnen können.
       
       19 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Demonstrationen-und-Diskriminierung/!5707868
 (DIR) [2] /Demonstrationen-und-Diskriminierung/!5707868
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Dede Ayivi
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kolumne Diskurspogo
 (DIR) Wut
 (DIR) Diskriminierung
 (DIR) Demonstrationen
 (DIR) IG
 (DIR) Kolumne Diskurspogo
 (DIR) Kolumne Unisex
 (DIR) Kolumne Diskurspogo
 (DIR) Black Lives Matter
 (DIR) tone policing
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Privilegien und Engagement: Antirassismus mit deutschem Pass
       
       Der deutsche Rassismus-Diskurs vernachlässigt strukturelle Probleme. So
       landen nur bequeme Forderungen im Fokus, statt Asyl und Ausländerrecht.
       
 (DIR) Seelsorge im neuen Jahr: Moral Olympics sind out
       
       Emotionale Selbstausbeutung, Shaming, Understatement. Angewohnheiten, die
       spätestens 2023 nicht mehr cute sind. Und was stattdessen im Kommen ist.
       
 (DIR) Diversität Schwarzer Positionen: Von fragwürdigen Empfehlungslisten
       
       Als unsere Autorin auf Social Media auf Empfehlungslisten von PoC-Accounts
       stieß, fand sie das hilfreich. Bis sie sich selbst auf so einer Liste fand.
       
 (DIR) Tödliche Polizeigewalt: Ab auf die Straße!
       
       Der Protest gegen tödliche Polizeigewalt ist in Deutschland kleiner
       geworden. Fälle, für die Aufklärung gefordert werden könnte, gebe es genug.
       
 (DIR) Demonstrationen und Diskriminierung: Die Wut der Unterdrückten
       
       Menschen, die immer höflich bleiben, werden nicht gehört, sagt unsere
       Autorin. Protestierende brauchen den Zorn, um soziale Ungleichheit
       anzuprangern.